Essen. In ihre neue Beziehung bringt Sandra zwei Töchter und irgendwie auch ihren Ex-Mann mit. Über Probleme und Zusammenhalt in einer Patchworkfamilie.

Sandra war 28 Jahre alt, als sie ihren Ehemann in Koblenz heiratete. Aus der fünfjährigen Beziehung entstanden zwei gesunde Töchter, das Familienglück schien komplett. Doch kurz nach der Geburt ihrer jüngeren Tochter Paulina brach die Beziehung auseinander. „Ich war einfach nicht mehr glücklich und wollte meinen Kindern nicht vorleben, dass es okay ist, unglücklich zu sein“, sagt die 34-Jährige.

Mama, Papa, zwei bis drei gemeinsame Kinder, ein Hund – und alle leben sie glücklich bis an ihr Lebensende in einem großen Haus mit Garten. Dass dieser „Leitfaden“ für die perfekte Familie längst veraltet ist, zeigen viele kunterbunte Varianten von Patchworkfamilien. „Patchwork“ wird diese Art des Zusammenlebens genannt, weil die Herkunft der Familienmitglieder häufig genau so unterschiedlich ist wie die einzelnen Stoffteile eines Flickenteppichs.

Die Zahl an Patchworkfamilien in Deutschland nimmt stetig zu

Allein im Jahr 2021 gab es in Deutschland über 121.000 minderjährige Scheidungskinder. Schätzungsweise leben etwa sieben bis 13 Prozent deutscher Familien als Patchworkfamilie zusammen. Genaue Statistiken gibt es dazu nicht. Kein Wunder, denn schließlich ist jede Patchworkfamilie individuell zusammengesetzt. Doch egal, ob nur einer oder beide Partner Kinder aus früheren Beziehungen mit in die neue Partnerschaft bringen – egal, ob noch gemeinsame Kinder hinzukommen oder nicht – wie in jeder Familie gibt es schöne und schwierige Zeiten. Sandra und Julian sprechen auf ihrem Instagram-Account „happy.patch.works“ offen über die Sonnen- und Schattenseiten ihrer Patchworkfamilie. Trotz vieler Herausforderungen sind sie überzeugt: Allein wegen der Kinder und aus Angst vor einem Rosenkrieg solle man nicht zusammenbleiben.

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Kurz nach der Trennung von ihrem Ehemann verliebte sich Sandra neu, in Julian, den sie im November 2021 auf einem Seminar kennenlernte. Ihre Töchter, damals drei Jahre und ein Jahr alt, lernten den Stuttgarter zunächst als Arbeitskollegen und guten Freund kennen. Erst traf man sich auf dem Spielplatz, später zum gemeinsamen Kochen daheim. „Schritt für Schritt haben sie dann mitbekommen, dass Julian mein neuer Freund ist. Einen festen Zeitpunkt gab es nicht“, erzählt Sandra. „Ich bin für sie nicht der Papa, sondern der Julian“, so der 30-Jährige. „Aber ich habe sie trotzdem unglaublich lieb und würde sie nicht mehr hergeben wollen.“

Herausforderungen der jungen Patchworkfamilie: Umzug, Sorgerechtsstreit und wenig Kommunikation

Bereits im Trennungsjahr von ihrem Ehemann wurde die Mutter erneut schwanger. Für Julian ist es das erste leibliche Kind. „Das war so schnell nicht geplant, aber wir haben uns riesig gefreut“, sagt er. Gemeinsam entschied das Paar, Koblenz zu verlassen und für mehr Unterstützung in die Nähe von Sandras Eltern nach Recklinghausen zu ziehen.

Sehr zum Ärger ihres „Noch-Ehemanns“, der für den Umzug seiner Töchter kein Einverständnis gab und daraufhin das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht einklagte. Das könnte zur Folge haben, dass die Töchter künftig bei ihrem leiblichen Vater leben und nur am Wochenende bei Sandra und Julian sein dürfen. „Noch ist streitig, wo der Lebensmittelpunkt der Kinder sein wird“, so die dreifache Mutter. Auch weitere Streitthemen, wie zum Beispiel die Erlaubnis, gemeinsam in den Urlaub zu fahren, wurden bereits vor Gericht geregelt.

„Papa bleibt Papa“

Bis das Urteil gefallen ist, wohnen die Schwestern an zehn Tagen infolge bei Sandra und Julian in Recklinghausen und dann für vier Tage bei ihrem Vater in Koblenz. „Unser Verhältnis ist sehr schwierig“, Sandra. Alles, was die Kinder betrifft, bespreche man über Whatsapp, ansonsten fände nur wenig Kommunikation statt. Das mache vieles kompliziert, da für wichtige Themen, wie zum Beispiel die Kita-Anmeldung, immer eine Unterschrift des erziehungsberechtigten Vaters benötigt wird.

„Aber Papa bleibt Papa“, so Sandra. „Und deshalb sprechen wir vor den Kindern niemals schlecht über ihn. Im Kinderzimmer hängen Fotos von Papa und im Alltag führen die Kinder Videotelefonate mit ihm. Ich würde mir wünschen, dass wir für die Kinder besser als Team kooperieren.“

Das eigene Ego runterschlucken

„Man merkt den Kindern an, dass sie die Situation belastet“, sagt Julian. Besonders die ältere Tochter stehe sehr zwischen Fronten und bemerke die kalte Stimmung, die zwischen ihren Eltern herrsche. Das habe zur Folge, dass die Kinder Fragen stellen, wie „Wo wohnen wir jetzt eigentlich?“ und „Wen von euch dürfen wir denn liebhaben?“. „Ich würde mir für die Kinder wünschen, dass wir alle wenigstens so tun könnten, als würden wir uns gut verstehen“, so der 30-Jährige. Als Patchwork-Eltern müsse man sein eigenes Ego zum Wohle der Kinder auch mal runterschlucken können.

So hoffen die frischgebackenen Patchwork-Eltern, dass sie ihr Familienglück bald in vollen Zügen genießen können – mal zu fünft, mal nur Mama, Papa und das Neugeborene, mal nur Mama und die beiden ältesten Mädels. „Uns ist sehr wichtig, dass sich keines der drei Kinder vernachlässigt oder zurückgesetzt fühlt“, betont Sandra. Vormittags gelte alle Aufmerksamkeit der Kleinen, nachmittags sei Zeit für die Großen.

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