Menden/Arnsberg. Richter sieht keine Schweigepflicht, der Retter spricht dann Klartext: „So ein Ausmaß der Verletzungen habe ich das erste Mal erlebt.“

Siebter Prozesstag vor dem Arnsberger Landgericht gegen einen 24-jährigen Syrer aus Hemer, der im März in Menden eine 17-Jährige angezündet und damit letztlich getötet haben soll: Der Beschuldigte selbst schweigt weiter, ein Rettungssanitäter schilderte eindrücklich den Zustand des Opfers und die Rechtsmedizinerin ordnete die tödlichen Folgen ein. Der Verteidiger hingegen scheint auf der Suche nach anderen möglichen Gründen für den Tod des Teenagers.

Es sind eindrückliche Schilderungen, die das ganze Ausmaß des mutmaßlichen Attentats zeigen. Ein 36-jähriger Rettungssanitäter war einer der vielen Helfer, die im März an einem Freitagabend in der Wunne waren, als die 17-jährige Jugendliche von einem 24-Jährigen mit Benzin übergossen und angezündet worden sein soll (wir berichten fortlaufend). Nach zweiwöchigem Todeskampf starb die junge Frau an multiplem Organversagen im Krankenhaus. Sie soll die Schwester der Verlobten des Angeklagten sein. Der habe die Trennung nicht akzeptieren wollen und seine Verlobte an ihrem Zuhause aufsuchen wolle. Da war sie aber nicht, und stattdessen habe er aus Wut ihre 17-jährige Schwester mit Benzin übergossen und angezündet. Die aus Syrien stammenden Familien sollen sich auch schon vor ihrer Ankunft in Menden gekannt haben. In Arnsberg läuft nun der Prozess unter anderem wegen Mordes.

50 Prozent der Hautoberfläche verbrannt

Im Rettungswagen hatte an dem Abend unter anderem der genannte 36-jährige Mann das Opfer versorgt. Und auch wenn er schon über einige Jahre Berufserfahrung verfügt, sagte er es nun als Zeuge aus: „So ein Ausmaß der Verletzungen habe ich das erste Mal erlebt.“ Er berichtete davon, dass gut 40 Prozent der Hautoberfläche verbrannt gewesen seien, was die Gerichtsmedizinerin später im Bericht von der Obduktion noch auf 50 Prozent hochschraubte. Nachdem sie in den Rettungswagen gebracht wurde, habe man die junge Frau intubiert, also künstlich beatmet. „Das war das beste für die Patientin, damit sie ihre Schmerzen nicht merkt“, schilderte der Rettungssanitäter. Denn das Leid der jungen Frau sei sehr beklemmend gewesen, auch wenn sie ihre Schmerzen aufgrund der Sprachbarriere ihren Helfern gegenüber nicht direkt äußern konnte.

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Der Rettungswagen fuhr das Opfer dann in ein Krankenhaus nach Dortmund mit auf schwere Verbrennungen spezialisierter Abteilung. Eigentlich sei auch ein Hubschrauber für den Transport angefordert worden, berichtete der Rettungssanitäter auf Nachfrage des Verteidigers Nils Schiering. Warum der dann doch nicht kam und der Transport mit dem Auto – und damit sicher länger – bis zum Krankenhaus erfolgte, kann der Rettungssanitäter nicht sagen. Er sei darüber an dem Abend einfach nur informiert worden. Rechtsanwalt Schiering hatte schon an den vorherigen sechs Prozesstagen immer wieder für Aufsehen gesorgt. Nun stellte er vor Beginn der Vernehmung des 36-jährigen Zeugen die Frage, ob es für Rettungssanitäter nicht eine Schweigepflicht gebe, von der man vor einer Aussage entbunden werden müsse. „Da sehe ich keine Veranlassung für“, antwortete der Vorsitzende Richter Petja Pagel.

Opfer wäre im Überlebensfall schwer entstellt gewesen

Mit im Saal des Arnsberger Landgerichts war auch wieder die Mutter der Verstorbenen. Die tritt als Nebenklägerin im Prozess auf, hat auch schon als Zeugin ausgesagt. Dieses Mal kamen ihr mehrmals die Tränen, während ihr die Schilderungen der Zeugen übersetzt wurden. Aber sie wollte bleiben, auch als die Gerichtsmedizinerin aussagte. Die 39-Jährige Medizinerin hat die Jugendliche nach dem Tod obduziert, schilderte sehr detailliert den zugerichteten Körper, auch Bilder werden angeschaut. Der Tod sei schließlich durch multiples Organversorgen eingetreten, unter anderem von Lunge und Darm sowie Sauerstoffmangel im Gehirn. Durch solch massive Verbrennungen sei der Körper auch quasi ungeschützt gegen Viren und Keime, erklärten der Rettungssanitäter wie auch die Rechtsmedizinerin.

Freilich eine hypothetische Frage: Im Falle eines Überlebens wäre die junge Frau schwer entstellt und körperlich beeinträchtigt gewesen. Zu der Anklage und dem mutmaßlichen Tatgeschehen sagte die Rechtsmedizinerin: „Das lässt sich mit dem Verletzungsbild vereinbaren.“ Auch an dem Angeklagten wurden bei der Festnahme deutlich weniger schlimme Brandverletzungen festgestellt. Auch die könnten zum Tatvorwurf und dem Hergang passen, sagte die Medizinerin nach Betrachten der Bilder.

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Der 24-Jährige selbst schweigt weiter zu den Vorwürfen. Der Verteidiger deutete mit seiner abschließenden Frage eine Richtung seiner Strategie an: Muss es zwingend so sein, dass die Verletzungen nur durch Übergießen mit Benzin und anschließendes Anzünden hervorgerufen werden? Nein, mit Sicherheit lasse sich ein anderer Ablauf nicht ausschließen, antwortete darauf die Zeugin. Am Dienstag (19. November) wird der Prozess mit weiteren Zeugen fortgesetzt.