Essen. Jessica und Pascal Klösener leben in einer Patchworkfamilie – eine tägliche Herausforderung. Nun gründen sie in Essen eine Selbsthilfegruppe.

„Es gibt Situationen, in denen ich denke: Patchwork? Nie wieder!“, sagt Jessica Klösener. Sie lebt seit fünf Jahren mit ihrem Mann Pascal plus Kindern als Patchworkfamilie zusammen. Die 39-Jährige brachte eine Tochter mit in die Beziehung, der 40-Jährige zwei Söhne.

Neid, Eifersucht und andere Streitigkeiten stellen ihr Familienleben oft auf die Probe. Um sich mit anderen Familien austauschen zu können, gründen die angehende Sozialarbeiterin und der Brandmeister nun die erste Selbsthilfegruppe für Patchworkfamilien in Essen.

In „lockerer Runde“ will das Paar mit „Gleichgesinnten“ über Erfahrungen und Probleme sprechen, Tipps und Ratschläge austauschen. „Wir machen eine Selbsthilfegruppe, weil wir da weder pädagogisch noch psychologisch rangehen wollen, sondern einfach ehrliche Geschichten und Meinungen hören wollen“, sagt die 39-Jährige.

Sie kritisiert, dass es bisher viel zu wenige Beratungsmöglichkeiten für Patchworkfamilien gebe: „Das Thema Patchwork ist in der Gesellschaft noch nicht wirklich angekommen.“

„Das Thema Patchwork ist in der Gesellschaft noch nicht angekommen.“

Kennengelernt hat sie ihren zweiten Ehemann nach ihrer Scheidung, über eine Dating-App. Dort hat sie bewusst nach einem Partner gesucht, der bereits Vater ist. Denn sie wollte keine eigenen Kinder mehr bekommen.

Drei Monate hatte es gedauert, bis Pascal Klösener ihre damals vierjährige Tochter kennenlernte. Nach eineinhalb Jahren Beziehung zog sie dann mit Tochter Luisa zu ihm nach Borbeck. Den Zeitpunkt haben sie bewusst ausgewählt, damit Luisa in Essen eingeschult wird und sich so leichter ein neues Leben aufbauen kann.

Obwohl beide vorab viele Fachbücher lasen, sich in Internetforen mit anderen austauschten und bei einer Beratung für Patchworkfamilien waren, seien sie rückblickend „sehr blauäugig und naiv zusammengezogen“, sagt der Brandmeister heute.

Patchworkfamilie über tägliche Herausforderungen

Seine Söhne leben bei ihrer Mutter, sind nur jedes zweite Wochenende zu Besuch. An die ersten gemeinsamen Wochenenden in der neuen Wohnung erinnern sich die Fünf noch gut. „Sehr turbulent“ seien sie gewesen. Spätestens da sei dem Paar bewusstgeworden, wie schwierig das Zusammenleben als Patchworkfamilie sein kann – auch für ihre Kinder.

Die gebürtige Mülheimerin erzählt, dass die Beziehung zu ihren „Bonus-Kindern“ auch jetzt noch kompliziert sei: „Ich habe gedacht, es wird mit der Zeit einfacher. Aber da sind immer wieder Spannungen.“ Die Hoffnung gibt sie jedoch nicht auf.

Sie glaubt, dass sie für die Söhne ihres Mannes die Rolle einer guten Freundin einnehmen kann: „Vielleicht kommen sie in der Pubertät bei Fragen eher zu uns ,Bonus-Eltern‘ als zu den richtigen Eltern.“

„Bonus-Eltern“ statt Stiefeltern

Die Familie spricht anstatt von „Stiefkindern“ und „Stiefeltern“ bewusst von „Bonus-Eltern“ und „Bonus-Kindern“. Denn diese Begriffe seien viel positiver besetzt. Es schwinge dabei nicht das negative Bild mit, das in Märchen wie Schneewittchen oder Aschenputtel vermittelt werde.

Dass sie immer für ihre „Bonus-Kinder“ da sein werden, versprach das Paar diesen auch auf ihrer Hochzeit vor zwei Jahren. Für die Feier reisten alle nach Norderney, ihre Lieblingsinsel. „Ich weiß, dass ich nicht eure Mutter bin. Aber das heißt nicht, dass ich euch nicht auf eurem Weg begleiten kann“, wandte sich die angehende Sozialarbeiterin in ihrer Rede an die Söhne ihres Mannes.

Pascal Klöseners Erfahrungen in der Patchworkfamilie sind andere, aber nicht weniger kompliziert. „Wir zanken wie Tochter und Vater“, sagt er über seine Beziehung zu Jessicas Tochter. Doch obwohl er seit mehreren Jahren mit Luisa zusammenwohnt, sei ihre Beziehung immer noch „staksig“. Er hofft, sich in der Selbsthilfegruppe mit anderen Vätern darüber austauschen zu können.

Neue Selbsthilfegruppe für Patchworkfamilien

Aufgrund der Corona-Pandemie finden die Treffen der Selbsthilfegruppe zunächst virtuell statt. Der erste Termin ist am Montag, den 3. Mai um 19 Uhr. Interessierte können sich bei Jessica Klösener (jessica160681@web.de) oder bei Wiese e.V. (0201 207676) melden. Gerne kann sich auch melden, wer der Selbsthilfegruppe für die Zeit nach der Corona-Pandemie Räumlichkeiten zur Verfügung stellen könnte.

Wiese e.V. bietet Selbsthilfegruppen in Essen eine Plattform, die Bürger bei der Suche nach einem geeigneten Angebot hilft und die Gründung neuer Gruppen unterstützt.

„Eine Patchworkfamilie ist eine zweite Chance.“

Trotz all der Herausforderungen sehen die Klöseners auch Vorteile in ihrem Alltag als Patchworkfamilie. Denn so unterschiedlich die Charaktere und Meinungen auch sein mögen, der Vorteil sei, dass man voneinander lernen und sich persönlich weiterentwickeln könne.

Erst vor einem Monat sind sie von Essen in ein neues Haus nach Bottrop gezogen. Die Familie freut sich darauf, nun die Osterferien während der Corona-Pandemie im eigenen Garten verbringen zu können. Außerdem bleibt genug Zeit zu zweit, das Ehepaar hat alle 14 Tage ein kinderfreies Wochenende.

Insgesamt bedürfe eine Patchworkfamilie zwar „viel Arbeit, viel Verständnis und viel Akzeptanz“, sagt Pascal Klösener, aber er betont auch: „Letztendlich ist eine Patchworkfamilie nichts anderes als eine zweite Chance, die man bekommen hat. Und die sollte man nutzen.“ Wie das gelingen kann? Darum soll es in ihrer Selbsthilfegruppe gehen.