Menden. Prozess lässt erfahrenen Richter nicht kalt. Mann (24) soll Frau (17) angezündet haben. Gericht rekonstruiert die Tatnacht mit grausamen Details.

Der Syrer aus Hemer, der die kleine Schwester seiner Exfreundin bei lebendigem Leib angezündet haben soll, muss lebenslang in Haft. Die Richter und Schöffen verlassen den Saal, die Tür schließt sich. Und auf einmal geht alles schnell: Die Mutter der Toten weint, schreit und gestikuliert. Die Mutter des Angeklagten tut es ihr gleich und schreit aus dem Zuschauerraum zurück. Auch der Angeklagte wird laut. Seine Mutter rennt los, gebärdet sich drohend in Richtung der Mutter der Toten. Sie wirft sich ihrem Sohn in die Arme, beide brechen in Tränen aus. Die vier Justizvollzugsbeamten schreiten ein. Sie trennen Mutter und Sohn, zerren den Angeklagten aus dem Saal. Und der 24-Jährige wirft einen letzten tränenreichen Blick auf seine Mutter, bevor sich die Tür schließt.

„Das 17-jährige Mädchen brannte lichterloh und erlitt schwerste Verbrennungen. “

Vorsitzende Richter Petja Pagel

Stimmen gehen durcheinander. Es wird kein Deutsch gesprochen. Zuschauer sitzen im Saal und nehmen offenbar heimlich mit ihrem Smartphone Sprachmemos auf oder lassen Übersetzungstools live mitlaufen. Die Stimmung, in der dieser Mordprozess endet, ist intensiv. Die Szene, die sich am Ende des letzten Verhandlungstages in Saal drei am Arnsberger Landgericht abspielt, ist hochemotional. Doch was war passiert? Das Landgericht Arnsberg hat den syrischen Mann aus Hemer zu lebenslanger Haft verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt, was eine Entlassung nach 15 Jahren ausschließt. Er habe mit seiner Tat gleich vier Mordmerkmale erfüllt.

Gericht beschreibt die Details des Abends genau

„Solange ich hier am Landgericht arbeite, wurde hier bisher keine schlimmere Tat verhandelt“, hatte der Vorsitzende Richter Petja Pagel bei der Urteilsbegründung kurz zuvor gesagt und für alle Menschen im Raum noch einmal rekonstruiert, was sich aus Sicht des Gerichts in der Tatnacht genau abgespielt hat:

Freitagabend, 22. März 2024. Eine Mutter sitzt mit ihren beiden Töchtern auf dem Sofa in einer Wohnung in der Wunne in Bösperde. „Es war ein ganz normaler Abend“, so der Richter. Der Sohn verlässt gegen 18 Uhr die Wohnung des Mehrfamilienhauses, die kleinste Tochter - zwölf Jahre alt - geht schlafen. Parallel befindet sich der Angeklagte bei seinem Schwager, nur wenige Meter vom späteren Tatort entfernt. „Er hat noch ein Glas Wasser getrunken und dann gesagt, er müsse los, um den Zug nach Dortmund zu bekommen“, so der Richter.

Kurz vor 22 Uhr. Tatsächlich sei er aber in die Wunne gegangen - in den Keller des Mehrfamilienhauses, in dem die Familie seiner Ex wohnte. „Er hat dort einen Sack mit vier Fünf-Liter-Kanistern genommen und ihn bis vor die Wohnungstür gebracht“, so der Richter weiter. Gäste, die sich in der gegenüberliegenden Wohnung befunden haben, hätten diese verlassen und den blauen Sack im Flur stehen sehen. „Als die Haustür geschlossen war, hat der Angeklagte bei der Nebenklägerin [Anmerkung Red.: der Mutter der Toten] geklingelt - in der Absicht, die öffnende Person zu entzünden und zu töten“, so Richter Pagel.

„Als die Haustür geschlossen war, hat der Angeklagte bei der Nebenklägerin [Anmerkung Red.: der Mutter der Toten] geklingelt - in der Absicht, die öffnende Person zu entzünden und zu töten.“

Vorsitzende Richter Petja Pagel

„Das Motiv war nach Auffassung der Kammer, der Exfreundin größtmögliche seelische Schmerzen zuzufügen, indem er der Familie entsprechend seinem Plan, größtmögliches Leid zufügt“, erklärt Richter Pagel. Die 17-jährige Schwester seiner Ex habe die Tür geöffnet. „Sie hat unmittelbar begonnen zu schreien. Sie lief durch den Flur, der Angeklagte lief hinterher, zog sie zu Boden. Er schüttete Benzin über sie aus einem Kanister und entzündete das Mädchen.“ Die zwölfjährige Schwester, die durch die Schreie wach geworden war, „musste alles mit ansehen“. Die Mutter ebenfalls. „Das 17-jährige Mädchen brannte lichterloh und erlitt schwerste Verbrennungen. Auch der Fußboden brannte und die Wohnung wurde zerstört.“

Urteilsverkündung im Landgericht Arnsberg Mordprozess Hamza Wunne Menden
Emotionale Szenen nach der Urteilsverkündung im Landgericht Arnsberg. Die Mutter der Toten bricht in Tränen aus. © WP | Jennifer Wirth

Das brennende Mädchen sei auf den Balkon und wieder zurück in die Wohnung gerannt. Ihre Mutter habe versucht, das Feuer mit einer Decke zu löschen und sich dabei selbst verbrannt. Wieder sei das verbrannte Mädchen auf den Balkon gerannt. Nachbarn retteten schließlich das Opfer, die Mutter und die Zwölfjährige vom Balkon.

„Sie hat unmittelbar begonnen zu schreien. Sie lief durch den Flur, der Angeklagte lief hinterher, zog sie zu Boden. Er schüttete Benzin über sie aus einem Kanister und entzündete das Mädchen.“

Vorsitzende Richter Petja Pagel

Zeitgleich sollen Zeugen versucht haben, die Wohnungstür zu öffnen und das Feuer zu löschen - vergeblich. Ein Mann sei sogar -„überaus mutig“, wie Richter Petja Pagel betont - in die brennende Wohnung gegangen, um nach weiteren Personen zu suchen und zu helfen.

„Das Mädchen hat vor Schmerzen geschrien und war über das Eintreffen der Rettungskräfte hinaus bei Bewusstsein.“

Vorsitzende Richter Petja Pagel 

Und der Angeklagte? „Er lief zu seiner Schwester nach der Tat und klopfte“, so der Vorsitzende Richter Petja Pagel. Anwesend seien allerdings nur seine Nichte und deren kleiner Bruder gewesen. Die Nichte habe mittlerweile grob erfahren, was ihr Onkel getan haben soll. „Der Angeklagte wollte Zigaretten, Essen und Kleidung.“ Die Nichte habe ihre Cousine alarmiert und den Bruder zum Türöffnen geschickt. Sie gab ihm Kleidung und es kam zum Gespräch in der Küche. „Er habe sich selbst umbringen wollen“, soll der Angeklagte zur Nichte gesagt haben. Kurze Zeit später nimmt die Polizei den Mann widerstandslos mit.

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Am 5. April 2024 starb die 17-Jährige aus Menden im Krankenhaus an Multiorganversagen infolge des schweren Verbrennungstraumas. Niedrige Beweggründe, Heimtücke, Grausamkeit und das Mordmerkmal des „gemeingefährlichen Mittels“ sieht das Gericht gegeben. Der nicht vorbestrafte Angeklagte sei voll schuldfähig. Die Folge: Lebenslange Haft, besondere Schwere der Schuld. Noch können Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt werden.

„Das Mädchen hat vor Schmerzen geschrien und war über das Eintreffen der Rettungskräfte hinaus bei Bewusstsein. So eine Tat lässt einen auch als Richter nicht kalt.“

Vorsitzende Richter Petja Pagel 

„Das Mädchen hat vor Schmerzen geschrien und war über das Eintreffen der Rettungskräfte hinaus bei Bewusstsein“, sagt der Vorsitzende Richter Petja Pagel und spricht von „Vernichtungsschmerzen“. „So eine Tat lässt einen auch als Richter nicht kalt.“ Aber vor allem die Familie des Opfers müsse nun mit den seelischen Schmerzen leben.