Witten/Herdecke. Wer zu viel Zeit am Handy verbringt, riskiert Freundschaften, Beziehungen und sogar schlechten Sex. Was man gegen „Phubbing“ tun kann.
Neulich im Café, eine altbekannte Situation: Sie und er sitzen sich beim Caffè Latte gegenüber, eigentlich die perfekte Situation für ein lauschiges Gespräch mit intensivem Blickkontakt, vielleicht für einen Flirt, halt so ein Nachmittag, den man als wunderschön in Erinnerung behalten könnte, weil man ihn zu zweit verbracht hat. Doch was passiert stattdessen? Beide starren gebannt in ihre Smartphones, lassen die Daumen über den Touchscreen flitzen – und tauschen sich mit allen möglichen Leuten aus, nur nicht mit dem Gegenüber.
So vertraut das Phänomen ist, so erstaunlich, dass es noch gar nicht so lange einen Namen hat und erforscht worden ist: „Phubbing“ haben US-amerikanische Wissenschaftler diese Verhaltensweise getauft, eine Verschmelzung der Wörter „phone“ und „snubbing“, was bedeutet: „Jemanden mit Hilfe des Handys missachten“. Diese Art der Brüskierung haben zuerst die Marketing-Professoren Meredith David und James A. Roberts im Jahr 2017 untersucht, allerdings ging es in ihrer ersten Studie noch darum, was die missachtende Smartphone-Nutzung von Vorgesetzten psychologisch mit dem Selbstwert und der Motivation der Untergebenen macht – und wie es sich auf Arbeitsergebnisse auswirkt.
Gesundheitspsychologin aus NRW forscht zu „Phubbing“
Aber weil das Smartphone längst aus keinem Lebensbereich mehr wegzudenken ist, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Betrachtungen auf das Privatleben ausgeweitet. Besonders schwierig wird es, wenn die ignorierte Person jene ist, der die größte Aufmerksamkeit im Leben gebühren sollte: die Partnerin oder der Partner.
Gesundheitspsychologin Anne Milek forscht an der Universität Witten/Herdecke zu genau dieser Konstellation, sie wird mit der Smartphone-Studie „eMotion“ den „Alltag von Paaren in einer digitalisierten Welt“ erforschen und hat einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum problematischen Verhalten mit dem elektronischen Begleiter:
„Es geht bei den meisten Studien, die derzeit veröffentlicht sind, um folgende Zusammenhänge: Personen, die das Smartphone häufiger in Anwesenheit des Partners nutzen, sind diejenigen, die sich als weniger zufrieden in der Partnerschaft erleben. Und deren Partner, also diejenigen, die gephubbed werden, berichten, unzufriedener mit der Paarbeziehung zu sein. Was wir noch nicht gut wissen: Was die Henne und was das Ei ist, steht am Anfang also die problematische Smartphonenutzung oder die mangelnde Zufriedenheit. Und das wollen wir nun mit einer neuen Studie erfassen.“ Dabei werden Folgen fürs Sexualleben und für Konflikte in der Partnerschaft berücksichtigt.
Der eigentliche Zweck eines Smartphones, nämlich Menschen miteinander in Verbindung zu bringen, wird beim Phubbing genau ins Gegenteil verkehrt: Diejenigen, mit denen man in unmittelbarer Verbindung steht, werden ignoriert oder sogar bewusst übergangen.
Ein solches Verhalten konnte man allerdings auch schon in Zeiten vor der Erfindung des Smartphones oder des Handys beobachten, so Anne Milek: „Damals wurde dazu wahrscheinlich die Tagezeitung benutzt“, erinnert sie an die altbekannten Szenen, bei denen das Familienoberhaupt am Frühstückstisch sein Gesicht im Papier vergräbt, während die anderen versuchen, sich zu unterhalten.
Selbstwertgefühl leidet unter Smartphone-Nutzung des Partners
In einer Studie der Universität Gent wurde kürzlich festgestellt, dass der allzu häufige Blick aufs Smartphone das Misstrauen der Partner schürt: Wer sich wegen des Handys ignoriert fühlt, fragt sich natürlich, was wichtiger oder interessanter sein kann als man selbst.
Was zur Folge hat: Die derart Brüskierten spionieren ihren Partnerinnen und Partnern häufiger digital hinterher, lesen deren Chats oder Mails – oder kontrollieren deren Surfgewohnheiten. Aber selbst wenn es nur Arbeitsmails oder harmlose Youtube-Videos sein sollten, leidet eventuell das Selbstwertgefühl der derart Ignorierten.
Expertin aus NRW startet “Phubbing“-Studie
Auch in Hinsicht auf die konsumierten Inhalte besteht noch Forschungsbedarf, den Milek mit der neuen Studie in Witten/Herdecke decken will: „Bisher wurde meist nur untersucht: Nutzt mein Partner das Smartphone oder nicht. Aber wir wissen sehr wenig darüber: Wofür nutzt er es? Beantwortet er eine wichtige Arbeits-E-Mail oder schaut er nur das Social-Media-Profil von attraktiven Mitarbeiterinnen an? Es geht also um die Vermutungen darüber, was der oder die andere gerade am Handy macht. In unserer Studie können wir nun schauen, welche Apps in Anwesenheit des Partners genutzt werden und wie das mit Paardynamiken zusammenhängt. Es wäre eine Vermutung, dass bestimmte App-Nutzungen weniger toxisch für Beziehungen sind als andere.“
Störende Handynutzung kann im Ernstfall zu einer Art Racheverhalten führen, wie eine Studie der Universität Southampton ergab: Die Frustrierten griffen selbst öfter in Gegenwart des Partners zum Handy, waren aktiver in den sozialen Medien. Und lösten mitunter eine ebensolche Reaktion auf der anderen Seite aus: ein Teufelskreis.
NRW-Expertin: „Gespräch mit dem Partner suchen“
Wie man dem entkommen kann, dazu gibt es noch keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Doch Gesundheitspsychologin Anne Milek hat zumindest ein paar Ratschläge: „Wenn Eifersucht oder ähnliche Gedanken aufkommen, ist es sicherlich sinnvoll, dass man das Gespräch mit dem Partner sucht. Und dass man auch die Smartphone-Nutzung als Paar reflektiert und mitteilt, wenn man sich dadurch gestört fühlt. Man kann sagen: Ich fühle mich von Dir irgendwie nicht gesehen – und ich weiß nicht, ob das jetzt gegen mich geht oder ob das vielleicht gar nichts mit mir zu tun hat.“
Wenn dieser Schritt erstmal getan ist, liegt die mögliche Lösung nicht so weit entfernt. Anne Milek: „Man kann dann beispielsweise Absprachen treffen. Die können bei jedem Paar anders aussehen. Die einen mögen vielleicht kein Smartphone am Essenstisch oder im Schlafzimmer. Wichtig ist, dass man einfach ins Gespräch kommt und das als Paar verhandelt. Das sollen die eigenen Regeln sein, die beiden guttun. Und die vielleicht weitere Konflikte über die Smartphone-Nutzung gar nicht erstaufkommen lassen.“