Washington. Trumps Chefberater Elon Musk schießt lautstark gegen die freie Internet-Enzyklopädie und ruft zum Boykott auf. Will er sie kaufen?
Die Glaubwürdigkeit traditioneller Medien zu untergraben, ihnen die Existenzberechtigung abzusprechen („sie sind tot“) und stattdessen einen Jeder-kann-alles-sagen-„Bürgerjournalismus“ auf seinem Kommunikationsportal X (vormals Twitter) zu propagieren, nimmt einen erheblichen Teil der digitalen Aktivitäten von Elon Musk ein.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem der reichste Mann der Welt, der neuerdings auch das Ohr des neuen, alten US-Präsidenten Donald Trump hat, nicht gegen etablierte Medien agitiert, Publikationen und Journalisten herabwürdigt und sich zum Hüter der Meinungsfreiheit aufschwingt. Er nennt New York Times, CNN & Co. „legacy media” (für ihn gleichbedeutend mit Lügenpresse).
Sein Klassiker: Einträge anderer X-Teilnehmer, die kritische Medien-Berichterstattung über Donald Trump oder ihn zu teils übler Hass-Polemik nutzen, werden häufig von ihm mit einem knappen „True” (Das stimmt) flankiert; was automatisch über 200 Millionen X-Konsumenten, die Musk folgen, zur Kenntnis gegeben wird. Wer den Chef direkt auf X kritisiert, läuft dagegen Gefahr, geblockt oder vor einem Millionen-Publikum vorgeführt zu werden.
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Diese Einschüchterungsmethoden funktionieren nicht bei der seit bald 25 Jahren bestehenden weltgrößten Online-Enzyklopädie, mit der Musk über Kreuz liegt, weil er sich auf ihren Seiten falsch oder unvorteilhaft dargestellt sieht. Es geht um Wikipedia, eine der weltweit am häufigsten aufgerufenen Internetseiten.
USA: „Ich liebe Wikipedia. Es wird mir der Zeit immer besser”, lobte Musk 2017
Am 15. Januar 2021 hatte Elon Musk dem durch Spenden finanzierten Schwarm-Intelligenz-Portal zum 20. Geburtstag gratuliert. „So froh, dass ihr existiert.” Im März 2017 klang das Lob noch vehementer: „Ich liebe Wikipedia. Es wird mir der Zeit immer besser.” Alles Makulatur. Heute bemängelt Musk, dass die Webseite „ihre Objektivität verliert“, „zu stark von den Mainstream-Medien kontrolliert wird“ und „eine nicht unerhebliche linksgerichtete Tendenz aufweist“.
Nach der Amtseinführung Trumps am Montag hat Musk seine Breitseiten intensiviert. Er fordert: „Entzieht Wikipedia die Mittel, bis das Gleichgewicht wiederhergestellt ist!“ Motivation: persönliche Betroffenheit.
Auslöser war Musks weithin als „Hitlergruß” interpretierte Geste bei einer Veranstaltung am Montagabend mit Trump-Fans in Washington. In der surrealen Szene ist zu sehen, wie Musk sich mit zusammengebissenen Zähnen heftig mit der rechten Hand auf das Herz schlägt. Seine Finger sind weit gespreizt und er streckt seinen rechten Arm diagonal und nachdrücklich aus. Dann wiederholt er die Geste, diesmal im gleichen Winkel nach oben, mit der Handfläche nach unten und den Fingern zusammen in Richtung Menschenmenge und ruft: „Mein Herz ist bei euch.“
Was ihm auf Wikipedia einen faktisch einwandfreien Eintrag bescherte, der sich auf US-Medienquellen beruft: „In seiner Rede während der zweiten Amtseinführung von Trump streckte Musk zweimal seinen rechten Arm in einem nach oben gerichtete Winkel in Richtung der Menge. Die Geste wurde mit einem Nazi- oder faschistischen Gruß verglichen. Musk bestritt jegliche Bedeutung hinter der Geste.”
Elon Musk akzeptiert das nicht: „Da die Propaganda der traditionellen Medien von Wikipedia als gültige Quelle angesehen wird, wird sie natürlich einfach zu einer Erweiterung der Propaganda der traditionellen Medien”, schoss der Multi-Milliardär und Tesla/X-CEO am Mittwoch zurück.
Die eskalierenden Angriffe auf Wikipedia von Musk und anderen einflussreichen Persönlichkeiten der amerikanischen Rechten folgen einem einschlägigen Muster. Zuerst kommt der Vorwurf der Voreingenommenheit, der durch ausgewählte oder falsch dargestellte Beispiele untermauert wird. Dann folgt die Forderung nach „Ausgewogenheit“, was in der Praxis bedeutet, Rand-Meinungen oder nachweislich falsche Behauptungen gleich zu gewichten. Werden diese Forderungen abgelehnt, verlagern sich die Angriffe auf die Legitimität der Plattform selbst: ihre Finanzierung, ihre Verwaltung, ihre Führungskräfte und ihr Existenzrecht als unabhängige Institution.
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Was regelmäßig ins Leere läuft, weil die Wikipedia-Führung um Jimmy Wales hart gesotten ist. 2017 etwa wehrte die „Wikimedia Stiftung” Versuche der Türkei ab, die Website zu zwingen, Informationen über die Unterstützung terroristischer Organisationen durch die türkische Regierung zu ändern. Als Ankara den Zugang zu Wikipedia blockierte, brachte die Stiftung den Fall vor den Obersten Gerichtshof der Türkei, und der Zugang wurde im Januar 2020 wiederhergestellt, nachdem das Gericht entschieden hatte, dass das Verbot das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung verletzte.
„Ich glaube, Elon ist unglücklich darüber, dass Wikipedia nicht zum Verkauf steht“
Jimmy Wales nimmt die aktuellen Attacken von Musk mit Ironie: „Ich glaube, Elon ist unglücklich darüber, dass Wikipedia nicht zum Verkauf steht. Ich hoffe, dass seine Kampagne, uns die Gelder zu entziehen, zu vielen Spenden von Menschen führt, denen die Wahrheit am Herzen liegt.” Internet-Experten in Washington raten gleichwohl zu Wachsamkeit: Musk betreibe eine Kampagne, die Wikipedia dauerhaft deligitimieren und den Frust der Ultrarechten bündelt, die den Versuch unternehmen den Informationsfluss umzuschreiben und zu kontrollieren.
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Bei alldem unterlaufen Musk fulminante Pannen. Wer auf seinem Portal X den neuen auf Künstlicher Intelligenz basierenden Chatbot „Grok” zu Musk/Hitlergruß befragt, bekommt in der Substanz exakt die gleiche Antwort wie sie Wikipedia anbietet.
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