Berlin. Trotz aller Treueschwüre für die Ukraine: Die EU macht nach wie vor Energiegeschäfte mit Russland. Auch Deutschland ist betroffen.

Seit mehr als zwei Jahren zirkuliert in der EU ein eisernes Mantra: „Wir unterstützen die Ukraine so lange wie nötig.“ Die Gemeinschaft verhängte nach Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine eine Vielzahl von Sanktionen gegen Moskau. „Das ist der Preis für Putins Spur des Todes und der Vernichtung“, begründete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Strafmaßnahmen.

Doch das ist nur die eine Seite. Im Schatten der politischen Treueschwüre an die Ukraine machen EU-Länder nach wie vor Energiegeschäfte mit Russland und spülen somit Milliarden Euro in die Kriegskasse des Kremls. Hintergrund: Die europäischen Sanktionen gelten nicht für die Einfuhren von russischem Gas. Seit Kriegsbeginn importierte die EU Gas für rund 93 Milliarden Euro aus Russland. Das hat die finnische Forschungsorganisation Center for Research on Energy and Clean Air (CREA) errechnet, die Schiffsrouten und Pipeline-Durchflüsse auswertet.

Militärbeobachter: Russen rücken in der Ukraine weiter vor

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    Gas aus Russland: Ungarn, Österreich und die Slowakei sind besonders abhängig

    Einzelne Länder verzeichnen trotz des Krieges eine unverändert hohe Energie-Abhängigkeit von Moskau. So bezog Österreich, das 2018 einen Vertrag mit Laufzeit bis 2040 abgeschlossen hatte, im vergangenen September 86 Prozent seines Gases aus Russland. Allerdings: Am Wochenende stoppte Russland Gaslieferungen an Österreich, nachdem der österreichische Energiekonzern OMV angekündigt hatte, die Zahlungen einzustellen. Zuvor waren OMV in einem Rechtsstreit mit Gazprom 230 Millionen Euro Schadensersatz zugesprochen worden.

    Ungarn bezieht derzeit rund 80 Prozent seines Gases vom östlichen Nachbarn, die Slowakei 70 Prozent. Die Regierungen beider Länder gelten als russlandfreundlich.

    Zwei Drittel des russischen Gases gelangen über zwei Pipelines in die EU. Eine davon führt durch die Ukraine und reicht bis in die Slowakei, nach Ungarn, Österreich und in angrenzende Länder. Ein Drittel kommt über Flüssiggas-(LNG)-Terminals, vor allem in Spanien, Frankreich und Belgien. Insgesamt stammen rund 15 Prozent der EU-Gasimporte aus Russland.

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    Russisches Gas kommt über Umwege nach Deutschland

    Deutschland bezieht zwar seit dem 31. August 2022 kein Gas mehr direkt von der Rohstoff-Großmacht im Osten. Aber indirekt fließt russisches Gas über EU-Drittstaaten nach Deutschland. Auch deutsches Geld landet somit im russischen Staatshaushalt.

    Nach Angaben von CREA hat die EU zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 11. November 2024 Gas für rund 32 Milliarden Euro aus Russland importiert. Die größten Einkäufer sind demnach Belgien (4,35 Milliarden Euro), Spanien (4,31 Milliarden Euro), Ungarn (4,17 Milliarden Euro) und Frankreich (4,04 Milliarden Euro). Der Preis für russisches Gas gehört zwar zu den nichtöffentlichen Vertragsdetails. Doch darf vermutet werden, dass Moskau mit günstigen Angeboten lockt.

    Energie-Experte: Rund 5 Prozent der deutschen Gasexporte kommen aus Russland

    Aktuell wird Deutschland hauptsächlich aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden versorgt. Der tückische Punkt: Führt Deutschland zum Beispiel eine bestimmte Menge Gas aus Belgien oder der Niederlande ein, könnte sich auch ein Anteil an russischem Gas darunter befinden.

    „Laut unseren Berechnungen kommen knapp fünf Prozent der deutschen Gasimporte indirekt aus Russland – und zwar über Lieferungen aus EU-Drittstaaten“, sagte Georg Zachmann, Energie-Experte der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, unserer Redaktion. „Man muss sich das so vorstellen: Jedes Nachbarland ist ein großer Swimmingpool, in den die Gasmoleküle hineinkommen. Die Menge wird kräftig durchgemischt, dann werden die Moleküle weitergeleitet.“

    Gasspeicher
    Ein Manometer zeigt den Druck im Erdgasnetz auf dem Gelände des Untergrund-Gasspeichers der VNG AG an. Stark angestiegene Gasimporte aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien haben beim Nettogasimport den Wegfall der russischen Gaslieferungen seit Ende August 2022 fast kompensiert. Und doch kommt über Umwege immer wieder auch russisches Gas an. © picture alliance/dpa | Jan Woitas

    Oft sollen Schadenersatzzahlungen vermieden werden

    Die Bundesnetzagentur verweist zwar darauf, dass über Pipelines und „nach unserer Kenntnis“ über deutsche LNG-Terminals kein russisches Gas eingespeist wird. „Dennoch ist es physikalisch aufgrund des vermaschten Netzes und des europäischen Gasbinnenmarkts denkbar, dass russische Gasmoleküle nach Deutschland oder durch Deutschland als Transitland fließen“, sagte Pressesprecherin Nadia Affani unserer Redaktion. „Ob deutsche Importeure russische LNG-Mengen direkt kaufen, erhebt die Bundesnetzagentur nicht. Ebenso wenig erhebt die Bundesnetzagentur Importdaten aus den Nachbarstaaten.“

    LNG Terminal-Schiff Transgas Force in Bremerhaven
    Das LNG Terminal-Schiff Transgas Force liegt im Kaiserhafen Drei an der Lloyd-Werft in Bremerhaven. © picture alliance/dpa | Focke Strangmann

    Gelangt russisches Gas vor allem infolge der Intransparenz des Marktes nach Deutschland, geht es auf europäischer Ebene oft darum, Schadenersatzzahlungen zu vermeiden. „Die meisten Lieferverträge wurden schon 2018 geschlossen – lange vor der Energiekrise 2022. Kein Marktteilnehmer kann das Risiko eingehen, Konventionalstrafen zahlen zu müssen“, erklärt Ronald Pinto vom belgischen Daten- und Analyseunternehmen Kpler.

    Gas fließt durch die Ukraine – und Russland zahlt

    Erstaunlicherweise fließt trotz des Krieges weiterhin russisches Gas durch die Ukraine Richtung Westen. Die Regierung in Kiew erhält für den Transit rund eine Milliarde Dollar pro Jahr aus Moskau. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zwar angekündigt, den zum Jahresende auslaufenden Vertrag mit dem russischen Gaskonzern Gazprom nicht zu verlängern. „Es könnte aber auch sein, dass die Ukraine den Weiterbetrieb der Pipeline als politischen Hebel einsetzen will. Etwa, um von Ungarn oder der Slowakei Zugeständnisse zu bekommen“, betont der Bruegel-Forscher Zachmann.

    Ein Ende der russischen Gaslieferungen nach Europa ist nicht in Sicht. Ein EU-weites Einfuhrverbot, wie es etwa der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen fordert, ist wegen des Einstimmigkeitsprinzips in der Gemeinschaft unrealistisch. Ungarn und die Slowakei würden dies torpedieren.

    Fachleute fordern daher phantasievollere Lösungen wie etwa die Erhebung eines „Sonderzolls“ auf russische Gasimporte. „Dadurch würde man die Einnahmen Russlands deutlich reduzieren“, unterstreicht Bruegel-Experte Zachmann. „Das Geld aus dem Zoll könnte an die besonders betroffenen Länder wie Österreich, Ungarn oder die Slowakei verteilt werden. Ein anderer Teil könnte an die Ukraine fließen.“