Berlin. Kinder, Haushalt, Termine: Noch immer sind es meist Frauen, die sich darum kümmern. Expertinnen rechnen vor, wie viel Lohn ihnen entgeht.
Jeden Tag unbezahlt arbeiten? Hört sich erst einmal abwegig an. Dabei werden in Deutschland jedes Jahr Milliarden Stunden unbezahlte Care-Arbeit, also Fürsorgearbeit, geleistet. Aber was ist Care-Arbeit eigentlich genau? Was gehört dazu? Kann jeder ganz persönlich den Wert seiner Fürsorge messen? Und: Sollte ein Ausgleich dafür bezahlt werden?
Soziologin Claire Samtleben ist Projektleiterin bei der Prognos AG und hat dort die Studie „Der unsichtbare Wert von Sorgearbeit“ erstellt. „Bei der Care-Arbeit geht es neben den körperlichen Tätigkeiten wie Kochen, Staubsaugen, Fensterputzen und Einkaufen vor allem auch um all die unsichtbaren Aufgaben, die mitgedacht werden müssen“, erklärt die Expertin. „Wann ist der Schulausflug? Was muss für den Urlaub vorbereitet werden? Was schenken wir der Schwiegermutter zum Geburtstag?“
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Care-Arbeit sei existenziell wichtig, so Samtleben. „Sie stellt die Funktionsfähigkeit unseres Alltags und damit unserer Gesellschaft insgesamt sicher.“
Care-Arbeit: Frauen kommen bei Sorgearbeit auf Vollzeitjob
Noch immer übernehmen vor allem Frauen das Mitdenken in der Beziehung und das Organisieren des Familienalltags, also die mentale Fürsorge, zeigt die Studie der Prognos AG. Werden die Care-Arbeit-Stunden summiert, die Frauen in einer Woche leisten, ergibt das alleine einen Vollzeitjob: 39,1 Stunden. Bei Männern sind es 25,2 Stunden unbezahlter Sorgearbeit.
Rechnet man diese Stunden auf ein Jahr und für alle Frauen und Männer hoch, entsteht in Deutschland ein jährlicher Umfang von Sorgearbeit von 117 Milliarden Stunden. Der finanzielle Wert ist gigantisch: Würden lediglich Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen durchschnittlich entlohnt, beliefe sich allein ihr Wert auf 1,2 Billionen Euro.
Beziehung: App berechnet Wert der Care-Arbeit für jeden Haushalt
Die Berliner Anthropologin Johanna Fröhlich Zapata ist Expertin für Alltagsfeminismus, beschäftigt sich mit Fürsorge und der oft ungerechten Verteilung von Hausarbeit. „Damit jeder Mensch nachrechnen kann, wie viel seine unentgeltliche Care-Arbeit eigentlich wert ist, habe ich die Fürsorge-App ‚CareRechner‘ entwickelt“, sagt Johanna. „Der Rechner dient dazu, ein Gefühl dafür zu bekommen, dass auch die unsichtbare Arbeit zu Hause immer einen Wert hat.“ In unserer Gesellschaft funktioniere dieses wichtige „sichtbar machen“ eben am besten über Geld, so die Anthropologin.
Ein praktisches Beispiel liefert der Fall der Krankenschwester Anne. Die 34-Jährige ist seit sechs Jahren verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von fünf und zwei Jahren. In die CareRechner-App gibt Anne zuerst ein, seit wann sie mit ihrem Partner in einem gemeinsamen Haushalt lebt – in ihrem Fall seit September 2017 – und anschließend, wie alt ihre Kinder sind.
Dann trägt sie ein, welchen Stundenlohn sie in ihrem Job verdient. Bei der Krankenschwester an einer Universitätsklinik sind das 23,50 Euro pro Stunde. Das Ergebnis ist beachtlich: Annes Care-Überstunden in der kompletten Beziehung entsprechen schon jetzt – nach knapp sieben Jahren – einem Wert von 125.477,58 Euro.
„Die Zahlen für die Berechnung stammen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung“, erläutert Johanna Fröhlich Zapata. „Grundlage sind der vom DIW errechnete Durchschnitt der geleisteten Care-Arbeit und der Anteil, den Frauen typischerweise daran haben.“ Laut dem DIW leisten erwerbstätige Frauen im Alter von 35 bis 39 Jahren doppelt so viel Care-Arbeit wie Männer. Und auch wenn beide Eltern in Vollzeit arbeiten, erledigen die Frauen immer noch 41 Prozent mehr unbezahlte Arbeit.
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Care-Arbeit bezahlt: So viel Lohn käme pro Tag zusammen
Entspricht die Aufteilung in einer Familie nicht in etwa dem deutschen Durchschnitt, ist die App WhoCares ein weiteres Tool, um den Wert der eigenen Fürsorge zu berechnen. Diese Anwendung zeichnet in Echtzeit auf, welche Aufgaben man im Haushalt und in der Familie erledigt, ist also eine Art Stoppuhr für die Sorgearbeit. Die verschiedenen Funktionen werden durch Bilder angezeigt, es gibt zum Beispiel Symbole für Putzen, Kochen, Waschen und für emotionale Arbeit.
Nutzer können zwischen dem Mindestlohn, einem durchschnittlichen deutschen Stundenlohn und dem eigenen Stundenlohn, den man in seiner bezahlten Lohnarbeit verdient, wählen. Bei einer Mutter mit zwei kleinen Kindern, wie Anne, kommen da an einem Tag leicht 250 Euro zusammen – wenn die Frau nur Mindestlohn für ihre Care-Tätigkeiten bekäme. Da Sorgearbeit keine Wochenenden kennt, würde sich aus einem solchen Tagessatz ein Bruttolohn von 7500 Euro ergeben. Zum Vergleich: Laut der letzten Erhebung des Statistischen Bundesamts 2022 verdienen Ärztinnen und Ärzte im Schnitt 7700 Euro brutto im Monat.
Sorgearbeit in der Beziehung: Expertin rät Paaren zu richtigem Umgang
Doch wie sollen Familien mit diesen Zahlen umgehen? „Es geht nicht darum, dass Frauen sich die Mehrarbeit auszahlen lassen sollen“, sagt Johanna Fröhlich Zapata. „Das ist in den meisten Familien finanziell ja gar nicht leistbar und wäre nur eine Art Herdprämie.“ Ziel sei es, die Arbeit zwischen Männern und Frauen gerecht aufzuteilen – und dass die unbezahlte Sorgearbeit endlich gesellschaftlich und wirtschaftlich anerkannt und gewürdigt wird.
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„Häufig ist das Argument, die Frauen arbeiteten ja in Teilzeit, deswegen könnten sie auch mehr zu Hause machen“, sagt Claire Samtleben. Dabei sei der Zusammenhang auch andersherum: „Weil die Frauen so viel Sorgearbeit leisten, arbeiten sie eben häufig in einem geringeren Umfang und unterbrechen eher ihre berufliche Karriere.“ Das habe langfristige Auswirkungen, was die finanzielle Unabhängigkeit und auch die finanzielle Absicherung im Alter angeht, warnt die Forscherin. „Insgesamt wird unterschätzt, was für ein Hebel für die Gleichstellung in der gerechten Aufteilung der Care-Arbeit steckt.“
Johanna Fröhlich Zapata rät Frauen und Männern, in der Beziehung vertragliche Grundlagen zu schaffen. „Ein Paar sollte notariell festlegen, wie ein Ausgleich für ungleiche Verteilung von Care-Arbeit aussehen kann und, wenn es Kinder gibt, welche Aufteilung von Care- und Erwerbsarbeit nach einer Trennung fair ist“, so die Alltagsfeministin. „Geklärt werden sollte auch, wie verpasste Karrierechancen des überwiegend betreuenden Elternteils ausgeglichen werden können.“
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