Berlin. Michael und Eva wollten stets Gleichberechtigung. Dann erschütterten ein Kind und seine Reisen ihr Idealbild. Sie fassten einen Entschluss.

„Ist das noch gerecht?“ Diese Frage beschäftigte Michael, als er nach einer Konzerttour zu seiner Familie zurückkehrte. Die Aufgaben zu Hause waren fast ausschließlich bei seiner Partnerin Eva geblieben – vor allem die Care-Arbeit für ihre gemeinsame Tochter Lilo. „Ich wollte immer die Verantwortung genauso wie Eva tragen“, sagt der Musiker. „Mein Ziel war immer, dass alles gerecht aufgeteilt wird. Doch in der Praxis war das leider nicht umsetzbar.“

Eva (38), freischaffende Künstlerin, Lehrbeauftragte an einer Kunsthochschule und Kunsttherapie-Studentin und Michael (32), Musiker und angehender Arzt, sind seit zehn Jahren ein Paar. Seit der Geburt ihrer Tochter Lilo vor dreieinhalb Jahren leben sie zusammen. Wie viele junge Paare hatten auch sie anfangs das Ziel, alles gleichberechtigt zu teilen. „Wir wollten unsere Finanzen getrennt halten, um unsere Selbstständigkeit zu bewahren“, sagt Michael. Doch mit Lilos Geburt geriet dieses Modell ins Wanken. „Wir hatten zwar ein gemeinsames Konto für Lilo, aber ansonsten war jeder auf sein eigenes Einkommen angewiesen“, erklärt Eva.

Geld für Care-Arbeit: „Es war eine Frage der Wertschätzung“

In den ersten Monaten nach der Geburt teilten sie die Elternzeit auf – jeder war sechs Monate zu Hause. „Trotzdem hat Eva insgesamt als Mutter mehr übernommen, schon allein wegen des Stillens“, erzählt der Vater. Hinzu kam, dass Michael als Musiker mehrmals längere Konzerttouren unternahm. Für diese Abwesenheit zahlte Michael Eva einen finanziellen Ausgleich für die Care-Arbeit. „Für die Monate, in denen ich auf Tour war, habe ich ihr 500 Euro pro Monat überwiesen. Das klingt jetzt nicht viel, war aber für uns als Studenten eine bedeutende Summe“, erklärt Michael. Eva beschreibt, wie wichtig dieser Schritt für sie war: „Es ging nicht nur um das Geld. Es war eine Frage der Wertschätzung.“

Trotzdem blieb das Verhältnis der Care-Arbeit ungleich, führte unbewusst zu Spannungen. „Ich habe einen diffusen Groll verspürt. Es war immer ein Gefühl, dass ich mehr mache und dass es irgendwie nicht gerecht ist“, erinnert sich Eva.

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    Um eine Lösung zu finden, wandte sich Michael an Johanna Fröhlich Zapata, eine Expertin für Sorgearbeit. „Johanna hat uns geholfen, die Care-Arbeit sichtbar zu machen“, erklärt der Medizinstudent. Die Berliner Anthropologin ist Coachin für Alltagsfeminismus und hat die „CareRechner“-App entwickelt.

    Mit dieser kann der finanzielle Wert der Care-Arbeit genau beziffert werden. „Auch wenn eine volle Bezahlung oft nicht möglich ist, können Menschen mit dieser App ein Gefühl dafür bekommen, dass auch unsichtbare Arbeit zu Hause immer einen Wert hat“, sagt Johanna. „In unserer Gesellschaft funktioniert das ‚sichtbar machen‘ am besten über Geld.“

    Auch Eva und Michael berechneten, wie viel die bisher geleistete Care-Arbeit ausgemacht hätte. „Es war ein Schock zu sehen, dass meine insgesamt geleistete Mehrarbeit zu Hause schon einer Gehaltssumme zwischen 50.000 und 116.000 Euro entsprochen hätte, je nach Stundenlohnsatz“, erzählt Eva. „So etwas hatte vorher niemand in Zahlen gefasst.“ Diese Erkenntnis war nicht nur erhellend, sondern auch emotional aufwühlend. „Es war schwer zu akzeptieren, dass unsere Beziehung nicht so ausgeglichen war, wie wir dachten. Aber diese Gespräche haben uns geholfen, endlich darüber zu sprechen“, sagt Michael.

    Expertin: „Finanziellen Wert von Care-Arbeit transparent machen“

    Für die gesamten ersten dreieinhalb Jahre möchte Michael, sobald er als Arzt ein festes Einkommen hat, Eva noch eine fünfstellige Summe als Ausgleich für ihre Care-Arbeit zahlen. Wie viel das genau sein wird, wollen die beiden noch privat verhandeln. Johanna Fröhlich Zapata erklärt: „Es geht nicht darum, immer die komplette Mehrarbeit mit Geld auszugleichen, da es ja oft einfach finanziell gar nicht leistbar ist. Vielmehr sollen Paare Wege finden, die für sie funktionieren. Dabei hilft es enorm, den finanziellen Wert von Care-Arbeit transparent zu machen.“

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    Eva und Michael haben inzwischen auch für die Zukunft ein Modell entwickelt, das für sie beide fair ist: das Drei-Konten-Modell. „Wir werden künftig unser Einkommen zusammenwerfen, decken damit alle gemeinsamen Fixkosten und die Ausgaben für Lilo und teilen den Rest gleich auf“, erklärt Michael. Dieses Modell gibt beiden Partnern die Freiheit, ihren Anteil nach eigenen Vorstellungen zu nutzen und schafft gleichzeitig finanzielle Gerechtigkeit. „Wir müssen nicht mehr jede Phase unseres Lebens genau ausrechnen oder diskutieren, wer wie viel gemacht hat. Das nimmt enormen Druck raus“, sagt Eva.

    Geld in der Beziehung: „Gefühl der Ungerechtigkeit überwinden“

    Darüber hinaus planen die beiden, weiterhin auf ihre Kommunikation zu achten. „Es ist uns wichtig, dass wir uns gegenseitig im Blick behalten und darüber sprechen, wenn sich einer von uns überfordert fühlt“, sagt Michael. „Es geht nicht nur darum, einen fairen Anteil an der Arbeit zu haben, sondern auch darum, die emotionale Last zu verstehen, die oft unbewusst entsteht“, erklärt Johanna Fröhlich Zapata. „Die Anerkennung dieser Arbeit ist der erste Schritt, um das Gefühl der Ungerechtigkeit zu überwinden.“

    Johanna setzt sich dafür ein, dass diese Themen breiter diskutiert werden: „Es braucht mehr Menschen, die darüber sprechen, dass Care-Arbeit nicht selbstverständlich ist, sondern tatsächlich eine wertvolle Leistung darstellt, die in unserer Gesellschaft zu oft übersehen wird.“