Lüdenscheid. In Rekordzeit von einem Jahr ist die Brücke in Lüdenscheid-Brügge neu gebaut worden. Doch der Betrieb steht trotzdem noch Monate still.
So richtig weiß Tobias Hauschild nun auch nicht, wie er sich eigentlich fühlen soll. Einerseits ist der Netzleiter Deutsche Bahn im Großraum Hagen froh, dass dieses Bauwerk wirklich innerhalb eines Jahres fertig geworden ist. Bei dem Bauwerk handelt es sich um eine Brücke mit Gleisen im Lüdenscheider Stadtteil Brügge im Volmetal. Drei bis fünf Jahre würden Planung und Neubau normalerweise brauchen. „Die Brücke ist in wahnsinniger Geschwindigkeit gebaut worden“, sagt er: „Umso schmerzhafter ist, dass wir den Betrieb nicht aufnehmen können.“
Verkehrsprobleme: Lüdenscheid und seine kaputten Brücken
Es ist eine Pointe, über die niemand lachen kann. Das liegt an der Kulisse, in der sie spielt. Denn Lüdenscheid ist die Stadt, in der es eine Autobahnbrücke zu republikweiter Bekanntheit gebracht hat: Weil die Talbrücke Rahmede auf der A 45 einsturzgefährdet war, musste die wichtige Nord-Süd-Verbindung im Dezember 2021 gesperrt und das Bauwerk im vergangenen Mai gesprengt werden. Mitte 2026 soll der Verkehr wieder fließen können. Ein Reizthema in der Region.
Gleichzeitig ist Lüdenscheid seit Juli 2021 aus Dortmund und Hagen nicht mit dem Zug zu erreichen. Grund dafür: die Jahrhundertflut, die damals wütete und vor allem das Volmetal traf. Brücken und Befestigungen wurden teils schwer beschädigt – wie die Brücke in Brügge, deren Schäden im Sommer 2022 erkannt wurden. Die Regionalbahnen 25 und 52 verbinden Lüdenscheid mit Hagen, Dortmund, dem Oberbergischen und Köln. 70 Züge am Tag – normalerweise. Keiner seit Monaten und Jahren.
Die Brücke in Brügge schien der Schlüssel zu sein zur Wiederaufnahme des Betriebs. Der ambitionierte Plan war, dass die Züge mit dem anstehenden Fahrplanwechsel im Dezember 2023 wieder durchs Volmetal rollen. Nun wird in Lüdenscheid eine neue Brücke in Rekordzeit tatsächlich fertig – und es hilft nichts. Operation gelungen, Patient weiter klinisch tot. Grund: Die bröselnde Infrastruktur in der gesamten Region. Nun sollen die Züge im April 2024 zum erneuten Fahrplanwechsel wieder fahren.
Die anderen Baustellen auf der Strecke verhindern die Inbetriebnahme
„Alles hängt miteinander zusammen“, sagt Tobias Hauschild beim Ortstermin am Dienstag, zu dem die Deutsche Bahn eingeladen hat. Die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit hat Schaubilder mitgebracht, auf denen die anderen Baustellen zu sehen sind. Rot eingefärbt sind die, die in diesem Jahr nicht mehr fertig werden.
Zum Beispiel die Volmetalbrücke in Hagen-Eilpe, unter der die Gleise der Bahn verlaufen. Der Teil der Bundesstraße 54 musste vor einigen Wochen komplett für den Straßenverkehr gesperrt werden. Die Lkw, die wegen der gesperrten Talbrücke Rahmede über Hagen ausweichen, hatten ihr mutmaßlich den Rest gegeben. Notdürftig wurde das Bauwerk instand gesetzt, der Verkehr rollt mit Einschränkungen wieder. Die dauerhafte Reparatur wird laut Straßen NRW im ersten Quartal 2024 erfolgen - wohl unter Vollsperrung für zwei bis vier Wochen. Züge? Können dann ebenfalls nicht fahren.
Anderes Beispiel: die Eisenbahnbrücke in Schalksmühle, die über die Bundesstraße 54 führt. Die Bahn hatte nach eigener Auskunft die zugfreie Zeit nutzen wollen, um auch diese Brücke zukunftsfähig zu machen. Ergebnis: die Schäden sind größer als erwartet, umfangreiche Instandsetzungsmaßnahmen am Stahlbau nötig. 8000 Nieten müssen mit einem aufwändigen Schraubverfahren erneuert werden. Die Arbeiten werden – Stand jetzt – bis April dauern.
Gleiches gilt für den Neubau zweier Brücken zwischen Overath und Engelskrichen, wo die Trasse der RB 25 hinführt. Kein Problem Südwestfalens, aber dennoch relevant. Denn: Auf den neuen Teilen der Trasse im Volmetal wird zur finalen Bearbeitung eine sogenannte Gleisstopfmaschine benötigt. Mit ihr wird der Untergrund verdichtet. Das Gerät ist größer als ein Eisenbahnwagon und wird über die Schiene angeliefert. Das wiederum ist sowohl von Norden als auch von Süden derzeit noch unmöglich – wegen der Baustellen. „Unbefriedigend“, nennt Hauschild den Umstand, die schöne neue Brücke noch nicht nutzen zu können. Der Schienenersatzverkehr bleibt bestehen.
Um die Infrastrukturprobleme zu beheben, hilft nur: Maßnahmen bündeln
Diese Episode verdeutlicht, wie sehr Bahn und der Landesbetrieb Straßen bei der Erneuerung der Infrastruktur von einer Bredouille in die nächste geraten – gerade in Südwestfalen. „Wir sind nicht überrascht davon, dass die Bauwerke, die um die Jahrhundertwende errichtet wurden, das Ende ihres Lebenszyklusses erreichen“, sagt Hauschild. „Deshalb muss der Weg zwingend sein, Maßnahmen zu bündeln.“
Man wisse, dass man dem Kunden viel zumute. „Aber lieber einmal einen harten Einschnitt und dafür viele Jahre Baufreiheit.“ Wenn im April die Züge wieder rollen, dann sei die Strecke durchs Volmetal gut gerüstet für die Zukunft. Wird es auch wirklich April? „Wir sind sehr sicher, dass das klappt“, sagt Hauschild.
In Lüdenscheid sorgen die Nachrichten für Wut und Enttäuschung. „Dass wir jetzt wieder um mehrere Monate vertröstet werden, ist ein schwerer Schlag für die gesamte Region und die Menschen, die hier leben und arbeiten“, wird Bürgermeister Sebastian Wagemeyer (SPD) in einer Mitteilung der Stadt deutlich: „Es ist nicht hinnehmbar, dass es im April fast drei Jahre sein werden, in denen zwischen Dortmund beziehungsweise Hagen und Lüdenscheid kein Zug mehr gefahren ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die A45 bei Lüdenscheid über mehrere Jahre gesperrt ist, ist das eine absolute Katastrophe“.
Auch die Kommunikation der Bahn stößt Wagemeyer auf. Erst am Dienstagmorgen habe die Deutsche Bahn die Stadt Lüdenscheid per E-Mail über die neuerlichen Verzögerungen informiert – und die Presse bereits kurz darauf. „Ein vertrauensvoller und wertschätzender Umgang mit uns als betroffener Kommune sieht anders aus.“ Die nächste Baustelle offenbar.