Sundern. Das Smartphone auf der Straße nutzen? Undenkbar für die Bürger in Sundern-Brenschede. Warum im Sauerland nun endlich Hoffnung keimt.
Es bietet sich dem Fremden ein skurriles Bild, hier, zwei Kilometer vor dem Sunderner Ortsteil Brenschede im tiefen Sauerland: Vor einem Holzlager steht eine kleine Ansammlung von Menschen, alle mit Smartphone am Ohr, alle im Gespräch vertieft. Warum sie hier stehen, in freier Natur, erklärt sich wenig später bei der Fahrt in Richtung Dorf: Man verlässt die digitale Welt. Die Menschen vor dem Holzlager sind auf der Flucht - sie fliehen vor dem Funkloch namens Brenschede.
Berühmtheit erlangt
In Brenschede mit seinen 65 Einwohnern und 16 Häusern gibt es kein Netz, von keinem Anbieter. Laut Bundesnetzagentur gehört Brenschede zu den 0,32 Prozent der Orte in Deutschland, die über keine Netzabdeckung verfügen. Das hat dem 710 Jahre alten und in einem Tal gelegenen Dorf ungewollt zu einer gewissen Berühmtheit verholfen. Seit diese Zeitung erstmals 2014 über den Kampf der Bürger um Empfang im oberen Röhrtal berichtet hat, geben sich Journalisten aus der ganzen Republik die Klinke in die Hand: WDR, TAZ, RTL und sogar die Satire-Sendung Heute-Show mit Oliver Welke schauten vorbei.
Für die Brenscheder brachte die mediale Aufmerksamkeit über ihr „digitales Leben wie in der Dinosaurierzeit“ nur bescheidenen Erfolg: Es gibt im Dorf immer noch kein Handynetz, aber immerhin haben die Sauerländer seit 2018 Festnetz-Internet mit 100 Megabit pro Sekunde bekommen. „Das ermöglicht es mir, im Homeoffice zu arbeiten“, sagt Holger Hengesbach – und fügt hinzu: „Noch rechtzeitig vor der Pandemie.“ Aber es bleibt das Mobilfunk-Problem. Der IT-Spezialist und CDU-Ratsherr setzt sich vehement seit einem Jahrzehnt für eine schnelle und sichere Verbindung ein. Die meisten der Bewohner, so der 40-Jährige, hätten resigniert und glaubten nicht mehr an die Versprechen der Politiker in Berlin und Düsseldorf.
Mobilfunkbetreiber in der Pflicht
Hengesbach erinnert an die Worte der Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne), die immer wieder darauf hinweist, dass NRW seinem Ziel einer flächendeckenden Versorgung näherkomme. Nach und nach würden die verbleibenden Funklöcher zügig geschlossen, hat sie angekündigt. Mit der Errichtung des bundesweit ersten geförderten Mobilfunkmastes der Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft im November 2023 am Möhnesee keimte in Brenschede Hoffnung auf. Die Ministerin nahm beim Start die Mobilfunknetzbetreiber in die Verantwortung, die letzten Lücken im ländlichen Raum zu schließen.
Tatsächlich sollte 2023 die Deutsche Funkturm GmbH im Auftrag der Telekom auf Brenschedes Schützenplatz einen Funkmast errichten. Letztlich wurde er im höher gelegenen Nachbardorf Röhrenspring aufgestellt. Allerdings geriet er zu kurz und wurde aus Sicht der Brenscheder auf der falschen Seite der Bergkuppe platziert, sodass die Bewohner im Talkessel in die Röhre schauten. Die Röhrenspringer haben nun den Handyempfang, den auch Meinkenbracht schon lange hat. Nur das Nachbardorf Brenschede geht leer aus.
Offene Briefe an Politiker
Dabei haben die Brenscheder lange Zeit um Anschluss gekämpft. Mit Unterschriftenaktionen und offenen Briefen an Telekom, Düsseldorf und die Stadt Sundern. Bis vor wenigen Jahren gab es im Dorf nur ISDN. „8 Kilobyte pro Sekunde“, wie sich Holger Hengesbach erinnert. Das habe bei so manchem Jugendlichen für Frustration gesorgt. Bei Ballerspielen habe sich die Seite so langsam aufgebaut, dass die Kugel auf dem PC im Dorf den Lauf noch nicht verlassen hatte, aber der Mitspieler in der Nachbargemeinde schon wusste, dass sein Gegner Geschichte ist.
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Holger Hengesbach will den Kampf nicht aufgeben. Zurzeit lebe er „im Tal der Hoffnung“. Seit fünf Jahren verfügen die Brenscheder über W-Lan-Call: „Das rettet uns gerade“, so der Sauerländer. Schnelles Internet und Handyempfang seien im Haus möglich, aber man sei gefangen in der W-Lan-Blase.
Gefährliche Augenblicke im Funkloch
Und das bislang fehlende Netz ist für die Brenscheder nicht nur ärgerlich. Manchmal ist es auch gefährlich: 2014 wurde bei Arbeiten in einem Waldstück nahe Brenschede ein Waldarbeiter schwer verletzt. „Ein komplizierter Kniebruch“, berichtet Hengesbach. Ein Arbeitskollege sei damals mit seinem Harvester auf den Berg gefahren, um per Handy Hilfe zu rufen. „Da ist wertvolle Zeit verloren gegangen“, erzählt der 40-Jährige.
Und es gibt noch weitere Bürger, die ihre Funkloch-Erfahrungen gemacht haben. Etwa Adrian Trompeter, der 2018 nach Brenschede gezogen ist. „Heimat“, sagt der 39-Jährige. Er liebe das Landleben. Das Funkloch habe anfangs abschreckend gewirkt. Immerhin gehöre er der Internet-Generation an. Der Krankenpfleger kommt sich auf der Straße im Dorf vor wie im Mittelalter. Heiser, sagt er, würde er sich mit seinem Mountainbike nicht in den umliegenden Wald wagen. „Im Notfall muss man gut bei Stimme sein.“ Für den Ort im Tal, so Trompeter, interessiere sich keiner. „Ein Anschluss lohnt sich anscheinend wirtschaftlich nicht.“ Die Telekom und andere Betreiber säßen „das einfach aus. Wir sind vergessen worden“.
Hoffnung hat hingegen Sebastian Klüppel-Schwermann, ein weiterer Bürger: „Die Frage ist nur, wann wir endlich angeschlossen werden?“ Der technische Produktmanager lebt seit fünf Jahren im oberen Röhrtal. Traurig sei er, „dass man es in Deutschland nicht hinbekommt, ein Dorf an die große weite Welt anzuschließen“. Der 35-Jährige erinnert sich noch an einen Motorunfall im vergangenen Jahr. „Ein Biker kam verletzt zu uns und bat um die Möglichkeit, zu telefonieren, um Hilfe zu rufen.“ Als Steuerzahler, sagt er, wünsche man sich eine schnellere Lösung.
Und die kommt nun vielleicht tatsächlich: Wie die Telekom am Montag auf Anfrage der Redaktion sagte, soll Vodafone im Rahmen der Erschließung weißer Flecken einen Funkmasten in Brenschede planen. „Diesen Standort werden wir als Deutsche Telekom mitnutzen“, so Telekomsprecher Maik Exner. Das bestätigt auch Robin Hagenmüller von Vodafone. Das Baugenehmigungsverfahren sei gestartet. „Wir gehen derzeit davon aus, dass wir den Mast im Frühjahr 2025 errichten können.“ Der sei so konzipiert, dass er von mehreren Netzbetreibern genutzt werden könne.
Auf der Flucht vor schädlichen Strahlen
Dann sind Anekdoten, wie Holger Hengesbach sie zu erzählen weiß, wohl Vergangenheit. Wie die über Brenschede als Sehnsuchtsort, den 2018 ein junger Mann aus dem Ruhrgebiet ansteuerte. Der Dortmunder klingelte damals nach der medialen Aufmerksamkeit für das Dorf im Dunkeln an Hengesbachs Haustür: „Es kam mir vor wie Maria und Josef.“ Der Mann habe gefragte, ob er mit seinem Wohnmobil auf seinem Hof übernachten könne, er sei auf der Flucht vor schädlichen Funkstrahlen und er wolle endlich mal eine Nacht ohne Sorgen um seine Gesundheit schlafen.