Jena. FDP-Chef Christian Lindner über die Brandmauer zur AfD, Elon Musk als Vorbild – und die Frage, ob die Deutschen zu oft blau machen.

Thüringen ist ein schwieriges Pflaster für die FDP, und ihr Spitzenkandidat Christian Lindner wird in Jena ausgesprochen unfreundlich empfangen. Vor der Villa am Bahnhof Paradies, in der Lindner eine Wahlkampfrede hält, hat sich die örtliche Antifa versammelt. „Lindner, verpiss dich, keiner vermisst dich“, rufen die Demonstranten. Drinnen steht Lindner auf der Bühne und versucht es mit Humor. „Hat jemand eine Torte dabei?“, fragt er. „Dann können wir das gleich hinter uns bringen.“ Ein paar Tage vorher war er mit einer Torte aus Rasierschaum attackiert worden. Für das Gespräch mit unserer Redaktion zieht sich Lindner in das Turmzimmer der Villa zurück.

Die FDP steht in dem Ruf, das Ampel-Aus von langer Hand geplant und darüber auch noch gelogen zu haben. Wie wollen Sie den Wiedereinzug in den Bundestag schaffen?

Christian Lindner: Das begegnet mir überhaupt nicht im Wahlkampf. Die Leute fragen nur: Wieso habt Ihr so lange in der Ampel ausgehalten?

Niemand fragt nach dem D-Day-Papier?

Lindner: Nur Medien. Viele Menschen erkennen, dass das eine überzogene Kampagne ist, um von den Tatsachen abzulenken. Die FDP hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass die Ampel ihre Politik ändern muss oder dass es eine neue Dynamik geben muss. Das habe ich im Herbst bei jeder Gelegenheit öffentlich gesagt. Die Wirtschaftskrise spitzt sich zu, daher braucht es eine Neuausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Regierung Scholz war dazu nicht in der Lage. Und wenn es keine neue Politik gibt, muss neu gewählt werden. Am Ende stand das Ultimatum von Olaf Scholz, rot-grüne Tatenlosigkeit in der Wirtschaftspolitik zu akzeptieren und 15 Milliarden Euro neue Schulden an der Schuldenbremse vorbeizumachen. Da habe ich mich lieber entlassen lassen.

Wer soll Ihnen Vertrauen für ein neues Bündnis schenken?

Lindner: Das Vertrauensproblem ist doch bei Herrn Scholz. Grüne, CDU und Teile der SPD bestätigen jetzt, dass sein Ultimatum an mich eiskalte Taktik war. Wie vertrauenswürdig wir sind, das hat gerade Armin Laschet bestätigt. Mit ihm habe ich 2017 in Nordrhein-Westfalen eine schwarz-gelbe Regierung gebildet. Das empfiehlt er nun für den Bund. Er hat Recht.

Wo sehen Sie eine Mehrheit für Schwarz-Gelb?

Lindner: Es gibt eine positive Entwicklung. Eine Umfrage aus dieser Woche sieht die FDP im Parlament. Dadurch hat automatisch Schwarz-Grün keine Mehrheit. Es müsste dann eine Deutschlandkoalition gebildet werden. Eine Regierung ohne Grüne ist ein Fortschritt. Ich halte es aber unverändert für möglich, Wählerinnen und Wähler von der AfD zu gewinnen für eine Regierung der Mitte, an der endlich einmal SPD und Grüne nicht beteiligt sind. Schwarz-Gelb wäre jetzt am besten für unser Land.

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Wie wollen Sie AfD-Wähler für die FDP gewinnen?

Lindner: Wer AfD wählt, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass SPD oder Grüne in der Regierung sind. Dann ändert sich nichts. Seit zwanzig Jahren herrscht Stillstand im Land, obwohl eine andere Politik nötig ist. Olaf Scholz wollte weiter Merkel-Politik machen. Wir möchten die Merkel-Politik beenden. Der Staatsapparat ist riesig und bürokratisiert das Leben, aber er scheitert bei der Begrenzung der Migration und der Garantie der öffentlichen Ordnung. Das ist seit 2015 mein Thema. Auch eine wirkliche Wirtschaftswende und mehr Vertrauen auf Eigenverantwortung statt Bevormundung gibt es nur mit der FDP.

Geht es Ihnen auch darum, die Brandmauer zur AfD abzutragen?

Lindner: Auf keinen Fall. Ich unterscheide aber die gemäßigten Protestwähler der AfD vom harten Kern und der Partei selbst. Mit der Nazi-Keule wird man keinen Wähler von dort zurückgewinnen. Das hat sich verbraucht. Deshalb ist mein Ansatz, einerseits eine wirklich andere Migrations- und Sicherheitspolitik in Aussicht zu stellen. Und andererseits zu zeigen, dass die AfD wirtschaftsfeindlich ist. Die AfD-Rentenpolitik würde die Beiträge auf 25 Prozent explodieren lassen. Der Austritt aus der EU würde uns von unserem wichtigsten Markt abkoppeln. Der Abriss von Windrädern würde physikalisch die Stromversorgung zum Zusammenbruch führen, es wäre zudem ein dramatischer Eingriff ins Privateigentum. Das Programm der AfD ruiniert unsere Wirtschaft.

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#6 Strack-Zimmermann über ihren Kampf gegen den Kanzler

Meine schwerste Entscheidung

Bundestagsabgeordnete treiben parteiübergreifend einen AfD-Verbotsantrag voran. Warum helfen Sie da nicht mit? 

Lindner: Die Auseinandersetzung muss politisch erfolgen. Die Hürde für ein Verbot ist sehr hoch. Wenn der Verbotsantrag in Karlsruhe scheitern würde, hätte die AfD geradezu einen Persilschein.

Sie haben eben von einer schwarz-rot-gelben Deutschlandkoalition gesprochen. SPD und FDP in einer Regierung – kann das noch funktionieren? 

Lindner: Die Deutschlandkoalition wäre besser als Schwarz-Grün. Dass die FDP die Scholz-Politik nicht fortsetzt, ist klar. Menschlich gibt es aber zu vielen führenden Sozialdemokraten immer noch ein gutes Verhältnis. Zu meinem Geburtstag habe ich viele liebenswürdige Grüße aus der SPD erhalten. 

Jetzt müssen Sie auch sagen, von wem Grüße kamen.

Lindner: Die Kolleginnen und Kollegen wissen, dass ich vertrauenswürdig bin und sie niemals outen würde. Das könnte ihnen momentan ja schaden. (lacht) Für die Kampagne der Scholz-SPD muss ich ja als das personifizierte Böse herhalten.

Sie haben unserem kriselnden Land empfohlen, sich an Tech-Milliardär und Trump-Gefolgsmann Elon Musk zu orientieren. Der dankt Ihnen das aber nicht, sondern macht Wahlkampf für die AfD. Haben Sie sich getäuscht?

Lindner: In Ihrer Frage ist ein komischer Dreh. Ich empfehle Deutschland mehr Ambition bei Technologie und Veränderung. Es ist beeindruckend, welche Schaffenskraft der Unternehmer Musk hat. Daran können wir uns ein Beispiel nehmen. Bei uns ist zu viel festgefahren und konventionell. In den USA mobilisieren private Unternehmen 500 Milliarden Dollar für Investitionen in Künstliche Intelligenz, zeitgleich will Robert Habeck in Deutschland 129 neue Beamtenstellen für die Aufsicht über Künstliche Intelligenz. Die machen Wertschöpfung, wir Bürokratie. Darauf will ich hinaus.

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Sehen Sie darüber hinweg, dass Elon Musk die extreme Rechte stärkt – und bei der Amtseinführung von Donald Trump offenkundig den Hitlergruß zeigt?

Lindner: Hat er das wirklich? Da gibt es unterschiedliche Deutungen. Als politischen Berater habe ich ihn jedenfalls nicht empfohlen.

Trump könnte die Wirtschaft mit hohen Zöllen weiter in den Abgrund stoßen. Welchen Umgang mit dem US-Präsidenten empfehlen Sie?

Lindner: Wir brauchen einen Neustart der transatlantischen Diplomatie. Die grüne Außenpolitik hat das deutsch-amerikanische Verhältnis enorm belastet. Einmischungen in den US-Wahlkampf und unverhohlene Wahlempfehlungen für Kamala Harris haben die Gesprächsbasis mit dem Trump-Lager zerstört. Mit den üblichen moralischen Belehrungen werden wir in Washington nur belächelt. Wir müssen auftreten ohne Überheblichkeit, nüchtern unsere Interessen vortragen und unsere Werte verteidigen. Wir müssen zurück zu wirtschaftlicher Stärke finden, denn nichts verachtet Trump mehr als Schwäche. Dann kann es gelingen, statt über Zölle wieder über ein transatlantisches Freihandelsabkommen zu sprechen.

Und wenn trotzdem Zölle kommen – welche Gegenmaßnahmen sind möglich?

Lindner: Ich bin davon überzeugt, dass man auch mit dem Trump-Lager vernünftig sprechen kann. Die USA sind unser wichtigster Verbündeter. Da muss man nun Arbeit investieren. Es ist ein gemeinsames Interesse von EU und USA, sich mit der Volksrepublik China zu beschäftigen. Da liegt die Herausforderung im Welthandel, nicht in einem Handelskrieg zwischen EU und USA.

Sie weichen der Frage aus.

Lindner: Nein, aber ich halte es schlicht nicht für klug, auf Drohungen mit Gegendrohungen zu antworten. Das macht man mit nüchterner Konsequenz im persönlichen Gespräch.

Um unsere Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, schlagen Sie Steuerentlastungen für fast 150 Milliarden Euro vor. Woher soll das Geld dafür kommen?

Lindner: Die Zahl kann ich nicht bestätigen, aber eine spürbare Entlastung für Bürger und Betriebe ist nötig. Das steuerfreie Einkommen sollte um 1000 Euro für jeden steigen. Gehaltserhöhungen und Überstunden müssen spürbar mehr Netto bringen. Der Solidaritätszuschlag muss entfallen. Das alles kann man schrittweise umsetzen. Ich will das im Übrigen gar nicht alles gegenfinanzieren, sondern stattdessen den Staatsapparat verschlanken. Ganze Behörden wie das Umweltbundesamt können entfallen. Beim Bürgergeld habe ich noch als Finanzminister Vorschläge gemacht, wie man durch Arbeitsanreize Milliarden Euro sparen kann. Wir müssen die wirtschaftlichen Folgen der irregulären Migration reduzieren. Wir können zweistellige Milliardenbeträge sparen, wenn wir eine konsequente Einwanderungspolitik betreiben und Rückführungsabkommen auch mit Ländern wie Afghanistan und Syrien schließen. Wir sollten das deutsche Klimaziel zudem um fünf Jahre verschieben auf 2050. Das spart Milliarden an grünen Subventionen jährlich und erlaubt uns, Technologien wie den Verbrennungsmotor länger zu nutzen. Allein diese Maßnahmen sparen gewaltige Summen und sorgen für neues Wachstum. Unter dem Strich sind bis 2029 so über 150 Milliarden Euro drin.

Ihre Sparvorschläge sind ebenso umstritten wie ihre Wachstumserwartungen. Monika Schnitzer, die Chefin der Wirtschaftsweisen, geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft auf Jahre hinaus nur um ein halbes oder ein Prozent wächst. Die Ökonomin dringt auf eine Reform der Schuldenbremse.

Lindner: Frau Schnitzer urteilt auf der Basis der aktuellen Politik. Ihr Vertrag wurde gerade von Rot-Grün verlängert. Ich möchte dagegen eine andere Politik.

Klingt nicht, als kämen Sie zur Einsicht bei der Schuldenbremse.

Lindner: Die Art Ihrer Fragestellung soll mich wohl schon als uneinsichtigen Exoten darstellen. Fakt ist, dass Deutschland genug öffentliche Mittel hat. Nur einmal das Beispiel Verteidigungsausgaben: Während in den Medien immer mehr Gelder gefordert wird, behält Herr Pistorius vier Milliarden Euro übrig. Außerdem begrenzen die europäischen Fiskalregeln die Kreditaufnahme Deutschlands. Denn wir haben zwar eine geringe Schuldenquote, aber zugleich kein Wachstum und eine alternde Gesellschaft. Das muss man einbeziehen. Wenn Deutschland die EU-Regeln vorsätzlich bricht, gibt es zum Beispiel in Frankreich gar kein Halten mehr. Binnen weniger Jahre haben wir dann wieder eine Euro-Krise.

Müssen die Menschen in Deutschland mehr arbeiten, damit unsere Wirtschaft den Aufschwung schafft?

Lindner: Wir müssen in Deutschland das gesellschaftliche Arbeitsvolumen erhöhen. Das bedeutet zum Beispiel, die Kinderbetreuung zu verbessern. Ich möchte auch einen Anreiz setzen, freiwillig mehr zu arbeiten – und den bezahlten Überstundenzuschlag steuerfrei stellen. Außerdem sollten wir die Menschen motivieren, über das Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten. Sie sollen einen finanziellen Vorteil davon haben, länger im Berufsleben zu bleiben.

Die gesetzliche Rente mit 70 wollen Sie nicht?

Lindner: Ich bin nicht für Zwang, sondern für individuelle Lösungen. Menschen, die über das gesetzliche Rentenalter hinaus arbeiten, sollen den eigenen Beitrag und den des Arbeitgebers für Rente oder Arbeitslosenversicherung ausgezahlt bekommen.

In Deutschland gibt es so viele Krankschreibungen wie nie. Machen die Leute zu oft blau?

Lindner: Ich bin dafür, zu den Regeln vor der Pandemie zurückzukehren und die telefonische oder digitale Krankschreibung abzuschaffen. Vor Corona waren die Krankenstände deutlich niedriger.

Allianz-Chef Oliver Bäte schlägt eine andere Lösung vor: Am ersten Tag der Krankmeldung soll es keinen Lohn geben. Was halten Sie davon?

Lindner: Ich ziehe es vor, erst einmal die telefonische Krankschreibung abzuschaffen – und dann die Lage zu beurteilen.

Die gesetzliche Krankenkasse steht unter Druck. Wie wollen Sie verhindern, dass die Beiträge explodieren?

Lindner: Wir müssen die drohenden Beitragssteigerungen abwenden. Aber der Weg von Robert Habeck, Sozialabgaben auf Kapitalerträge zu erheben, führt in die falsche Richtung. Wir müssen es den Menschen doch erleichtern, eigenverantwortlich eine Rücklage aufzubauen. Deshalb wollen wir für einen höheren Sparerfreibetrag sorgen.

Wie wollen Sie die Krankenversicherung stabilisieren? 

Lindner: Nötig ist eine Strukturreform im Gesundheitswesen. Es gibt immer noch das Problem doppelter Behandlungen unter Einsatz teurer Technik. Wir müssen daran arbeiten, dass unsere Krankenhäuser besser und spezialisierter werden. Außerdem brauchen wir ein digitaleres und effizienteres System. Auch der Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen kann intensiviert werden – mit dem Ziel, dass sie individuellere Leistungskataloge mit angepassten Beiträgen anbieten und ihre Verwaltungskosten reduzieren.

Sie werden in diesem Jahr erstmals Vater. Nehmen Sie eine Auszeit?

Lindner: Ich werde, wenn unsere Familie größer wird, eine neue Balance im Leben haben. Meine Frau ist Gründerin und will sich nicht komplett rausziehen. Mir geht es ebenso, deshalb helfen wir uns gegenseitig. Das nennt man Partnerschaft.

Die Ampel wollte zwei Wochen bezahlten Vaterschaftsurlaub ermöglichen, ist aber nicht mehr dazu gekommen. Wie wichtig ist Ihnen dieses Vorhaben?

Lindner: Familien das Leben leichter zu machen, ist ein wichtiges Anliegen. Jetzt ist jedoch nicht die Zeit für neue Staatsausgaben. Wir müssen jetzt erstmal unsere Wirtschaft flottbekommen.