Berlin. Ab 2027 gilt für Gebäude und Verkehr ein neuer EU-Emissionshandel. Exklusive Berechnungen zeigen, was das für Verbraucher heißen kann.

In etwas weniger als zwei Jahren beginnt eine neue Phase der europäischen Klimaschutz- und Energiepolitik. 2027 soll ein EU-weites Emissionshandelssystem an den Start gehen, vor allem für die Bereiche Wärme und Verkehr.  Dort soll dann gelten, was jetzt schon für Industrie und Strom gilt: Emissionen zu verursachen kostet – und wie viel, entscheidet der Markt. Für Verbraucherinnen und Verbraucher, die eine Gas oder Öl-Heizung besitzen, oder ein Auto mit Verbrennungsmotor fahren, könnte es dann teuer werden.

In Deutschland gibt es schon jetzt für die Sektoren Verkehr und Heizen einen CO2-Preis. Bisher ist das aber ein nationaler Preis, der politisch festgelegt ist. 2025 liegt er bei 55 Euro pro Tonne CO2, das entspricht 1,19 Cent pro Kilowattstunde Gas, 17,52 Cent pro Liter Heizöl und Diesel, und 15,67 Cent pro Liter Benzin.

Ab 2027 aber soll das Handelssystem ETS 2 gelten, das die Preisbildung grundlegend verändert. Das Grundprinzip ist dasselbe wie beim ETS 1, jenem Emissionshandel, den es für die Industrie und den Stromsektor schon gibt: Wer einen fossilen Brennstoff in Verkehr bringt, muss ein Zertifikat erwerben für die Treibhausgasemission, die mit dem Verbrennen entstehen. Die Menge an Zertifikaten sinkt dabei mit der Zeit, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Je geringer die Zahl der Zertifikate, umso höher steigt der Preis – und damit auch der finanzielle Druck, umzusteigen auf CO2-freie Alternativen. Die EU hat sich vorgenommen, 2050 netto klimaneutral zu sein. Für 2030 gilt ein Ziel von 40 Prozent weniger Emissionen als 2005.

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Wie hoch die CO2-Preise steigen, hängt auch davon ab, wie viel für Klimaschutz getan wird

Wie teuer ein Zertifikat wird, hängt davon ab, wie hoch die Nachfrage ist. Steigen zum Beispiel mehr Menschen um auf E-Autos oder wechseln zu einer emissionsfreien Art zu Heizen, wie zum Beispiel einer Wärmepumpe, sinkt insgesamt die Nachfrage nach Zertifikaten, der Preis steigt weniger schnell. Andere Instrumente der Klimaschutzpolitik – etwa Förderung für energieeffiziente Gebäudedämmung, E-Autos oder ÖPNV – haben deshalb auch Auswirkungen auf den CO2-Preis.

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat 2024 in drei verschiedenen Szenarien modelliert, wie sich unterschiedlich starke Klimaschutzbemühungen auf die CO2-Preise für Heizen und Verkehr auswirken werden: ein Szenario, in dem Regierungen neben dem CO2-Handel starke Klimaschutz- und Energieeffizienzmaßnahmen vorantreiben, eines mit mittelstarken Bemühungen und eines mit schwachen.

In dem Szenario mit den stärksten Begleitmaßnahmen gehen die Forschenden für 2030 von einem Preis von 71 Euro pro Tonne CO2 aus. Im mittleren Szenario sind es 160 Euro pro Tonne, in dem Szenario, in dem die Klimaschutzpolitik am schwächsten ist, sind es 261 Euro pro Tonne CO2.

Für Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet das zum Teil erhebliche Zusatzkosten: Wir haben das Vergleichsportal Verivox gebeten, zu berechnen, was in den jeweiligen Szenarien auf unterschiedliche Haushalte zukommen könnte.

Wer zum Beispiel als Single eine 50 Quadratmeter-Wohnung mit Gas beheizt und dabei 5000 Kilowattstunden im Jahr verbraucht, der zahlt durch den aktuellen nationalen CO2-Preis derzeit 59 Euro zusätzlich im Jahr. In dem Szenario, das für 2030 mit 71 Euro pro Tonne CO2 den niedrigsten Preis veranschlagt, wären es schon 77 Euro, im mittleren Szenario 173 Euro und bei einem CO2-Preis von 261 Euro pro Tonne würden übers Jahr gerechnet 282 Euro zusätzlich anfallen.

Eine vierköpfige Familie, die ein Einfamilienhaus mit 180 Quadratmetern bewohnt und dabei 20.000 Kilowattstunden Gas verbraucht, zahlt derzeit 237 Euro CO2-Preis im Jahr. Im niedrigsten Szenario wären das 2030 nach den Berechnungen von Verivox schon 307 Euro, im mittleren Szenario 691 Euro und im höchsten Szenario 1.127 Euro. Verglichen mit dem aktuellen CO2-Preis wären das 890 Euro mehr.

Für eine Familie können 2030 pro Jahr vierstellige Zusatzkosten anfallen

Dazu kommen höhere Kosten für Mobilität bei allen, die klassische Verbrenner fahren: Aktuell fallen für einen Liter Benzin 15,67 Cent CO2-Preis an. 2030 könnten es – je nach Szenario – schon 20,23 Cent, 45,59 Cent oder sogar 74,36 Cent pro Liter sein. Diesel (und auch Heizöl) wäre mit 22,61 Cent, 50,96 Cent oder 83,12 Cent nach diesen Berechnungen noch teurer.

Die Zahlen des Potsdam-Instituts, die hier als Grundlage dienen, sind eine Modellierung. Und derartige Modellierungen seien mit Unsicherheiten behaftet, sagt Claudia Günther, Leitautorin der Studie. „Verglichen mit dem Emissionshandel für Energiewirtschaft und Industrie sind die Akteure, deren Emissionen indirekt reguliert werden, nämlich auch Haushalte und Kleinindustrie, viel verschiedener“, sagt sie. „Zudem sind die Unterschiede zwischen den Ländern sehr groß.“

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Genaue Prognosen sind deshalb schwierig. Auch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben versucht zu berechnen, wo die Preise 2030 liegen könnten. Die Schwankungsbreite ist groß: zwischen 50 und fast 400 Euro pro Tonne CO2. Dass die Verkehrs- und Gebäudesektoren ihren Klimazielen derzeit hinterherlaufen, legt allerdings nahe, dass die Preise eher nicht am unteren Ende dieser Spanne liegen werden.

Über die sogenannte Marktstabilitätsreserve können, zum Beispiel bei großen Preissprüngen, zwar zusätzliche Zertifikate freigeben werden. Maximal wären das aber etwa 18 Prozent der Gesamtmenge an Zertifikaten, sagt Günther. Allzu weit dürften das den Preis nicht drücken.

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Sehr hohe CO2-Preise sind politisch nur schwer durchzuhalten

Für den Klimaschutz, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin, sind die Preise am oberen Ende des Spektrums nicht unbedingt ein Gewinn: „CO2 ist kein klassisches ökonomisches Gut, sondern seine Preise entstehen auf einem politischen Markt. Wie glaubwürdig Klimapolitik ist, hat deswegen eine große Auswirkung auf den CO2-Preis. Sehr hohe Preise, die politisch nicht durchhaltbar sind, bringen dem Klimaschutz weniger als moderate Preise, die tatsächlich Bestand haben.“

Und schon jetzt ist zu beobachten, dass der politische Druck zunimmt, je näher die Einführung des Handelssystems kommt: Als der polnische Ministerpräsident Donald Tusk zu Beginn des Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernahm, signalisierte er, dass er die Einführung des zweiten Emissionshandels 2027 für verfrüht hält.

Umweltbundesamt warnt: Viele sind nicht ausreichend informiert

Auch beim Umweltbundesamt geht man davon aus, dass der Preisdruck sehr hoch sein wird. Und Verbraucherinnen und Verbraucher sind darauf nach Einschätzung von UBA-Präsident Dirk Messner nicht ausreichend vorbereitet: „Umfragen zeigen leider, dass die Informationslage hier noch nicht optimal ist und erhebliche Teile der Bevölkerung noch keine ausreichende Kenntnis zu den Wirkungen der CO2-Bepreisung haben“, sagte Messner dieser Redaktion. „Dies ist aber entscheidend, denn nur so können die perspektivisch steigenden Preise bei Investitions- und Konsumentscheidungen berücksichtigt werden.“ Für den Klimaschutz, aber auch für die Vermeidung von fossilen Kostenfallen sei das essenziel. Übersetzt: Nur wer weiß, dass es teuer wird, kann sich darauf entsprechend vorbereiten.

Das UBA plädiert außerdem mit Nachdruck dafür, dass steigende CO2-Preise sozial abgefedert werden müssen. „Dieser Punkt ist uns sehr wichtig“, sagt Messner. Seine Behörde schlägt vor, ein sozial ausdifferenziertes Klimageld zu kombinieren mit einer Absicherung für untere und mittlere Einkommen und Förderprogrammen für besonders betroffene Haushalte. „Konkret ließen sich die Belastungen durch den steigenden CO2-Preis durch einkommensabhängige Zuschüsse, zinsgünstige Kredite und gezielte Förderprogramme für Mieterinnen und Mieter und Eigentümerinnen und Eigentümer abfedern“, sagt Messner.

Denn auch nach 2030 werden die CO2-Preise wohl weiter steigen. Die Aufgabe, dafür einen Umgang zu finden, kommt auf die nächste Bundesregierung zu.