Berlin. Viele Paare leben eine traditionelle Rollenverteilung. Um das zu verändern, reicht es nicht, Aufgaben zu verteilen, sagen Experten.

Männer nehmen Elternzeit, sie wechseln Windeln, bringen das Kind in die Kita und hetzen weiter zur Arbeit. All das – noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar. Trotzdem sind Haushalt und Kinder vor allem Sache der Frauen. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) liegt der sogenannte Gender Care Gap bei den 35- bis 39-jährigen Beschäftigten bei 106 Prozent. Das bedeutet, angestellte Frauen verwenden mehr als doppelt so viel Zeit auf unbezahlte Sorgearbeit wie abhängig beschäftigte Männer. „Arbeiten beide in Vollzeit, liegt der Gender Care Gap immer noch bei 41 Prozent“, sagt Patricia Cammarata, Autorin des Buchs „Raus aus der Mental Load-Falle“.

Die Gründe sind vielfältig. Es geht um gesellschaftliche Normen und strukturelle Faktoren wie eine schlechte Betreuungssituation oder Arbeitgeber, die keine Antworten haben auf die Bedürfnisse von Eltern. Aber was können Paare selbst für mehr Gleichberechtigung tun? Expertinnen und Experten erklären, wie es klappen kann und warum es zu einfach ist, den Männern die Schuld zu geben.

Gleichberechtigung: Wie junge Paare in klassische Rollenaufteilung rutschen

So schickt Professor Martin Bujard, stellvertretender Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), vorweg: 63 Stunden – das sei in etwa die Wochenarbeitszeit von Eltern kleiner Kinder in Deutschland, von Müttern und Vätern, jeweils. „Das ist sehr, sehr viel. Und da ist die Zeit auf Spielplätzen noch nicht mit eingerechnet“, sagt Bujard, der zum Thema Familie und Fertilität forscht. Auch viele Väter sind also im Dauerstress – nur stecken sie einen Großteil ihrer Arbeitskraft in den Job.

63 Stunden arbeiten Väter und Mütter kleiner Kinder in Deutschland, sagt Martin Bujard, stellvertretender Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB). „Und da ist die Zeit auf Spielplätzen noch nicht mit eingerechnet.“
63 Stunden arbeiten Väter und Mütter kleiner Kinder in Deutschland, sagt Martin Bujard, stellvertretender Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB). „Und da ist die Zeit auf Spielplätzen noch nicht mit eingerechnet.“ © berlin-event-foto.de | Peter-Paul Weiler

Wie kommt es, dass Paare noch immer in die klassische Rollenaufteilung rutschen? Sie Teilzeit, er Vollzeit. Sie organisiert den Alltag, er hilft mit. „Traditionalisierungsfalle“ nennt Bujard das. „Im Unterschied zu früheren Generationen, in denen dieses Modell durchaus gewünscht war, wollen es jüngere Menschen heute meistens anders machen. Aber sie kriegen es oft nicht hin.“ Die Frankfurter Psychologin Yvonne Keßel sagt: „Junge Eltern scheitern oft an der Wirklichkeit.“

Es beginnt also meist mit dem ersten Kind. Das sagt auch Familienexpertin Patricia Cammarata: „Die Paare sprechen nicht rechtzeitig über die konkrete Ausgestaltung ihres künftigen Alltags mit Kind.“ Dann seien sie so überfordert von all den Veränderungen, dass sie sich plötzlich wieder auf ausgetretene Wege begäben.

Haushalt gerecht aufteilen: Expertin empfiehlt diesen Fragebogen

Diese unbewusste Rollenverteilung führe häufig zu Beziehungskrisen, weiß Psychologin Keßel. „Die Paare verstricken sich zu Hause in ständige Diskussionen, in denen es eigentlich nur darum geht aufzuzählen, wer was leistet.“ Keßel rät deswegen dazu aufzuschreiben, welche Aufgaben überhaupt im Alltag anfallen. Patricia Cammarata empfiehlt dafür den Fragebogen der Initiative „Equal Care“ zu Mental Load. Der Begriff Mental Load beschreibt die mentale Belastung durch Organisationsaufgaben im Haushalt. Der Fragebogen listet also alle möglichen Aufgaben auf, die anfallen – Betten beziehen, Auto zum Tüv bringen, Kinderkleidung aussortieren, Abflüsse reinigen. „Es geht um Transparenz“, sagt die Familienexpertin. „Denn beide Partner machen Dinge, die der andere gar nicht mitbekommt.“

Paare, die Aufgaben mehr hälftig aufteilen, sind zufriedener, weiß die Frankfurter Psychologin Yvonne Keßel.
Paare, die Aufgaben mehr hälftig aufteilen, sind zufriedener, weiß die Frankfurter Psychologin Yvonne Keßel. © Nina Wellstein Branding | Nina Wellstein Branding

Mental Load: Keine Aufgaben verteilen, sondern Verantwortungsbereiche

Dann geht es ums Verteilen – nicht von Aufgaben, sondern von Verantwortungspaketen, wie die Expertinnen betonen. Einer übernimmt die Vorsorgetermine beim Kinderarzt, kümmert sich um den Kauf neuer Kinderklamotten. Der andere übernimmt Kochen, Einkaufen und die Hobbys der Kinder. „Viele Frauen leiden darunter, dass sie ihrem Partner zwar Aufgaben geben können. Aber die Gedanken müssen sich die Frauen immer noch selbst machen“, sagt Keßel und nennt das Beispiel Einkaufen: Die Frau schickt den Mann zwar in den Supermarkt – aber sie muss trotzdem vorher die Vorräte checken und sich überlegen, was sie kocht. „Wenn man aber den ganzen Prozess abgibt – die Planung, Umsetzung oder das Nacharbeiten, wenn mal was schiefgeht –, schafft man große Erleichterung bei den Frauen“, sagt Patricia Cammarata.

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Um die eingefahrenen Strukturen aufzubrechen, müsse man als Paar bewusst gegensteuern und dem Vater Verantwortungsbereiche übertragen, sagt auch Familienforscher Bujard. Nur so könne er sich die notwendigen Kompetenzen erwerben. „Hier haben die Frauen einfach oft einen Vorsprung, zum Beispiel durch eine deutlich längere Elternzeit. Deswegen ist der Vater vielleicht zunächst ein bisschen langsamer, macht es ein bisschen anders als die Partnerin. Aber in der Regel kriegt er es auch hin.“

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„Wenn der Mann sagt, er kümmert sich um das Thema Ernährung und tischt dann jeden Tag Fertigpizza auf, dann ist die Aufgabe nicht erfüllt“, sagt Patricia Cammarata, Familienexpertin und Autorin des Buchs „Raus aus der Mental Load-Falle“.
„Wenn der Mann sagt, er kümmert sich um das Thema Ernährung und tischt dann jeden Tag Fertigpizza auf, dann ist die Aufgabe nicht erfüllt“, sagt Patricia Cammarata, Familienexpertin und Autorin des Buchs „Raus aus der Mental Load-Falle“. © Sophie Weise-Meißner | Sophie Weise-Meißner

Männer und Haushalt: Kompetenz der Frauen im Haushalt anerkennen

Wichtig sei, die Kompetenzen der Frau anzuerkennen, betont Cammarata. „Würde man das in den Job übertragen und man hätte dort eine Kompetenzträgerin, die eine Aufgabe schon lange macht, würde man sie auch erst mal um Rat fragen.“ Es gehe nicht darum, 100 Punkte zu erfüllen, sondern dass man wisse, Wolle wäscht man nicht bei 60 Grad. Ob man die Sachen dann im Wollprogramm der Waschmaschine wasche oder per Hand, spiele keine Rolle. „Aber wenn der Mann sagt, er kümmert sich um das Thema Ernährung und tischt dann jeden Tag Fertigpizza auf, dann ist die Aufgabe nicht erfüllt.“

Am Ende sei eine größere Beteiligung der Väter an Haus- und Sorgearbeit eine große Chance, sich aktiv am Leben der Kinder zu beteiligen, sagt Martin Bujard. „Eine Chance, die frühere Väter-Generationen so nicht hatten.“ Auch die Paar-Beziehung könne profitieren, sagt Psychologin Keßel. „Studien zeigen, dass Beziehungen, in denen die Aufgaben mehr hälftig aufgeteilt sind, gesünder sind.“ Die Paare seien zufriedener und hätten sogar mehr Sex.