Essen. Speed-Dating kennen die meisten nur aus Filmen. Unsere Reporterin hat in Essen den Selbstversuch gewagt – und wurde positiv überrascht.

Gestatten: Jessica, 24, Referendarin* und gerade frisch nach Essen gezogen. Mir gegenüber sitzt Talal, 27, im Pott geboren und fragt mich, ob ich weiß, was ein Radiologie-Assistent macht. Röntgen? Richtig – und Leute in die Röhre schieben. Zufällig habe ich selbst in ein paar Wochen einen MRT-Termin. „Ist gar nicht schlimm“, versichert mir Talal und ehe ich’s mich versehe, erzähle ich diesem Fremden, den ich seit zwei Minuten kenne, meine Krankengeschichte. Er hört mit professionellem Interesse zu und grinst, als sich herausstellt, dass alles halb so wild ist: „Vielleicht sieht man sich ja beim Termin.“

Die Glocke ertönt und reißt uns aus unserem Gespräch. Vorne steht die Moderatorin und zuckt entschuldigend die Schultern. So läuft das beim XXL Speed-Dating: acht Minuten Gesprächszeit, dann wandern die Herren einen Tisch weiter. Zehn Männer und zehn Frauen sind heute gekommen, macht zehn Dates für jeden. Auf einer Liste tragen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Namen und Nummern ihrer Gesprächspartner ein, um später zu entscheiden, ob sie einander wiedersehen wollen. Ist der ersehnte Funke bei beiden übergesprungen, gibt der Veranstalter die Kontaktdaten heraus.

Weg mit den Klischees: Speed-Dating ist nicht wie im Film

Die Pärchen sitzen an Einzeltischen in der Hotelbar verteilt. Der ein oder andere hält sich an seinem Getränk fest, man beäugt sich gegenseitig. Es wird gequatscht, gestikuliert, im besten Fall gelacht. Mein nächstes Date heißt Michael und hat die Nummer 33. Während er noch meine Nummer, die 25, notiert, singt über unseren Köpfen Sting ausgerechnet von Einsamkeit und Herzschmerz. Michael ist schon zum zweiten Mal dabei, erzählt er. Er wollte es einfach noch mal probieren. Neues Jahr, neues Glück. Es scheint ihm mit dem Speed-Dating ernst zu sein, aber er prescht nicht so vor wie Philipp aus Dortmund mit dem aufgeknöpften Hemd, der gleich zu Beginn die Frage der Fragen stellt: „Wie lange bist du schon alleine?“ Er selbst sei seit zwei Jahren Single, während der Pandemie wurde das schon echt einsam. Also warum nicht mal Speed-Dating ausprobieren?

So sieht es auch Kamal, der gerne meditiert und Ratgeber liest. Er möchte wissen, woran meine letzte Beziehung gescheitert ist. Man hat sich auseinandergelebt, der Klassiker. Mein Gegenüber nickt eifrig – war bei ihm genauso! Von Ausnahmen wie Philipp und Kamal mal abgesehen, wird beim Speed-Dating überraschend wenig über Dating gesprochen. Es fragt einen keiner in den ersten paar Minuten, wie viele Kinder man mal haben will und es bricht auch niemand beim Gedanken an den Ex in Tränen aus oder erzählt Schauergeschichten von dubiosen Hobbys, wie es in Filmen gerne dargestellt wird. Wenn man sich ein bisschen Mühe gibt und gut zuhört, ist es wie beim MRT: gar nicht so schlimm.

Speed-Dating ist wie Tinder, nur in echt

Wo Hollywood aber nicht ganz Unrecht hat: Acht Minuten können lang werden und zehn mal acht Minuten erst recht. Spätestens nach dem sechsten Date und dem vierten „Was-machst-du-so-in-deiner-Freizeit“ leidet die Konzentration. Für den Fall, dass zwei mal gar nicht weiterwissen und die gefürchtete peinliche Stille droht, gibt es auf jedem Tisch Kalender mit Fragen, die man einander stellen kann. Was war dein schönster Urlaub? „Teneriffa.“ Wie hast du vergangenes Jahr Silvester gefeiert? „Mit Freunden.“ Welches Tattoo-Motiv würdest du wählen? „Einen Eisvogel.“ – „Warum denn ausgerechnet das?“

Ein bisschen fühlt sich das Ganze an wie „Tinder“ im echten Leben: Bei der beliebten Dating-App wischen die Nutzerinnen und Nutzer nach rechts, wenn ihnen ein Profil gefällt. Die Entscheidung fällt innerhalb von Sekunden. Meist entscheidet die Optik. Beim Speed-Dating hat das Gegenüber eine fairere Chance zu gefallen. Muskeln und Kurven sind das eine, Persönlichkeit nicht selten etwas ganz anderes. Live und in Farbe fällt es leichter herauszufinden, ob man einander riechen kann.

Beim „Swipen“ auf Tinder entscheidet oft die Optik. Beim Speed-Dating haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Chance, ihr Gegenüber mit ihrer Persönlichkeit zu überzeugen.
Beim „Swipen“ auf Tinder entscheidet oft die Optik. Beim Speed-Dating haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Chance, ihr Gegenüber mit ihrer Persönlichkeit zu überzeugen. © dpa | Johannes Schmitt-Tegge

Und wenn nicht, ist das auch nicht schlimm, das beweisen mir Männer wie Torsten: Während er meiner Sitznachbarin Lara noch erklärt, was Mainz und Antwerpen gemeinsam haben (einen Binnenhafen!), schiebt er schon sein Glas in meine Richtung. Torsten ist 35 mit Tendenz zur 40 und Naturwissenschaftler aus unverhohlener Leidenschaft. Er redet schnell und viel, das wisse er, aber man hört ihm auch gerne zu. Die Chemie stimmt nicht so ganz („Ich bin ja auch viel zu alt für dich!“), aber dafür bekomme ich von ihm gleich noch ein paar Tipps für andere Live-Dating-Formate. Wir wünschen einander von Herzen viel Erfolg.

Fazit: Speed-Dating ist einen Versuch wert

Die Glocke verkündet das Ende des letzten Dates. Ab jetzt steht es den Singles frei, den Abend mit dem Subjekt ihrer Begierde ausklingen zu lassen. Handwerker Manuel klopft zweimal mit den Handknöcheln auf den Tisch: „Nimm’s nicht persönlich, Jessi, aber um sechs klingelt der Wecker.“ Ich nehme es nicht persönlich. Vielleicht liegt es am Montag, vielleicht auch an Angebot und Nachfrage, aber bis auf eine Handvoll Teilnehmer verabschieden sich alle recht schnell.

Ich habe an diesem Abend viel gelernt. Nicht nur, wie ich meinen Namen auf arabisch schreibe oder warum das „Abendmahl“ von Leonardo da Vinci so schlecht erhalten ist („Er hat die denkbar schlechteste Mische für seine Farben benutzt!“). Sondern auch, dass es sich lohnt, öfter mal was Neues auszuprobieren. Oder „seine Komfortzone zu verlassen“, wie Pandemie-Single Philipp es so treffend formuliert.

Ob mein Traummann dabei war? Eher nicht. Aber vielleicht braucht es auch ein paar Anläufe. Während er in seine Lederjacke schlüpft, erzählt mir Manuel, dass er schon fünf oder sechs Mal gespeeddatet hat. „Es ist einfach eine geile Sache“, findet er. Man solle es nur nicht zu ernst nehmen, nicht zu Verbissen an die Sache rangehen, sondern sich einfach auf einen netten Abend freuen. Da kann ich ihm nur zustimmen. Auf jeden Fall „netter“ als ein Abend allein auf der Couch.

>>> INFO: XXL Speed Dating von Socialmatch

  • Das Anbieter Socialmatch mit Sitz in Hamburg veranstaltet XXL Speed-Dating in vielen deutschen Städten, darunter Essen, Düsseldorf, Köln und Dortmund. Die Teilnahmegebühr beträgt 29 Euro.
  • Je nach Anmeldezahl haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bis zu 20 Dates mit rund sieben Minuten Gesprächszeit. Zwischendurch gibt es eine Pause von 15 Minuten. Alle Infos erhalten Interessierte unter www.speeddating-xxl.de.
  • Laut einer Erhebung des Veranstalters haben 80 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mindestens einen Treffer. 90 Prozent geben an, mindestens eines ihrer Dates wiedersehen zu wollen.

* Um unerkannt zu bleiben, hat sich unsere Reporterin ein Alibi zurechtgelegt. Namen und Alter der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden geändert.