Soest. Windkraft-Pionier Johannes Lackmann aus Paderborn hält Erlöse für zu hoch: „Wir brauchen so viel Geld nicht“. Netzausbau unnötig teuer.

Hohe Energiekosten nennen Unternehmen am Standort Deutschland als einen wesentlichen Grund dafür, stärker im Ausland zu investieren. Der Strompreis könnte bereits heute deutlich niedriger sein, wenn die Vergütungen für die Stromerzeugung mit Windenergieanlagen besser geregelt wären. Das sagt ausgerechnet Johannes Lackmann, ein Pionier der Windkraftbranche: „Die Vergütung für die Windkraftbetreiber ist zu hoch. Wir brauchen so viel Geld nicht!“ Die Stromkosten würden durch falsche Anreize künstlich hochgehalten.

Mitautor des ersten EEG

Beliebt macht sich Lackmann mit solchen Aussagen in der Branche nicht unbedingt. Aber er weiß, wovon er spricht, ist einer der anerkannten Experten beim Thema Energiewende und Mitautor der ersten Version des Erneuerbaren Energien Gesetzes, kurz EEG.

Seit 1993 beschäftigt sich der Ingenieur mit der Entwicklung von Windenergieprojekten. Er war beteiligt am ersten Windpark im Kreis Paderborn. Seit den 1990er Jahren plant, baut und betreibt Lackmann Bürgerwindkraft-Projekte, davon rund 180 Anlagen im Raum Paderborn. Johannes Lackmann ist erheblich daran beteiligt, dass sich seine Heimat, der Kreis Paderborn, bereits seit 2018 zu einhundert Prozent selbst mit Erneuerbarem Strom versorgt.

Früherer Preäsident des Bundesverbands Erneuerbare Energien

Von 1999 bis 2008 war Lackmann Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energien, also als Lobbyist für Strom aus Photovoltaik- und Windanlagen unterwegs. Bis heute zählt er zu den Energiewendexperten, die unverblümt ihre Kritik an politischen Rahmenbedingungen äußern.

Johannes Lackmann, Geschäftsführer Lackmann Phymetric, ist Windkraftbetreiber der ersten Stunde. Gespräch über zu hohe Netzgebühren und überzogene Pachten, die den Strom teurer machen als nötig.

„Ich schätze das Kostensenkungspotenzial bei Wind an Land auf mindestens 3,5 Cent pro Kilowattstunde.“

Johannes Lackmann

Im Oktober vergangenen Jahres wurde der Ostwestfale für sein unermüdliches Engagement für eine Energiewende mit dem Deutschen Solar-Ehrenpreis ausgezeichnet. Zu den Laudatoren im Emil-Schumacher-Museum in Hagen gehörte auch NRW-Wirtschafts- und Klimaschutzministerin Mona Neubaur (Die Grünen).

Auktionsmodell eine teure Mogelpackung

Lackmann nimmt bei seiner Kritik niemanden aus: „Robert Habeck traut sich nicht“, sagt Lackmann, wenn es etwa um das Thema Auktionsmodelle geht. Die Idee der Bundesregierung war, mit Auktionen für die Vergabe von Stromkapazitäten den Ausbau der Erneuerbaren Energien attraktiver und damit schneller zu machen. Seit 2017 wird so der Zubau an Anlagen geregelt. Zum Zuge kommen sollen die Anbieter, die eine bestimmte Menge Strom für einen günstigen Preis bereitstellen. Die teuersten Mitbieter bei den Auktionen würden dann keinen Zuschlag erhalten. So weit die Theorie. Die Praxis sieht laut Lackmann anders aus. Dies bestätigt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zumindest in Teilen.

Ministerium plant an Realitäten vorbei

Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien stammen, lautet das erklärte und nach wie vor aktuelle Ziel der Bundesregierung.  „Die im EEG festgelegten Ausschreibungsmengen wurden aus den ambitionierten Ausbauzielen für erneuerbare Energien der Bundesregierung abgeleitet und sind erforderlich, um das Ziel zu erreichen, den Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Bruttostromverbrauch auf mindestens 80 Prozent im Jahr 2030 zu steigern“, heißt es auf Anfrage dieser Zeitung aus dem BMWK. Es wird also so viel ausgeschrieben, wie politisch notwendig wäre, um die Klimaziele zu erreichen. Genau diese Logik sei eines der Probleme, die den Strompreis künstlich in die Höhe trieben, sagt Lackmann. Bei den Auktionen würden theoretische Mengen ausgeschrieben, weil sie zu den Zielen der Bundesregierung passen, nicht aber zu den realen Kapazitäten am Markt. „Selbst wenn es keine Hürden beim Ausbau der Windkraft gäbe, würden die Volumen nicht reichen, um die in den Auktionen ausgeschriebenen Mengen zu erreichen“, sagt Lackmann. Die Folge: Alle Bieter blieben nur geringfügig unter der maximal angebotenen Vergütung in Höhe von aktuell 7,35 Eurocent pro Kilowattstunde.

Ausgeschrieben wird über die Bundesnetzagentur (BNetzA). Bei der jüngsten Auktion für August wurde die ausgeschriebene Menge deutlich reduziert, um das von Lackmann beschriebene Risiko zu minimieren. Das Bundesministerium räumt ein, dass in der Vergangenheit die Ausschreibungen teilweise „unterzeichnet“ gewesen seien. Die Bundesregierung habe in dieser Legislatur den Ausbau der erneuerbaren Energien insgesamt aber auf Zielkurs gebracht, heißt es aus dem Ministerium. Gestiegene Genehmigungszahlen und Ausbaudynamik belegten dies. Laut Anlagenhersteller Enercon betrage die durchschnittliche Genehmigungsdauer neuer Windkraftanlagen an Land allerdings immer noch zwei Jahre.

Referenzertragsmodell setzt falsche Anreize

Damit Windenergieanlagen nicht nur an den besten, sozusagen windigsten Flecken der Republik gebaut werden, gibt es das Referenzertragsmodell. Wer Anlagen an weniger guten Standorten baut, bekommt garantiert einen Ausgleich vom Staat, damit nicht nur an der Küste oder guten Standorten in Mittelgebirgen investiert wird. Was sich gerecht anhört und gut für einen gleichmäßigen Ausbau sein sollte, ist aus Sicht des Windkraft-Urgesteins Lackmann mittlerweile ein weiteres Problem, das den Strom in Deutschland unnötig teuer macht. Wenn Windparkbetreiber Anlagen sehr nah beieinander bauen würden, sinkt der Stromertrag, dafür steigt die Vergütung aus dem EEG, das seit 2023 den Bundeshaushalt belastet. „Zusammen mit den anderen Fehlregulierungen wie zu hohen Pachten, dem fehlenden Wettbewerb bei Auktionen und Kosten durch Bürokratieaufwand, schätze ich das Kostensenkungspotenzial bei Wind an Land auf mindestens 3,5 Cent pro Kilowattstunde“, sagt Lackmann – und hat dabei das Thema Netzentgelte noch gar nicht eingerechnet.

Stromnetze optimal nutzen, um Kosten für Allgemeinheit zu senken

Der Experte kritisiert die Methode, nach der die Netzkapazität berechnet wird. Vorsorglich muss immer der Ausfall einer Leitung abgefangen werden können – das präventive „N-1“-Prinzip. Nach der gängigen Methode sei das Stromnetz dadurch vielleicht zu 50 oder 70 Prozent ausgelastet, in den Verteilnetzen sogar nur zu 20 Prozent, glaubt Lackmann. Bei Photovoltaik- und Windkraftanlagen sei das unnötig, da sie von jetzt auf gleich abgeschaltet werden könnten, wenn es zu einer Überlastung kommt. Würden die bestehenden Netze besser ausgenutzt, müssten weniger neue Leitungen gebaut werden bei entsprechend weniger Kosten, die die Strompreise in Deutschland auch für Privatkunden enorm belasten. Ein genaues Monitoring durch die Netzbetreiber könnte ebenfalls zu einer optimalen Auslastung führen. Netzbetreiber wie Westnetz tun dies nach eigenen Angaben bereits. Dazu würden digitale Ortsnetzstationen und Smart Meter genutzt, um online die Belastungen im Mittel- und Niederspannungsnetz kontrollieren zu können.

Erdkabel erhöhen Kosten dauerhaft um ein Vielfaches

Das Füllhorn an Vorschlägen des 73-jährigen Lackmann ist damit noch nicht erschöpft: Er propagiert den Abschied vom Gedanken, neue Leitungen unter die Erde zu legen. Dies sei nicht nur sieben Mal teurer beim Bau, sondern auch bei der Unterhaltung. Die Politik hatte sich zunehmend für Erdverkabelung statt Freileitungen ausgesprochen, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen. Angesichts der zu hohen Strompreise sollte man sich davon verabschieden, fordert Lackmann. Daraus wird aber wohl nichts. Die Übertragungsnetzbetreiber haben bereits mit dem Ausbau angefangen. „Die Diskussion der letzten Monate hat gezeigt, dass sich kein gemeinschaftlicher Konsens für die Aufhebung des Erdkabelvorrangs finden lässt“, heißt es dazu aus dem Bundesministerium. Der Fokus sollte aus Sicht des BMWK nun darauf liegen, die Projekte zügig im geltenden Rechtsrahmen, also für Gleichstromprojekte als Erdkabel, umzusetzen, erklärt ein Sprecher. Lackmanns Liste ließe sich fortsetzen. Beispielsweise um das Thema Pacht von Flächen für Windkraft. „Hier werden eine Handvoll Leute reich gemacht auf Kosten aller Stromkunden“, sagt Lackmann. Bis zu 30 Prozent der Erträge eines Windrades würden gezahlt. Das allein sei ein Indiz dafür, wie einträglich das Geschäft sei. Pachten sollten auf maximal fünf Prozent des Ertrags gedeckelt sein, andernfalls die EEG-Vergütung gestoppt werden.

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