Berlin. Kanzler Olaf Scholz schaltet sich in die Mindestlohn-Debatte ein – vermutlich auch, um die FDP zu ärgern. Doch es geht um mehr.

Steigt der Mindestlohn auf 15 Euro? Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jedenfalls ist dafür. Der Regierungschef hat sich gerade in die Debatte über eine Anhebung der gesetzlichen Lohnuntergrenze eingeschaltet – vermutlich auch, um den Koalitionspartner FDP zu ärgern. Ein Überblick.

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Was sagt der Kanzler zum Mindestlohn?

Olaf Scholz macht sich dafür stark, den Mindestlohn in zwei Stufen auf 15 Euro zu erhöhen. „Ich bin klar dafür, den Mindestlohn erst auf 14 Euro, dann im nächsten Schritt auf 15 Euro anzuheben“, sagte der Sozialdemokrat dem „Stern“. Zu Beginn dieses Jahres war die Lohnuntergrenze um 41 Cent auf 12,41 Euro pro Stunde gestiegen. Zum kommenden Jahreswechsel ist abermals eine Erhöhung um 41 Cent geplant, auf dann 12,82 Euro. Kritiker halten das angesichts der deutlich gestiegenen Lebenshaltungskosten für viel zu wenig. In Deutschland beziehen rund sechs Millionen Beschäftigte den Mindestlohn.

Scholz fordert Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro

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    Warum äußert sich Olaf Scholz jetzt?

    In den vergangenen Wochen hatten sich bereits mehrere Gewerkschafter sowie Politiker von SPD und Grünen für eine deutliche Anhebung des Mindestlohns erst auf 14 und dann später auf 15 Euro starkgemacht. Verwiesen wird dabei auf eine Empfehlung der Europäischen Union, laut der die nationale Lohnuntergrenze bei 60 Prozent des jeweiligen Median-Lohns liegen sollte. Derzeit würde dies Berechnungen zufolge in Deutschland auf einen Mindestlohn von rund 14 Euro pro Stunde hinauslaufen und in absehbarer Zeit dann auf 15 Euro.

    Wie wird der Mindestlohn festgelegt?

    Das ist der entscheidende Punkt – und er macht die Aussage des Kanzlers so brisant. Denn eigentlich gibt es eine spezielle Mindestlohnkommission, die die Höhe festlegt. Sie unterbreitet einen Vorschlag, den die Regierung nur annehmen kann oder nicht. Die Kommission ist paritätisch mit Vertretern der Arbeitgeber sowie der Gewerkschaften besetzt. Außerdem gehören ihr noch eine unabhängige Vorsitzende sowie zwei wissenschaftliche Berater ohne Stimmrecht an.

    Mitte vergangenen Jahres hatten die Arbeitgeber gemeinsam mit der Vorsitzenden die bescheidene Erhöhung von zwei Mal 41 Cent durchgesetzt, die Gewerkschaften waren außer sich vor Wut. Die Arbeitgeber verwiesen ehedem auf die schwierige Lage der Wirtschaft und darauf, dass der Mindestlohn im Herbst 2022 bereits kräftig gestiegen war – und zwar von 10,45 Euro auf 12 Euro pro Stunde. Diese Erhöhung war ein zentrales Versprechen der SPD im Bundestagswahlkampf gewesen. Um es nach der Bildung der Ampelkoalition umzusetzen, überging der Gesetzgeber die Mindestlohnkommission und versicherte, dass dies eine einmalige Ausnahme bleiben werde.

    Ist es denkbar, dass der Gesetzgeber jetzt wieder von sich aus tätig wird?

    Die jüngsten Äußerungen des Kanzlers kann man als dahin gehende Drohung verstehen. Er sagte jetzt im Interview: „Nach der Anhebung auf 12 Euro zu Beginn dieser Wahlperiode haben einige Mitglieder der Mindestlohnkommission, die die jährlichen Anhebungen vornehmen soll, leider mit der sozialpartnerschaftlichen Tradition gebrochen, einvernehmlich zu entscheiden.“ Scholz ergänzte: „Die Arbeitgeber haben nur auf einer Mini-Anpassung beharrt. Das war ein Tabubruch.“

    Was hat das mit der FDP zu tun?

    Der liberale Koalitionspartner betont in der Mindestlohndebatte immer wieder, dass sich der Staat nach der Ausnahme 2022 fortan aus der Lohnfindung herauszuhalten habe und die Sozialpartner zuständig seien. Der Regierungschef äußert sich jetzt so, als ob er gemeinsam mit den Grünen in dieser Frage jederzeit auf Konfrontationskurs mit der FDP gehen könnte. Die Höhe des Mindestlohns und ihre Festlegung sind ein Thema von großer Tragweite, das vor allem die SPD jederzeit aggressiv ausspielen kann.

    Im Grunde macht Scholz jetzt das, was die FDP seit Wochen versucht: Die Liberalen setzen sich mit Papieren des Parteipräsidiums Stück für Stück von den Koalitionspartnern ab. Gerade erst hat sie die abschlagsfreie Rente für langjährige Versicherte („Rente mit 63“) infrage gestellt – und das, obwohl FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner erst Anfang März mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein gemeinsames Rentenpaket präsentiert hatte. Kanzler Scholz baut mit seinem Vorgehen jetzt auch Verhandlungsmasse gegenüber den Liberalen auf im Ringen um die Aufstellung des Bundeshaushalts 2025.

    Welche Reaktionen gibt es auf den Scholz-Vorstoß?

    Finanzminister Lindner sagte dieser Redaktion: „Es ist legitim, dass sich auch der Bundeskanzler als Wahlkämpfer betätigt. Der Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode regelt aber klar, dass die Lohnfindung keine Sache der Parteien ist.“ Es würde auf Dauer für Arbeitsplätze gefährlich, wenn sich die Politik hier einmische, ergänzte der FDP-Chef. Die SPD mache fortwährend Vorschläge, die nicht zum Koalitionsvertrag passen. „Das einzig Neue ist, dass sich daran nun auch der Kanzler beteiligt. Ich hoffe, dass damit nun auch die gespielte Empörung der SPD endet, wenn die FDP eigenständig Ideen vorträgt.“

    Die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier, sagte unserer Redaktion: „Wir begrüßen es sehr, dass nun auch der Bundeskanzler der schon lange formulierten SoVD-Forderung folgt.“ Engelmeier ergänzte: „Aber Olaf Scholz wird sich nun auch daran messen lassen müssen.“

    DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell sagte: „Der Kanzler hat recht.“ Es brauche einen armutsfesten gesetzlichen Mindestlohn, wie ihn die europäische Mindestlohnrichtlinie vorsieht. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger wies dies Aussage des Kanzlers zurück, die Arbeitgeber hätten in der Mindestlohnkommission einen Tabubruch begangen. Dies sei „Unsinn“, sagte Dulger. „Wenn jemand einen Tabubruch begeht, dann der Bundeskanzler. Er hat zugesagt, nicht mehr in die Arbeit der Mindestlohnkommission eingreifen zu wollen.“