Duisburg. Das Familienministerium hält eine Studie über Kinder nach einer Scheidung zurück. Doch die Uni Duisburg-Essen forscht auch zu getrennten Familien.

Wo wird unser Kind leben? Wenn sich Eltern trennen, ist das eine der wichtigsten und emotionalsten Fragen. Können sich Mutter und Vater nicht einigen, müssen Familiengerichte sie beantworten. Aber welche Art des Zusammenlebens nach einer Trennung, nach einer Scheidung ist wirklich gut für das Kind?

Seit über zwei Jahren wird das Ergebnis der Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ erwartet. Das Bundesfamilienministerium hatte sie 2015 in Auftrag gegeben, da es nur internationale Analysen gab. Aber die Studie der Uni Bremen und der Forschungsgruppe Petra wurde bis heute nicht veröffentlicht.

Das Rätsel um die Trennungskinder-Studie

Nun wird diskutiert – und spekuliert –, warum die Studie zurückgehalten wird. In der FAZ war zu lesen, dass es aus dem Ministerium heißt, die Unterlagen würden nicht dem wissenschaftlichen Standard entsprechen. Dem wird aus Wissenschaftskreisen widersprochen.

Der Spiegel schrieb, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte es dem Ministerium untersagt habe, die Studie auszuwerten, es gebe „erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken“.

Marc Serafin, Sozialwissenschaftler und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Studie, äußerte seine Vermutung gegenüber der „Welt“-Redaktion: „Es könnte manchen Akteuren nicht gefallen, dass sich aus den Studienergebnissen Reformansprüche an das bundesdeutsche Familienrecht ableiten lassen, das sich immer noch am überholten Familien- und Geschlechtsrollenbild der Hausfrauenehe orientiert und einseitig das Residenzmodell unterstützt.“

2,6 Millionen Alleinerziehende in Deutschland

Residenzmodell bedeutet, dass das Kind hauptsächlich bei einem Elternteil lebt und den anderen zum Beispiel nur alle zwei Wochen am Wochenende sieht. In den meisten Fällen leben die Trennungskinder bei den Müttern. Dem Statistischen Bundesamt zufolge waren 2019 rund 2,2 Millionen Mütter und etwa 407.000 Väter alleinerziehend.

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Alternativ gibt es das Wechselmodell, auch Doppelresidenz genannt, dabei lebt das Kind zu zeitlich gleichen Teilen bei Mutter und Vater. Würde das Wechselmodell auch im Familienrecht stärker berücksichtigt, könnte dies Folgen für die Unterhaltszahlungen haben. Es geht also auch um viel Geld – ein weiterer Grund, warum die Studie so dringend erwartet wird.

Profitieren Trennungskinder vom Pendeln zwischen den Eltern?

Aber zurück zur eigentlichen Frage: Welches Modell ist am besten für Jungen und Mädchen? Fühlen sie sich gestresst, wenn sie zwischen den Wohnungen von Mutter und Vater oft wechseln müssen und somit nicht einen festen Lebenspunkt haben? Oder ist es gerade gut für ihr physisches und psychisches Wohlbefinden, für ihre Entwicklung, wenn sie beide Elternteile möglichst gleich oft sehen?

„Das Wechselmodell ist nicht zu verteufeln“, sagt Familiensoziologin Anja Steinbach von der Universität Duisburg-Essen über das Lebensmodell, bei dem Kinder öfter zwischen den getrennt lebenden Elternteilen pendeln.
„Das Wechselmodell ist nicht zu verteufeln“, sagt Familiensoziologin Anja Steinbach von der Universität Duisburg-Essen über das Lebensmodell, bei dem Kinder öfter zwischen den getrennt lebenden Elternteilen pendeln. © Privat | Privat

Anja Steinbach kann Antworten geben. Die Professorin für Familiensoziologie an der Uni Duisburg-Essen forscht zu diesem Thema: das Leben von Familien, bei denen sich die Eltern getrennt haben. Publizierte Ergebnisse der Studie „Familienmodelle in Deutschland“, die von der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ gefördert wird, liegen noch nicht vor, aber erste Analysen der Befragung von 1233 Trennungsfamilien in ganz Deutschland. Dabei wurden vom Institut Kantar in München nicht nur Eltern befragt, bei denen das Kind gemeldet ist, sondern auch die Mädchen und Jungen, wenn sie sieben Jahre oder älter waren.

Älteren Kindern tut das Pendeln besonders gut

„Den Kindern, die im Wechselmodell leben, geht es im Allgemeinen genauso gut oder ein wenig besser als den Kindern, die im Residenzmodell leben“, sagt die Wissenschaftlerin. „Wir vergleichen ja Kinder, die eine Trennung der Eltern erlebt haben. Das ist traumatisch, denen geht es als Gruppe betrachtet im Vergleich zu Kernfamilien schlechter. Aber wenn wir die vergleichen, die die Trennung erlebt haben, dann finden wir entweder keine Unterschiede oder denen im Wechselmodell geht es ein bisschen besser.“

Die positiven Effekte wurden vor allem bei der Gruppe der Sieben- bis 14-Jährigen deutlich. Bei den Kinder von zwei bis sechs Jahren sei kein Unterschied zwischen den einzelnen Modellen festzustellen, so Steinbach.

Eltern müssen sich die Zeit mit dem Kind nicht fifty-fifty aufteilen

Vor allem das asymmetrische Wechselmodell wirke sich positiv auf das Wohlergehen der Kinder aus. Im Gegensatz zum symmetrischen Wechselmodell teilen sich hierbei Mutter und Vater die Betreuung stark auf, aber nicht fifty-fifty. Beide Elternteile übernehmen mindestens 30 Prozent der Betreuung. Das Kind ist zum Beispiel 18 Tage im Monat bei der Mutter und zwölf Tage beim Vater – oder umgekehrt.

Warum die asymmetrische Variante hier besser ist als die symmetrische, kann die 46-Jährige nur vermuten: So könnten Eltern, die flexibel nach Betreuungslösungen suchen, kooperativer sein, während Mütter und Väter, die noch Konflikte miteinander haben, vielleicht auf eine 50:50-Aufteilung bestehen.

Die Beziehung zwischen den Familienmitgliedern ist entscheidend

Die Beziehung zwischen den Familienmitgliedern spiele eine größere Rolle als die Wahl des Lebensmodells, so Anja Steinbach. Wenn Eltern nach der Trennung stark zerstritten seien und nur schwer die gemeinsame Verantwortung regeln können, wirke sich das symmetrische Wechselmodell negativ auf das Wohlbefinden des Kindes aus. Ein Kind mit einem Loyalitätskonflikt würde sich dann nicht wohlfühlen.

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Können Mutter und Vater jedoch ihre eigenen Konflikte von ihrem Kind fernhalten und auch die Beziehungen beider Elternteile zu Tochter oder Sohn sind gut, dann sieht man beim Wechselmodell eine positive Entwicklung des Mädchens oder des Jungen. Allerdings bleibt noch die Frage nach Ursache und Wirkung zu klären, so Steinbach: „Verbessert das Wechselmodell die Qualität der Eltern-Kind-Beziehungen oder wählen Eltern, die bereits vor der Trennung sehr gute Beziehungen zu ihren Kindern hatten, eher ein Wechselmodell?“

Der Anteil der Familien, die in Deutschland so leben, ist noch relativ gering. Rund 5 Prozent der Trennungsfamilien wählen die Variante, bei der die Aufteilung mindestens 40 zu 60 liegt. „Aber es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Anzahl der Trennungseltern, die sich für dieses Betreuungsarrangement entscheiden, kontinuierlich steigt“, so Steinbach. „In anderen Ländern, wie in Belgien oder den Niederlanden, sind es 30 Prozent, in Schweden 40 Prozent der Trennungsfamilien.“ Alles Länder, in denen Frauen stärker auf dem Arbeitsmarkt vertreten seien und auf externe Betreuung zurückgreifen könnten.

Es gibt nicht ein Allheilmittel

Ob symmetrisch oder asymmetrisch: „Das Wechselmodell ist kein Patentrezept“, betont Steinbach. Andere Faktoren seien wichtiger. Wenn es viele Konflikte gebe oder ein Elternteil bisher nie das Kind betreut habe, wäre es vielleicht nicht so gut, wenn er es auf einmal die Hälfte der Zeit tun würde. „Aber das Modell ist auch nicht zu verteufeln.“ Hätten sich Eltern schon vor der Trennung gleichberechtigt ins Familienleben eingebracht und sowohl Vater als auch Mutter seien erwerbstätig, könnte das Wechselmodell eine gute Lösung sein.

„Die Wechsel scheinen sich nicht schädigend auszuwirken. Wenn das gut geregelt ist, dann fühlen sich Kinder nicht dadurch gestresst.“ So muss ein Kind nicht unbedingt einen Lebensmittelpunkt haben – wenn die Rahmenbedingungen stimmen, kann es ihm auch mit zwei Lebensmittelpunkten gut gehen.