Iserlohn. Rahel und ihr Freund wollen keine Kinder kriegen. „Ich habe das Gefühl, dass es von Frauen immer noch erwartet wird, Mutter zu werden“, sagt sie.
Und plötzlich war es da, das Thema Kinderwunsch. Denn auf einmal fingen Freundinnen und Bekannte an, Rahel Fragen zu stellen. Fragen wie: „Wann ist es denn bei euch so weit?“ Und: „Du wärst sicher eine gute Mutter“, brachten die junge Frau aus Iserlohn zum Nachdenken. Auch im Bekanntenkreis wird gerade „gefühlt ständig jemand schwanger oder plant, Eltern zu werden“, sagt Rahel, die ihren Nachnamen nicht öffentlich lesen möchte.
Rahel ist 28 Jahre alt, ihren Freund hat sie kennengelernt, da war sie 19. Für einige in ihrem Umfeld also eine gute Voraussetzung, Mutter zu werden. „Ich habe den Eindruck, dass es von Frauen regelrecht erwartet wird, ab einem gewissen Alter übers Mutterwerden nachzudenken“, sagt Rahel. Bei ihr schlichen sich jedoch schnell Zweifel ein: In welche Welt würde sie ein Kind setzen? Und welche Konsequenzen würde das für das Leben des Kindes mit sich bringen?
„Man spürt die Auswirkungen der Klimakrise schon jetzt sehr deutlich“, sagt die Studentin der Landschaftsarchitektur, die in ihrem Studium etwa dazu forscht, wie es gelingen kann, dass Städte nicht austrocknen. Bei der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 bekam sie die Folgen direkt vor der Haustür mit. So habe ihr Vater gerade noch Glück gehabt, dass seine Firma nicht weggeschwemmt wurde. „Das hat mir noch einmal mehr vor Augen geführt, was es bedeuteten kann, wenn wir nicht umdenken.“ Für sie und ihren Partner steht nun fest: Sie werden keine Kinder bekommen.
Keine Kinder in der Klimakrise: Jeder Vierte unter 30 will verzichten
Fragen, wie Rahel und ihr Freund sie sich stellten, treiben derzeit viele junge Menschen um. Eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) kam erst kürzlich zu dem Ergebnis, dass sich jede und jeder Vierte der unter 30-Jährigen in Deutschland vorstellen kann, wegen der Klimakrise auf eigene Kinder zu verzichten.
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Auch in Rahels Freundeskreis wird das Thema gerade oft und offen diskutiert. Viele verstehen die junge Frau, haben ähnliche Zweifel und Ängste. „Es gibt aber auch Freunde, die das ganz anders sehen: Einer hat mich neulich gefragt: Wer soll denn die Welt zu einem besseren Ort machen, wenn wir keine Kinder mehr haben, denen wir die richtigen Werte mitgeben können?“ Diesen Gedanken könne sie nachvollziehen, sagt Rahel. Und wenn Freunde von ihr Eltern werden, freut sie sich mit ihnen. Das sei nur eben nicht ihr eigener Fokus.
In den nächsten Jahren sehe sie viele Konflikte auf die Menschen zukommen: „Der Meeresspiegel steigt, die Temperaturen steigen. Lebensräume werden damit knapper, es kommt zu Fluchtbewegungen. Schon jetzt kommt es dadurch zu politischen Spaltungen. Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht. Für mich persönlich ist es deshalb unverantwortlich, ja, fast schon egoistisch, mich für ein Kind zu entscheiden, ohne darüber nachzudenken, was in 30 Jahren passiert, wenn das Kind so alt ist wie ich heute.“
„Viele können nicht nachvollziehen, dass Klima ein Grund gegen Kinder sein kann“
Matthias Kettner, Professor für Praktische Philosophie an der Uni Witten/Herdecke, hält es für ein widersprüchliches Argument, Kindern etwas ersparen zu wollen, indem man sie erst gar nicht in die Welt setzt. Denn einem Wesen, das noch gar nicht da ist, könne man nichts ersparen. „Aus ethischer Sicht sage ich: Falls ich ganz sicher wüsste, dass mein Kind ein furchtbar schlechtes Leben haben wird, dann hätte ich womöglich einen Grund. Aber das kann niemand mit Sicherheit sagen“, so Kettner. (Lesen Sie hier das Interview mit Professor Matthias Kettner zum Thema: Endzeitstimmung: Warum junge Menschen keine Kinder wollen)
Rahel ist in einer Familie aufgewachsen, der Umweltschutz und Nachhaltigkeit schon immer wichtig war. Ihre Mutter wickelte sie und ihre Schwester mit Stoffwindeln, eingekauft wurde meist im Unverpacktladen. Heute trägt Rahel fast ausschließlich Second-Hand-Kleidung, ist in ihrer Wahlheimat Osnabrück viel mit dem Rad unterwegs und greift im Supermarkt zu Fleischalternativen.
Nicht selten stößt sie – vor allem bei Menschen aus der älteren Generation – mit ihren Ansichten auf Unverständnis. „Viele können nicht nachvollziehen, dass Klima ein Grund gegen Kinder sein kann. Das Thema wird schnell heruntergespielt. Dabei muss der jungen Generation endlich zugehört und ihre Sorgen ernstgenommen werden.“
Geburtenrate sinkt in NRW
Zuletzt wurden 2015 so wenige Kinder geboren wie im vergangenen Jahr. Haben sich die Entbindungszahlen nach einem sprunghaften Anstieg 2016 relativ konstant gehalten, sind sie im vergangenen Jahr wieder eingeknickt. Das zeigt eine Statistik des Landes NRW.
Gleichzeitig entscheiden sich knapp ein Viertel der Befragten bewusst gegen eigene Kinder, wie aus einer Umfrage des ZDF hervorgeht. Während in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Geburtenzahl pro Frau hierzulande im Durchschnitt noch bei circa vier bis fünf und in den 1960er-Jahren bei circa 2,5 lag, bewegt sich die Geburtenquote in den letzten Jahren um die 1,5, mit zuletzt fallender Tendenz.