Menden/Arnsberg. Ein Syrer (22) soll eine Syrerin (17) in Menden mit Benzin übergossen und angezündet haben. Zeugen liefern mehr Details aus der Nacht.
„Ich fahre alleine voraus. Etwa 150 Meter vor dem Objekt kamen mir schon mehrere Personen entgegen, die das mutmaßliche Opfer bei sich hatten. Sie haben versucht, mein Auto zu kapern.“ Es sind starke Bilder, die die Aussage des Einsatzleiters der Mendener Feuerwehr im Saal 3 des Landgerichts Arnsberg hervorrufen. Er beschreibt am sechsten Verhandlungstag seine Eindrücke von dem Abend, an dem ein syrischer Mann aus einer Hemeraner Flüchtlingsunterkunft (24) eine syrische junge Frau (17) aus Bösperde bei lebendigem Leib angezündet haben soll. Es ist die Nacht vom 22. März 2024. Kurz danach stirbt die 17-Jährige im Krankenhaus.
„Etwa 150 Meter vor dem Objekt kamen mir schon mehrere Personen entgegen, die das Opfer bei sich hatten. Sie haben versucht, mein Auto zu kapern.“
Mutter reißt Hände vors Gesicht, als Feuerwehrmann Situation schildert
„Wir wurden alamiert und es hieß, eine Küche soll brennen“, sagt der Zeuge. Es habe sich um ein Mehrfamilienhaus in der Wunne gehandelt, in dem mehrere Personen vermutet wurden. Als Einsatzleiter sei er an diesem Abend gegen 22 Uhr im Einsatz gewesen und vorgefahren. Als verzweifelte Menschen versuchten, seinen Wagen zu kapern, blieb er nach eigenen Angaben professionell. „Ich habe die Fahrt langsam fortgeführt zum Objekt“, sagt er. Schließlich sei es seine Aufgabe, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen, um alle nachfolgenden Kameraden anweisen zu können. „Ich habe dann gesehen, dass die Drehleiter angehalten und sich der Personen angenommen hat.“ Die Schwerverletzte habe er nur aus der Entfernung gesehen. Die Mutter der Toten reißt die Hände vors Gesicht. Sie verfolgt den Prozess sowohl als Zeugin, als auch als Nebenklägerin. Der Angeklagte zeigt sich derweil offenkundig unbeeindruckt. Er gähnt, während sein Dolmetscher alles übersetzt.
„Es war ein hellorangenes Feuer und es kam Rauch aus den Fenstern.“
Der Einsatzleiter habe die Lage erkundet. Das Haus in der Wunne sei hell erleuchtet gewesen, beschreibt er. „Es war ein hellorangenes Feuer und es kam Rauch aus den Fenstern.“ Für ihn und seine Kollegen sei es „eine jederzeit beherrschbare Lage“ gewesen, ein „Standardgeschäft“. Von kurz nach 22 Uhr bis kurz nach Mitternacht hätten die Arbeiten gedauert, mit 73 Feuerwehrleuten waren sie im Einsatz. „Das ist eine normale Zeit für einen Wohnungsbrand.“ In der Küche des ersten Geschosses habe es gebrannt, seine Kollegen seien ins Gebäude eingedrungen, um Personen zu suchen und den Brand zu löschen. Andere Kameraden hätten draußen mit der medizinischen Versorgung begonnen, bis Rettungswagen aus umliegenden Städten verfügbar gewesen seien. Wenig später sei die Wohnung als Tatort beschlagnahmt worden. Eine Explosion habe er nicht wahrgenommen. Anwohner hätten Vermutungen zum Tathergang geäußert, er selbst habe allerdings nichts gesehen. „Ich bin gedanklich im Einsatz und habe keine Zeit für andere Dinge am Rand.“
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Zeugin will blauen Sack mit Kanistern im Flur gesehen haben
Viel emotionaler hat die nächste Zeugin den Moment erlebt. Sie sei zum Fastenbrechen in der gegenüberliegenden Wohnung bei ihren Schwiegereltern gewesen. Als sie gegen 22 Uhr nach Hause aufbrechen wollte, habe im Hausflur das Licht gebrannt und sie habe oben Schritte gehört. Gesehen habe sie die Person aber nicht. Stattdessen sei ihr ein blauer Sack vor der Tür aufgefallen, der nach Benzin gerochen habe. Sie habe hineingesehen: Mehrere kleine Kanister mit Flüssigkeit, ein Gegenstand, der ihr wie eine Axt vorkam, sowie weitere metallische Gegenstände hätten sich darin befunden. „Ich habe Angst bekommen“, erinnert sich die 37-Jährige.
„Es roch nach Benzin. Ich habe Angst bekommen.“
Sie habe ihre Schwiegermutter danach gefragt. Diese habe ihr erklärt, dass der Sack sich bereits seit einem Monat im Haus befinde und immer wieder vom heute Angeklagten vom Keller zum Dachboden und zurück getragen worden sei. Der Mann habe öfter im Keller oder auf dem Dachboden geschlafen, dort auch gekotet. Die Schwiegermutter habe dies der Hausverwaltung gemeldet, doch es sei nichts geschehen. „Ich meine, die sind irgendwie alle miteinander verwandt“, sagt die Zeugin. Die Verbindungen zwischen den Familien scheinen ziemlich komplex zu sein. So sollen sowohl der mutmaßliche Täter, als auch die Familie der Getöteten laut Nebenklagevertreter Bernd Slapka „aus demselben syrischen Dorf“ stammen und sich bereits lange kennen. Es sei „nicht so einfach“ hatte er bereits nach dem ersten Verhandlungstag auf Nachfrage der Westfalenpost erklärt. Auch um eine Brautgabe, einer syrischen Tradition, wird an diesem Tag gesprochen.
„In der Nacht habe ich den Sack nicht mehr gesehen.“
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Die Zeugin habe dann gegen 22 Uhr das Haus mit ihren Kindern verlassen, ihr Mann habe sie abgeholt. Einer ihrer Söhne sei in der Wohnung bei den Verwandten geblieben. Auf dem Weg nach Hause habe das Handy ihres Mannes geklingelt, die Schwägerin hätte panisch geschrien. Sofort hätte die Zeugin Angst um ihr Kind gehabt und sei zurück zum Haus gefahren. „Aus den Fenstern kamen Flammen.“ Während ihr Mann ins Haus gerannt sei, um zu helfen, habe sie ihren schreienden, weinenden Sohn genommen und sich vom Haus entfernt. Es seien viele Menschen dort gewesen. Überall Rauch, Stimmen, Dunkelheit. „Als das Feuer gelöscht war, haben wir die Sachen meiner Schwiegermutter geholt.“ Das Haus war zunächst nicht mehr bewohnbar, Menschen wurden anderweitig untergebracht. „In der Nacht habe ich den Sack nicht mehr gesehen.“
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Sechsjähriger soll in den Zeugenstand gerufen werden
Die Atmosphäre im Saal wirkt am sechsten Verhandlungstag angespannt. Unmut ist auf allen Seiten spürbar. Der Verteidiger wurde von Staatsanwältin Melina Stoschek gerüffelt, weil er die Mutter der Toten während der Aussage immer wieder mit derselben Frage konfrontiert hatte. Der Richter entlies sie schließlich aus dem Zeugenstand. Doch dies bleibt nicht die einzige Auseinandersetzung an diesem Tag zwischen Verteidiger, Staatsanwaltschaft und dem Richter. Als der Verteidiger nun die Zeugin befragt, verhält er sich ähnlich und äußert Kritik am Vorgehen des Richters. Er will wissen, was in mehreren Zwiegesprächen zwischen Dolmetscherin und Zeugin gesprochen wurde. Die Zeugin weiß nicht, was er meint. Der Angeklagte schaut zwischen den Beteiligten hin und her. Er gähnt wieder.
„Sie haben hier keine Menschen anzuschreien. Ich weiß auch nicht, wieso ich das immer wieder sagen muss.“
Verteidiger Nils Schiering lässt nicht locker. Er könne schließlich kein Türkisch und wolle wissen, was gesprochen wurde. Der Richter geht dazwischen. Der Verteidiger raunt auch ihn an. „Ich verstehe nicht, wieso das Gericht da nicht einschreitet“, sagt er. „Sie haben hier keine Menschen anzuschreien“, erklärt Richter Petja Pagel ruhig, aber mit Nachdruck. „Ich weiß auch nicht, wieso ich das immer wieder sagen muss.“ Schließlich lässt der Verteidiger locker. „Hat der Junge das Feuer gesehen?“, will er nun von der Zeugin wissen. „Er hatte nur Angst. Was soll so ein junges Kind sagen?“, sagt sie. „Was hat er Ihnen erzählt?“ Die Zeugin blickt die Dolmetscherin an. „,Mama, da sind Flammen‘ hat mein Sohn gesagt“, sagt sie. Man habe ihn sofort nach unten gebracht. Er habe große Angst gehabt. Der Verteidiger überlegt. „Ich halte es für geboten, das sechsjährige Kind zu vernehmen“, sagt er schließlich zum Richter. Es sei näher am Geschehen gewesen, als andere. Ob es dazu kommen wird, ist noch nicht klar.
„Er hatte nur Angst. Was soll so ein junges Kind sagen?“
Verbindung zwischen den Familien komplex
Rückblick: Der Angeklagte soll gegen 22 Uhr bei der Familie geklingelt haben, weil er seine Ex-Freundin in der Wohnung im ersten Obergeschoss des Mehrfamilienhauses in der Wunne aufsuchen wollte. Diese sei jedoch nicht anwesend gewesen. Stattdessen habe die Schwester der Ex-Freundin die Tür geöffnet. Laut Anklage soll er diese mit Benzin übergossen und angezündet haben. Wenig später starb die 17-Jährige. Bisher schweigt der Angeklagte.
Der Prozess wird am Donnerstag, 14. November, um 8.30 Uhr fortgesetzt. Weitere Rettungskräfte und ein Rechtsmediziner sollen vernommen werden. Wir berichten weiter.