Boele. Kein anderes Gremium hat so kurze Tagesordnungen. Fehlen im Norden Hagens Ideen? Die Bezirksvertreter reagieren wie oft: einstimmig.
Der Bezirk Hagen-Nord gehört zu den einwohnerstärksten, aber auch diversesten Gebieten in Hagen. Eine große Klammer über Vorhalle, Eckesey, Boele, Boelerheide oder Garenfeld, Kabel und Bathey zu fassen, ist angesichts der großen sozialen, aber auch kulturellen Unterschiede in den Ortsteilen kaum möglich. Auffällig ist, dass die regelmäßig in Boele tagende Bezirksvertretung im städtischen Vergleich nicht gerade durch lange Tagesordnungen, lange Sitzungszeiten und lange, öffentliche Themenlisten auffällt. Und wenn etwas entschieden wird, dann fast immer einstimmig. Politischer Streit: Fehlanzeige. Wettbewerb um öffentliche Wahrnehmung: nicht spürbar. Ist das Bequemlichkeit? Ist es Ideenmangel? Furcht vor Diskurs? Ist das Gremium womöglich zusammen zu alt geworden? Ein ehrliches Gespräch mit den Bezirksvertretern aller Farben.
Ein anderer Politikstil
Amtshaus Boele. Die Sonne strahlt in das Gebäude, in dem die Zeit so in den 70er- bis 80er-Jahren stehen geblieben zu sein scheint. Fast alle sind gekommen. CDU, SPD, Grüne, Hagen Aktiv, auch die AfD. Sie hatten entschieden, die Fragen der Redaktion so zu beantworten, wie sie augenscheinlich die meisten Tagesordnungspunkte abwickeln: einstimmig. „Das ist hier so gewachsen. Das ist unser Klima. Wir ziehen hier nichts in die Länge“, sagt Bezirksbürgermeister Heinz-Dieter Kohaupt (67), der das Amt bald 20 Jahre innehat und später noch darauf zu sprechen kommen wird, ob nicht langsam mal Schluss sein müsse.
„Wir sind ganz nah am Bürger“
Ihre Reaktion auf die - zugegeben provokante - Frage, ob sie im Vergleich zu anderen BVen untätig seien, beleuchtet mehrere Themen. Das erste sei Bürgernähe. „Auf dem Papier kann – wenn man das so prüft, wie ihr das gemacht habt – der Eindruck entstehen, hier passiert nichts“, sagt Kohaupt auf die Redaktionsanfrage. „Aber wir sind hier ganz, ganz nah am Bürger. Der ruft uns an, wir klären die Dinge. Das geht oft schneller, als wenn es durch irgendwelche Gremien läuft. Natürlich könnten wir dann noch einen Antrag formulieren, damit das dick aussieht. Aber wem hilft das?“
„Auf dem Papier kann – wenn man das so prüft, wie ihr das gemacht habt – der Eindruck entstehen, hier passiert nichts. Aber wir sind hier ganz, ganz nah am Bürger. Der ruft uns an, wir klären die Dinge. Das geht oft schneller, als wenn es durch irgendwelche Gremien läuft. Natürlich könnten wir dann noch einen Antrag formulieren, damit das dick aussieht. Aber wem hilft das?“
Sein langjähriger BV-Kollege Günther Mosch (SPD) nickt währenddessen. „Wir versuchen hier, die Ressourcen der Verwaltung zu schonen. Große Projektanträge zu großen und weitreichenden Themen kommen doch eh nicht zum Tragen. Erstens kann der Rat das jederzeit anders entscheiden und zweitens steht die wirtschaftliche Situation der Stadt dem doch meistens entgegen. Deshalb konzentrieren wir uns auf die Dinge, die hier vor Ort machbar sind. Schnelle Hilfe, konsensorientiert. Das macht uns aus.“
Wer setzt dann die Themen?
Aber wenn die Bezirksvertretungen die großen Themen wie Wohnentwicklung, die Entwicklung des 20.0000 Quadratmeter großen Johannes-Hospitals oder die weitere Verkehrsberuhigung des immer noch zu stark belasteten Boeler Ortskerns nicht auf die Tagesordnungen bringt, wer dann? „Vieles kann der Rat doch ohnehin wieder einfangen“, sagt Dennis Rehbein (CDU), der als OB-Kandidat in den Kommunalwahlkampf 2025 ziehen wird. „Wir positionieren uns. Und wir empfinden uns eher als Gremium der Bürger.“
„Wir versuchen hier, die Ressourcen der Verwaltung zu schonen. Große Projektanträge zu großen und weitreichenden Themen kommen doch eh nicht zum Tragen. Erstens kann der Rat das jederzeit anders entscheiden und zweitens steht die wirtschaftliche Situation der Stadt dem doch meistens entgegen. Deshalb konzentrieren wir uns auf die Dinge, die hier vor Ort machbar sind. Schnelle Hilfe, konsensorientiert. Das macht uns aus.““
Sie alle wüssten – das bestätigen auch Jochen Löher (Hagen Aktiv) und Wilma Panzer (Grüne) – welchen Streit und welch lange Sitzungen es manchmal in anderen Stadtbezirken geben würde. Und auch, wie dort die Verwaltung beschäftigt würde. „Ich käme nie auf die Idee, die Verwaltung vorzuführen“, erklärt Heinz-Dieter Kohaupt seinen Anspruch. Parteipolitische Interessen würden überdies, da pflichtet ihm auch Dennis Rehbein bei, in den Hintergrund treten in der BV Nord. „Wir unterstützen lieber die guten Ideen des anderen. Das ist doch viel einfacher“, sagt Dennis Rehbein. Ein stadtweit bisweilen zumindest exklusives Politikverständnis.
Kein Drehen am „Rad der Weltgeschichte“
„Wer hier meint, er dreht am Rad der Weltgeschichte, liegt falsch“, sagt Günther Mosch, der überdies zu bedenken gibt, dass fachlich vieles auch mittlerweile die Fähigkeiten von ehrenamtlichen Politikern übersteige. „Lesen Sie sich mal eine Umweltverträglichkeitsprüfung durch und stellen dazu eine kritische Frage. Da fehlt es einfach an Fachlichkeit. Nicht nur in BVen. So regieren wir ja auch Städte wie Köln oder Düsseldorf – mit Ehrenamtlichen.“
Fördert das nicht Wahlverdrossenheit?
Wenn aber gewählte Vertreter die Verwaltung und die Administration einer Stadt nicht fordern und herausfordern wollen, ist die Idee kommunaler Politik dann nicht ausgehöhlt? Wer tut das dann? Und wenn Parteien sich nicht zeigen, ihre Konturen und widersprüchlichen Positionen deutlich machen, ist der Wahlverdrossenheit dann nicht Tür und Tor weiter geöffnet? „Das glaube ich nicht“, sagt Heinz-Dieter Kohaupt. Unsere Zeitung hätte in einem Bürgerbarometer selbst herausgearbeitet, dass die Zufriedenheit der Menschen im Hagener Norden hoch sei. Wenngleich gesagt sei: Jene Erhebungen sind sieben Jahre alt.
Keine öffentlichen Streitigkeiten
„Wir tragen unseren Streit nicht in der Öffentlichkeit aus“, sagt Wilma Panzer (Grüne). „Das machen wir interfraktionell in Gesprächen.“ Und Heinz-Dieter Kohaupt legt Wert auf die Feststellung, dass ein Großteil der Arbeit auch darin bestehe, die Vereine des Hagener Nordens zu unterstützen. So interpretiert Kohaupt die Rolle des Bezirksbürgermeisters eben. Frei von jeder Kritik wird er irgendwann als vielleicht der volksnaheste Bezirksbürgermeister in die jüngere Geschichte eingehen. Bei jedem Aufbau aktiv, Helfer am Zapfhahn und im Hintergrund. Nicht aber zwingend als thematischer Vordenker. Das ist Heinz-Dieter Kohaupt nicht.
Trotzdem „dicke Bretter gebohrt“
„Mir ist das eben wichtig, nah an den Leuten zu sein“, sagt er. „Und trotzdem haben wir hier richtig dicke Bretter gebohrt im Norden. Cargobeamer, die mögliche Bebauung des Böhfeldes, das Seepark-Projekt, der Vollsortimenter in Vorhalle oder jetzt der Kampf gegen Elterntaxis. Viele Bürger sehen nicht, wie viele Stunden der Arbeit in all diesen Dingen stecken. Es kommt nicht nur auf Tagesordnungen an und dass jede Meinung dann in der Tageszeitung abgebildet wird.“
Muss die BV am Johannes-Hospital handeln?
Wäre mit Blick auf das Areal rund um das ehemalige Johannes-Hospital nicht aber Proaktivität gefragt, um nicht Entscheidungen von möglichen Investoren mittragen zu müssen und stattdessen Stadtteilentwicklung beeinflussen zu können? Im Sinne eines Bebauungsplanes zum Beispiel? „Wissen Sie, was das für Kosten verursacht?“, fragt Wilma Panzer zunächst. „Ein großer Aufwand, ohne das Ergebnis zu kennen.“ „Natürlich ist uns daran gelegen, dass dort etwas Sinnvolles für Boele ensteht. Aber da gilt auch, was wir gerade betont haben. Wir müssen ressourcenschonend mit dem Thema umgehen“, sagt Heinz-Dieter Kohaupt.
„Ich war neu hier und habe mir vorher viele Gedanken gemacht. Aber ich bin sehr gut aufgenommen und von anderen angelernt worden. Wie hier zusammen und nicht gegeneinander gearbeitet wird, ist ein Pluspunkt.“
Milazim Jusaj (SPD) ist ein neueres Gesicht in diesem Gremium. Er wurde zur letzten Kommunalwahl hineingewählt und begrüßt den Ton, der hier angeschlagen wird. „Ich war neu hier und habe mir vorher viele Gedanken gemacht. Aber ich bin sehr gut aufgenommen und von anderen angelernt worden. Wie hier zusammen und nicht gegeneinander gearbeitet wird, ist ein Pluspunkt.“ Und Günther Mosch ergänzt: „Vielleicht sollten wir zusammen mit einer Liste bei der nächsten Wahl antreten.“
„Ich habe große Fußstapfen hinterlassen“
Wenn sie denn alle noch mal antreten. Denn das Gremium ist biologisch durchaus in die Jahre gekommen. „Am wahrscheinlichsten ist, dass ich nicht weitermachen werde“, sagt Heinz-Dieter Kohaupt, um gleich dazu zu sagen: „Ohne mein Licht unter den Scheffel stellen zu wollen, habe ich große Fußtapfen im Norden hinterlassen. Geht es nach meiner Familie, gehe ich in die Enkelkinderzeit. Ich werde 68. Grundsätzlich ist Zeit, für Jüngere Platz zu machen. Und ich bin auch ganz ehrlich: Es entsteht eine Leere im Kopf, es fehlen einem nach so langer Zeit die Ideen. Es muss frisches Blut reinkommen.“
„Ohne mein Licht unter den Scheffel stellen zu wollen, habe ich große Fußtapfen im Norden hinterlassen. Geht es nach meiner Familie, gehe ich in die Enkelkinderzeit. Ich werde 68. Grundsätzlich ist Zeit, für Jüngere Platz zu machen. Und ich bin auch ganz ehrlich: Es entsteht eine Leere im Kopf, es fehlen einem nach so langer Zeit die Ideen.““
Wenn sie das denn finden. „Es ist schon lange nicht mehr so, dass wir personell aus den Vollen schöpfen können“, sagt Günther Mosch. „Man muss überhaupt erstmal Leute finden, die das machen. Und dann auch noch junge.“ Die CDU-Fraktion wird sich wohl zwangsläufig verjüngen, sagt Dennis Rehbein. Weil ältere Kollegen aufhören würden. Und Wilma Panzer wünscht sich eine Frau als Kollegin. „Nur mit mir sind wir hier unterrepräsentiert.“
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