Marsberg/Hagen. Investorengruppe soll insolventen Glashersteller aus Marsberg retten. Nun sind auch die Mitarbeiter am Zug. Gewerkschaft übt Kritik.
Zwei Monate nach Einleitung des Insolvenzverfahrens in Eigenregie steht die Ritzenhoff AG vor einem Neustart und weitreichenden Veränderungen. Die Investorengruppe um die Familie Ritzenhoff/Zeppenfeld und Unternehmer Robert Tönnies, die bereits früh ihr Interesse an einem Rückkauf des angeschlagenen Glasherstellers aus Marsberg hinterlegt hatte, soll das Rennen machen. Das bestätigten die aktuellen Ritzenhoff-Verantwortlichen im Gespräch mit der WESTFALENPOST.
Die Investoren hätten mit den Banken, die zu den Ritzenhoff-Gläubigern gehören, eine Einigung über den Kaufpreis erzielt, es liege ein notariell beglaubigtes Kaufangebot für Ritzenhoff vor. Die Investoren wollten das gesamte Unternehmen erwerben, auch die Immobilien und die Markenrechte. „Den Kaufpreis dürfen wir nicht kommunizieren. Das ist vertraulich. Zudem muss der Gläubigerausschuss entscheiden“, sagte der Generalhandlungsbevollmächtigte Jens Lieser und ergänzte: „Ich bin zuversichtlich, dass der Gläubigerausschuss das vorliegende Angebot annimmt.“
Im Gläubigerausschuss sitzen neben den Banken Vertreter von Lieferanten, des Betriebsrats und der Bundesagentur für Arbeit. Dieses Gremium soll am Mittwoch tagen. Zuvor sind aber die Ritzenhoff-Mitarbeiter gefragt, über das Investorenangebot abzustimmen, das einen Umbau des Traditionsunternehmens vorsieht. In einem Schreiben an die Mitarbeiter, das der WESTFALENPOST vorliegt, ist von einer „wesentlichen Weggabelung“ die Rede.
Aufteilung in neue Gesellschaften
Wie Lieser und der Ritzenhoff-Vorstand Carsten Schumacher berichten, wurde den Mitarbeitern am Montag im Rahmen einer Betriebsversammlung das Angebot der Investorengruppe vorgestellt. Dieses Konzept sieht unter anderem die Aufteilung des Unternehmens in drei neue Gesellschaften vor: die RZT Group GmbH, die RZT Glass GmbH und die RZT Decoration GmbH. Als vierte Gesellschaft komme die bereits bestehende Designer Homeware Distribution GmbH dazu. RZT steht für die Namen der Investoren Ritzenhoff/Zeppenfeld und Robert Tönnies. Der Firmenname Ritzenhoff soll laut Vorstand Schumacher aber erhalten bleiben.
Die Mitarbeiter der Verwaltung sollen in die RZT Group GmbH wechseln, in die auch die Immobilien, Maschinen und Markenrechte übergehen, wie Schumacher erläuterte. Die Mitarbeiter der Produktion, des Vetriebs, der Logistik und des Marketings sollen künftig der RZT Glass GmbH angehören; diese wäre laut Schumacher mit etwa Dreiviertel der nach Stellenabbau noch rund 340 Beschäftigten die größte Unternehmenssparte. Die Mitarbeiter der Veredlung sollen in die RZT Decoration wechseln. „Diese Aufteilung ist steuerlich motiviert“, erklärte Schumacher, der ein Vertrauter von Investor Robert Tönnies ist und künftig als Geschäftsführer das neue Ritzenhoff-Unternehmen führen soll.
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Die Mitarbeiter sind bis Mittwoch, 12 Uhr, aufgerufen, schriftlich über das Konzept abzustimmen, das auch finanzielle Bedingungen für die Beschäftigten regelt, welche Vorstand Schumacher für akzeptabel hält. So werde beispielsweise dieses Jahr kein Weihnachtsgeld ausbezahlt, 2025 hingegen schon – sollte ein Gesamtumsatz in Höhe von 62,5 Millionen Euro erreicht werden.
Für die Annahme des vorliegenden Investorenangebots werde die Zustimmung von 95 Prozent der Mitarbeiter benötigt. „Ich wäre überrascht, wenn wir die erforderliche Zustimmung der Mitarbeiter nicht erreichen, weil die Mitarbeiter wissen, dass Ritzenhoff nun gute Zukunftsaussichten hat“, sagte Schumacher. Sollte die erforderliche Zustimmung ausbleiben, würde „unser Geschäftsbetrieb zum 1. April 2024 eingestellt werden müssen“, heißt es in dem erwähnten Mitarbeiter-Schreiben.
Millionen-Investitionen erforderlich
Vorstand Schumacher rührte wie auch Jens Lieser die Werbetrommel für das Angebot der Investorengruppe. Diese sei bereit, den Standort Marsberg zu erhalten und erforderliche Investitionen in das Unternehmen zu tätigen, die mit 20 bis 25 Millionen Euro angegeben werden; beispielsweise müsse eine neue Glasschmelzwanne angeschafft werden, die laut Schumacher rund sieben Millionen Euro koste.
Der Investitionsbedarf, den die Verantwortlichen als erforderlich bezeichnen, um Ritzenhoff zu modernisieren und wieder wettbewerbsfähig zu machen, könnte sich auf die Suche nach einem Investor für die insolvente Ritzenhoff AG ausgewirkt und den Interessentenkreis reduziert haben. Hinzu kommen ein laut Lieser schwieriges Marktumfeld und die Rezession, in der die deutsche Wirtschaft steckt, sowie kartellrechtliche Erwägungen, da die Glasindustrie in Deutschland „nicht riesengroß“ sei. „Die Suche nach einem Investor war nicht einfach, die Nachfrage war nicht sehr hoch“, sagte Lieser und betonte: „Wir sind froh, dass wir eine stabile Lösung gefunden haben. Die Investorengruppe um die Familie Ritzenhoff/Zeppenfeld und Robert Tönnies will die erforderlichen Investitionen in das Unternehmen tätigen. Das wird die Zukunft von Ritzenhoff sichern.“
Robert Tönnies hatte wenige Monate vor der Insolvenz 49 Prozent der Anteile an der Ritzenhoff AG erworben. Laut Schumacher soll der Neffe von Clemens Tönnies nun erneut in dieser Größenordnung an dem Unternehmen beteiligt werden, das zuletzt insgesamt 89 Stellen gestrichen hat.
Gewerkschaft sieht Mitarbeiter unter Druck gesetzt
Kritik kommt indes von der Gewerkschaft IGBCE, mit der Ritzenhoff die Verhandlungen über einen Sanierungstarifvertag am Donnerstag abgebrochen hatte, wie beide Seiten bestätigen. Die Entscheidung, die Ritzenhoff-Mitarbeiter nun bis Mittwochmittag über das Fortführungskonzept abstimmen zu lassen, gehe mit immensem Druck des Arbeitgebers einher. „Unsere Mitglieder fühlen sich massiv unter Druck gesetzt“, sagte Gewerkschaftssekretär Andreas Bier der WESTFALENPOST (lesen Sie hier die ausführlichen Aussagen). Auch der Betriebsrat, der sich erst nach der Abstimmung am Mittwoch äußern möchte, sei „massiv“ unter Druck gesetzt worden.
Ritzenhoff-Vorstand Schumacher räumte ein, dass es eine Drucksituation gebe, diese liege allerdings im Ablauf des Insolvenzverfahrens und des Investorenprozesses begründet und sei nicht von den Verantwortlichen „konstruiert“ worden.
Gewerkschaftssekretär Andreas Bier kritisierte zudem, dass Mitarbeiter im Rahmen des vorgelegten Fortführungskonzepts der Investorengruppe auf „erhebliche monetäre Leistungen“ verzichten müssten und dass die genannten Investitionen in das Unternehmen zu Automatisierungsprozessen führen könnten, „die dann auch Arbeitskräfte überflüssig machen“.