Essen. Sarah aus NRW wurde mit 17 ungeplant schwanger – und entschied sich für einen Abbruch. Wie es ihr heute damit geht – und was sie anderen rät.
- „Was wäre, wenn ich das Baby bekommen hätte?“ Diese Frage stellt sich die 32-jährige Sarah (Name geändert) aus NRW noch heute, mehr als zehn Jahre später.
- Sie wurde mit 17 Jahren ungeplant schwanger – und entschied sich für einen Abbruch.
- Wie sie sich in der Zeit gefühlt hat, warum sie bis heute Angst hat, offen über ihren Abbruch zu sprechen, und was sie anderen Betroffenen rät:
„Dass ich heute Mutter bin, ist für mich das größte Glück. Ich habe zwei gesunde Kinder. Aber manchmal frage ich mich: Wie wäre es, wenn es drei wären? Wie würde mein Leben aussehen?
Ich war 17 Jahre alt, als meine Periode auf einmal ausgeblieben ist. Ich habe einen Schwangerschaftstest gemacht. Als ich die beiden Strich gesehen habe, war ich so sauer auf mich selbst. Und auch so verzweifelt. Ich konnte und wollte es gar nicht glauben. Aber nach dem Besuch beim Frauenarzt hatte ich es schwarz auf weiß: Ich war tatsächlich schwanger.
„Für mich stand fest: Ich werde das Kind nicht bekommen“
Ich habe dann sofort den Jungen angerufen, mit dem ich geschlafen hatte. Wir waren zu dem Zeitpunkt noch nicht zusammen. Er sagte: ,Ich bin für dich da, trage jede Entscheidung mit dir und möchte mit dir zusammen sein.‘ Eigentlich genau die schöne und verantwortungsvolle Reaktion, die man sich in der Situation wünscht.
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Für mich stand da aber schon längst fest: Ich werde das Kind nicht bekommen. Als ich bei der Schwangerschaftskonfliktberatung war, habe ich auch direkt gesagt, dass ich meine Entscheidung schon getroffen hatte. Ich war einfach zu jung und hatte Panik.
Innerlich waren da aber trotzdem Zweifel, weil es natürlich keine leichte Entscheidung ist. Die habe ich mir aber nicht anmerken lassen. Ich habe mich in dem Gespräch gut ,verkauft‘ und erzählt, dass ich mich umfassend mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Im Nachhinein hätte ich mir vielleicht noch ein zweites Gespräch oder mehr Bedenkzeit gewünscht.
Zahl der Schwangerschaftsabbrüche gestiegen
Die Zahl der gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland ist 2023 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Laut Statistischem Bundesamt hat es 106.000 Fälle gegeben und damit rund zwei Prozent mehr als 2022.
Mehr als die Hälfte der Frauen (58 Prozent) hatte den Angaben zufolge vor dem Schwangerschaftsabbruch bereits ein Kind bekommen. Fast jede zweite Frau war zwischen 25 und 35 Jahre alt. Die Gruppe der über 40 Jahre alten Frauen machte rund acht Prozent aus. Etwa 2800 der Betroffenen (weniger als drei Prozent) waren jünger als 18 Jahre.
Die meisten Abbrüche (93 Prozent) wurden nach der sogenannten Beratungsregelung vorgenommen. Nach der Regelung bleibt ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen straffrei, wenn die Frau sich zuvor beraten lässt. Ohne Strafe bleibt ein Abbruch zudem, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird. Das betraf rund vier Prozent der Schwangerschaftsabbrüche im vergangenen Jahr.
Wahrscheinlich hätte ich mich auch mehr Menschen anvertrauen sollen. Aber ich wusste, dass meine Mutter die Schwangerschaft nicht gutheißen würde. Ich war ja so jung, ging sogar noch zur Schule. Ich wollte nicht, dass es jemand wusste, weil ich Angst vor den Reaktionen hatte.
Schon einen Tag nach dem operativen Abbruch saß ich also wieder im Klassenzimmer. Dieses Stückchen Normalität war gut für mich, es hat mich abgelenkt. Denn eigentlich war ich psychisch am Ende. Ich habe an meiner Entscheidung, den Abbruch machen zu lassen, gezweifelt. Die Zweifel wurden noch größer, als jemand aus meinem Bekanntenkreis schwanger wurde. Da war es für mich noch schwerer, mit meiner Entscheidung umzugehen.
„Jede Frau sollte selbst über Schwangerschaftsabbruch entscheiden dürfen“
Ich war so überfordert mit der Situation. Ich glaube, dass das bei älteren Frauen anders ist. Sie können die Entscheidung bewusster treffen.
Ich bin davon überzeugt, dass jede Frau die Möglichkeit haben sollte, sich für oder gegen eine Schwangerschaft entscheiden zu können. Es ist schließlich ihr Körper. Vieles sollte einfacher und Bürokratie abgebaut werden.
Aber für Mädchen, die so jung wie ich sind, wäre es bestimmt gut, wenn man mehr als ein Beratungsgespräch führen würde. Schwangerschaftsabbrüche müssen raus aus der Tabu-Ecke und Vorurteile abgebaut werden. Das würde es Betroffenen wie mir leichter machen.
„Was wäre, wenn ich mich anders entschieden hätte?“
Ich traue mich immer noch nicht, offen darüber zu sprechen. Bis auf meinen damaligen Freund weiß es bis heute niemand. Obwohl mich die ungewollte Schwangerschaft noch heute, mehr als zehn Jahre später, immer mal wieder einholt. Ich weiß zum Beispiel noch ganz genau das Datum, an dem ich den positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt und muss jedes Jahr daran denken.
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Ich bin heute sehr glücklich mit meinem Leben und dankbar für meine Kinder. Trotzdem frage ich mich manchmal: Was wäre, wenn ich mich damals anders entschieden hätte? Anderen Betroffenen kann ich deshalb nur dazu raten, über ihre Situation zu sprechen und die Entscheidung nicht leichtfertig zu treffen. Sie wird das Leben verändern – egal, ob man sich für oder gegen das Kind entscheidet.“
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