Berlin. Pete Hegseth wird die größte Streitkraft der Welt anführen. Militärexperte Carlo Masala zeigt sich irritiert – auch wegen Musks Rolle.
Der Winter steht bevor, und militärisch geraten die Ukrainer in den Frontgebieten zunehmend unter Druck. Carlo Masala, Sicherheitsexperte an der Universität der Bundeswehr in München, wagt einen Ausblick auf die kommenden Wochen und sagt, was er von dem designierten US-Verteidigungsminister Pete Hegseth erwartet.
Herr Masala, wie bewerten Sie die russischen Vorstöße bei Pokrowsk? Ist da demnächst ein Durchbruch möglich?
Carlo Masala: Russland macht derzeit an mehreren Stellen Druck. Einer der Hauptschwerpunkte ist Pokrowsk. Letztlich ist es die Entscheidung der Ukraine, wie lange sie diese Stadt verteidigen will. Aber es ist absehbar, dass sie fallen wird. Damit gibt es zwei nachgelagerte Probleme: Die Logistik für die ukrainischen Streitkräfte im Südosten des Donbass wird durchschnitten. Das hat mit einer Straße zu tun, die in der Nähe von Pokrowsk liegt, die die Russen dann auch einnehmen werden. Das zweite ist: Hinter Pokrowsk liegen 150 bis 170 Kilometer unbefestigtes Gelände. Das heißt, nach Pokrowsk werden die Russen einen großen territorialen Gewinn machen.
Wie lange könnte es noch dauern, bis das russische Militär Pokrowsk einnimmt?
Masala: Es wird eher kürzer als langfristiger sein. Wann entscheidet sich die Ukraine, dass die Stadt nicht mehr zu halten ist, und zieht ihre Truppen ab? Wir können nicht wissen, ob man sich entscheidet, die Stadt bis zum letzten Ukrainer zu verteidigen – oder ob man klugerweise das Leben der eigenen Leute zu retten versucht und sich geordnet zurückzieht. Putin wird versuchen, bis zum 20. Januar so viel Territorium wie möglich zu erobern.
Carlo Masala
Er ist einer der bekanntesten Militärexperten in Deutschland. Masala (Jahrgang 1968) lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Konflikt in der Ukraine.
Also bis zur Amtseinführung von Donald Trump als neuem US-Präsidenten…. Wie ist die Lage im Süden sowie im russischen Kursk?
Masala: In Kursk beginnen die Russen mit ihrer Rückeroberung. Die Ukrainer schlagen sich dort gut und fügen ihnen dort Schaden zu. In Saporischschja mehren sich die Anzeichen, dass auch dort eine Offensive Russlands bevorsteht. Das würde die Situation im Süden verändern.
Inwiefern?
Masala: Bislang war die Situation im Süden ja eher statisch. Durch eine mögliche Offensive kommt auch da wieder Bewegung rein.
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Seit Wochen kursieren Berichte über in Kursk kämpfende Nordkoreaner. Wie machen sie sich an der Front?
Masala: Das wissen wir nicht – nur, dass sie da sind. Ob sie eingesetzt werden, wie sie eingesetzt werden, ob sie auf russische Vorgesetzte schießen, das ist alles unbekannt.
Angenommen, es wären tatsächlich nordkoreanische Eliteeinheiten vor Ort, wäre das perspektivisch auch eine Bedrohung für Südkorea, wenn diese Soldaten in Russland Kampf-Erfahrung sammeln?
Masala: Dazu müssten sie erstmal lebend zurückkommen. Mal ehrlich: Es sind vielleicht 10.000 Nordkoreaner da. Einige davon kommen möglicherweise aus Eliteeinheiten – das ist keine wahnsinnige Bedrohung für Südkorea. Wir reden über ein paar Hundert, vielleicht 2000 Mann. Dabei hat Nordkorea 500.000 Männer unter Waffen, Südkorea ähnlich. Militärisch ist das kein game changer. Die Bedrohung für Südkorea liegt eher in der Frage: Was liefert Russland den Nordkoreanern dafür, dass sie in Russland kämpfen?
Lassen Sie uns in die USA schauen. Mit Pete Hegseth steht nun der neue US-Verteidigungsminister fest. Wie ist die Personalie zu bewerten?
Masala: Das kam sehr überraschend. Niemand hatte diesen Mann auf dem Schirm. Der Demokrat Adam Smith, der dem Verteidigungsausschuss vorsitzt, sagte, er habe bis 20 Minuten vor der Ernennung nicht gewusst, wer der Typ ist.
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Klassischer Trump-Stil.
Masala: Ja. Zu zwei Dingen hat sich Hegseth bislang geäußert. Er ist ein klarer primacist und sieht in China die größte Bedrohung für die Vereinigten Staaten. Der Rest interessiert ihn nicht so sehr. Das zweite ist: Er will die US-Streitkräfte von Soldaten und Offizieren säubern, die er verdächtigt, „woke“ zu sein. Davon ist er geradezu besessen. Das geht hoch bis zum früheren Generalstabschef Mark Milley. Pete Hegseth kann man getrost als rechtsextrem bezeichnen. Das Problem ist: Er hat null Erfahrung mit Verwaltung. Er wird dem Pentagon, der größten Behörde in Washington, vorstehen. Hinzu kommt die riesige Streitkraft, die über die ganze Welt verteilt ist.
Sie trauen ihm den Job also nicht zu.
Masala: Ich traue ihn niemandem zu, der keine Verwaltungserfahrung hat. Es hat einen Grund, dass bisher alle Leute, die ins Pentagon gekommen sind, über viel Erfahrung verfügten, ob als Zivilisten oder als Militärs. Hegseth ist zwar ein Soldat, der Erfahrung in Einsätzen hat. Das ist schön und gut. Aber wir reden über das Führen einer Behörde.
Mit Marco Rubio steht eine weitere wichtige Personalie fest…
Masala: Rubio, der künftige Außenminister. Auch er ist ein primacist. China ist für ihn das Wichtigste. Er hat sich in der Vergangenheit recht positiv zur Ukraine geäußert. Aber: Das amerikanische System ist anders als unser System. Aus den Aussagen all dieser Leute lässt sich nicht ableiten, in welche Richtung diese Trump-Administration steuern wird. Denn: Das Zentrum ist das Weiße Haus, und wir wissen nicht, wer in diesen Fragen wirklich bei Trump Gehör findet. Allein die Bezeichnung „Secretary of…“ legt das schon nahe – es handelt sich nicht wie bei uns um Minister mit einer eigenen Ressorthoheit. Deshalb war es immer so wichtig, erfahrene Leute auf diesen Posten zu haben, die sich auch mal trauen, einem Präsidenten zu sagen: Was wir hier machen, ist vielleicht keine gute Politik. Rubio ist eine Ausnahme, aber alle anderen, die jetzt nominiert sind, zeichnen sich dadurch aus, dass sie Trump gegenüber komplett loyal sind. Was die im Vorfeld über China, Israel oder den Iran gesagt haben, kann jetzt noch keinen Aufschluss darüber geben, wie die Trump-Regierung außenpolitisch ticken wird. Ich meine: Bei den Gesprächen Trumps mit Selenskyj und Erdogan war Elon Musk dabei – niemand aus dem verteidigungs- und sicherheitspolitischen Team!
Wie erklären Sie sich das?
Masala: Musk ist der größte Förderer der Trump-Kampagne. Er ist sehr wichtig für Trump, was auch die Wählerbasis betrifft, bei der Musk einen gottgleichen Status hat. Schauen Sie auf Vance’s Äußerung vor der Wahl: Entweder ändert die EU-Kommission ihre Regularien mit Blick auf die Plattform „X“ oder es gibt Konsequenzen im Rahmen der Nato. Musk wird seine privaten Geschäftsinteressen mit den Interessen der Administration verquicken. Bei der Ukraine geht es um Starlink, bei Erdogan – keine Ahnung.
Putin hat länger gebraucht, ehe er Trump zum Sieg gratuliert hat. Was der Kremlherrscher macht, ist selten Zufall. Was hat er damit bezweckt?
Masala: Putin kann sich nicht sicher sein, in welche Richtung das mit Trump gehen wird. Er kann nicht den Eindruck erwecken, dass nun alles anders wird in den russisch-amerikanischen Beziehungen und dass er auf Trump gewartet hat. Kreml-Sprecher Peskow hat das nochmal betont: Wir stehen in feindlichen Beziehungen zu den USA. Deswegen kriegen wir ja auch keine Signale aus Russland zu Verhandlungsbereitschaft. Die Nacktbilder von Melania Trump sind auch so ein Signal…
Kurz nach der Wahl wurden sie im russischen Fernsehen gezeigt…
Masala: Genau. Das zeigt schon, dass Putin in Trump nicht den großen Retter sieht, der für den Kreml jetzt alles in Ordnung bringt.
Waren diese Nacktbilder womöglich strategisch unklug?
Masala: Das hängt davon ab, ob Trump seine Frau überhaupt interessiert. Das kann man bei ihm nie so genau sagen. Wenn sie ihn interessiert, dürfte ihn das nicht kaltlassen. Aber er hat nicht mal reagiert.