Berlin. Corona stellte Politik und Bürger vor Herausforderungen. Die Suche nach Maßnahmen spaltete das Land. Was wir im Nachhinein wissen.

„Es war zu erwarten, dass das #Coronavirus auch Deutschland erreicht. Der Fall aus #Bayern zeigt aber, dass wir gut vorbereitet sind.“ Das schrieb der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf seinem Twitter-Account, einen Tag, nachdem der erste Corona-Fall in Deutschland bekannt geworden war. Das war vor fünf Jahren, am 27. Januar 2020.

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Nur wenige Wochen später war klar, dass das neuartige Virus weltweite Auswirkungen haben würde, und zwar für lange Zeit. Unter großem Druck und auf der Basis einer unübersichtlichen Informationslage musste die Politik damals Entscheidungen treffen. Heute weiß man: Einiges von dem, was im Kampf gegen Covid-19 beschlossen wurde, war nicht zielführend, nicht verhältnismäßig oder hatte im schlimmsten Fall sogar negative Folgen. Ein Blick auf die fünf größten Irrtümer der Corona-Politik.

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1. Corona-Impfpflicht für medizinisches Personal

Der erste Corona-Impfstoff wurde im Dezember 2020 zugelassen. Auf freiwilliger Basis ließen sich Millionen Menschen gegen das neue Virus impfen. Doch zum 16. März 2022 trat zusätzlich eine Corona-Impfpflicht für medizinisches Personal in Kraft, „um besonders vulnerable Gruppen“ vor einer Infektion zu schützen.

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Das Bundesverfassungsgericht sah diesen Eingriff in die Selbstbestimmung der Betroffenen 2022 als rechtens an. Das Verwaltungsgericht Osnabrück allerdings argumentierte 2024, dass die Regelung im Laufe des Jahres 2022 „in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen“ sei, weil sich die wissenschaftliche Einschätzung zum Fremdschutz der Impfung geändert habe.

Einrichtungen waren damals verpflichtet, Mitarbeiter an die Gesundheitsämter zu melden, bei denen beispielsweise kein Impf- oder Genesenennachweis vorlag oder Verdacht auf gefälschte Nachweise bestand. Im Nachhinein zeigte eine Umfrage der „Welt am Sonntag“, dass von den knapp 270.000 gemeldeten Verstößen nur die wenigsten tatsächlich geahndet worden waren.

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#3 Jens Spahn über Corona, Anfeindungen und seinen Mann

Meine schwerste Entscheidung

2. Die Schulen waren zu lange geschlossen

Die monatelangen Schulschließungen wurden während der Pandemie stark kritisiert. Lehrer, Eltern und Schüler wurden oft nur kurzfristig darüber informiert, wie es weitergeht. Der Unterrichtsausfall verursachte Lernrückstände, und das vor allem bei den Schülerinnen und Schüler, die ohnehin schon Nachteile haben.

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Doch erst im Nachgang haben Politiker wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Kanzler Olaf Scholz (beide SPD) eingeräumt, dass die Schulen nicht so lange hätten schließen müssen. „Die Schulschließungen waren initial aus meiner Sicht richtig, hätten aber viel kürzer sein können“, sagte Lauterbach später.

Auch bei der mentalen Gesundheit hat diese Zeit Spuren hinterlassen. Ein Bericht des Familienministeriums zeigt, dass bei 73 Prozent aller jungen Menschen die Einschränkungen zu psychischen Belastungen wie etwa Depressionen oder Angststörungen geführt haben.

Schulen waren monatelang geschlossen. Die Folgen sind noch heute spürbar.
Schulen waren monatelang geschlossen. Die Folgen sind noch heute spürbar. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

3. Die unverhältnismäßigen Ausgangssperren in der Pandemie

Gesperrte Spielplätze, nächtliche Ausgangssperren und geschlossene Geschäfte – in der Pandemie wurde vorher Undenkbares möglich. In Hamburg verfolgten Polizisten einen Jugendlichen, der gegen Kontaktregeln verstoßen hatte, mit dem Auto durch einen Park. Die Szene erregte bundesweit Aufsehen. In Bayern wurde zwischenzeitlich diskutiert, ob es mit den Regeln vereinbar sei, allein auf einer Parkbank ein Buch zu lesen.

Studien zeigten, dass Kontaktbeschränkungen im Freien nur wenig Auswirkungen gehabt haben, schließlich sei das Virus hier nicht so leicht übertragbar wie in Innenräumen. Ein Kurzgutachten der Gesellschaft für Freiheitsrechte kam schon damals zu dem Schluss, dass die Maßnahmen teils verfassungswidrig gewesen seien, da sie in zahlreiche Grundrechte eingriffen.

4. Kein Abschied von sterbenden Angehörigen möglich

Für viel Leid sorgten die Kontaktbeschränkungen bei Bewohnern von Alters- und Pflegeheimen und ihren Angehörigen. Vor allem zu Beginn der Pandemie, als es noch keine Schnelltests gab, galten strenge Besuchsverbote. Zum Teil wurde auch der Kontakt unter den Bewohnern in Pflegeeinrichtungen eingeschränkt. Monatelang durften Heimbewohner niemanden empfangen. Viele vereinsamten, wurden depressiv oder starben, ohne nochmal ihre Liebsten zu sehen.

Eugen Brysch, Vorsitzender der Stiftung Patientenschutz, kritisiert diese Beschränkungen im Rückblick scharf. „Pflegeheime waren die Corona-Brennpunkte und nicht die Brutstätten des Virus“, sagt er dieser Redaktion. Aber der Teil der Gesellschaft, dessen Leib und Leben am stärksten durch das Virus bedroht gewesen sei, sei von der Gesellschaft vergessen worden. „Gelebt und gestorben wurde dort in Isolation und Einsamkeit.“

Armin Laschet (CDU), damals Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, sagte nach dem ersten Lockdown: „Das ist ein Schaden, den wir nicht wiedergutmachen können. Irreparabel. Nicht korrigierbar. Da können wir Verantwortlichen in der Politik die Angehörigen nur um Verzeihung bitten.“

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5. Angela Merkels Osterruhe

Für viel Verwirrung sorgte im zweiten Corona-Jahr die geplante „Osterruhe“. Einmalig sollten Gründonnerstag und Karsamstag als Ruhetage gelten. Mit dem kurzen, verschärften Lockdown sollte die dritte Welle der Pandemie eingedämmt werden.

Doch nur einen Tag nach Verkündung der Pläne wurden sie schon wieder zurückgenommen. Altkanzlerin Angela Merkel erklärte, dass die Idee zwar „mit bester Absicht entworfen“ worden sei, sich aber als nicht umsetzbar erwiesen habe. Zu viele Fragen seien offen, etwa zur Lohnfortzahlung. Sie entschuldigte sich für die Verunsicherung, die die Pläne ausgelöst hätten.

Altkanzlerin Angela Merkel plante 2021 zusätzliche Ruhetage über Ostern, um die Pandemie einzudämmen.
Altkanzlerin Angela Merkel plante 2021 zusätzliche Ruhetage über Ostern, um die Pandemie einzudämmen.

Corona-Pandemie: So fällt die Bilanz aus

Die aufgezählten Punkte spiegeln nur einen Teil der Versäumnisse und Fehler in der Corona-Politik wider. So kritisieren Experten auch, dass Deutschland insgesamt viel früher auf das Virus hätte reagieren müssen. Außerdem sei die Kommunikation zwischen Kommunen, Ländern und Regierung mangelhaft und chaotisch gewesen, die Wirksamkeit der Impfstoffe insgesamt überschätzt worden.

Karl Lauterbach zog im Frühjahr 2024 insgesamt dennoch eine positive Bilanz: Unterm Strich sei Deutschland „sehr gut“ durch die Pandemie gekommen – vor allem gemessen daran, dass die Bevölkerung relativ alt sei.

Nicht alle teilen diese Einschätzung, vor allem nicht, wenn es um die Frage geht, was gelernt wurde. „Die verantwortliche Politik hat zu wenig Lehren aus der Pandemie gezogen“, sagt Philipp Wiesener, Bereichsleiter Nationale Hilfsgesellschaft beim Deutschen Roten Kreuz, dieser Redaktion. Daran, dass Deutschland damals auf eine Pandemielage nicht vorbereitet gewesen sei, habe sich „bis zum heutigen Tage nichts Wesentliches geändert“. Die angekündigte „Nationale Reserve Gesundheitsschutz“ aufzubauen, in der unter anderem Medikamente bevorratet werden sollen, wäre dringend erforderlich, aber es gäbe hier keine Veränderungen. Er sieht hier eine Aufgabe für die nächste Regierung.

Patientenschützer Brysch fordert eine „lückenlose Aufarbeitung der Versäumnisse in der stationären Altenpflege“. Die sei „mehr als überfällig, um daraus Lehren für zukünftige Pandemien zu ziehen“, sagt er dieser Redaktion.

Eine eigentlich geplante Aufarbeitung der Corona-Zeit im Bundestag ist in der Legislatur nicht zustande gekommen.