Essen. Initiativkreis Ruhr ist zuversichtlich, dass dem Ruhrgebiet der klimaneutrale Umbau gelingt. Warum Moderator Rolf Buch mehr Zuwanderung fordert.
Das Ruhrgebiet will klimaneutral werden und als grüne Industrieregion Vorbild in Europa werden. Das Ziel unterstützt auch der Initiativkreis Ruhr, in dem sich rund 70 namhafte Unternehmen und Institutionen zusammengeschlossen haben. Die Moderatoren Rolf Buch (Chef des Wohungskonzerns Vonovia) und Andreas Maurer (Unternehmensberater bei Boston Consulting) sind in ihre zweite Amtszeit gestartet. Im Interview sprechen sie darüber, warum die Transformation der Wirtschaft so wichtig ist und was sie im Duisburger Problemstadtteil Hochfeld planen.
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Herr Buch, Herr Maurer, Sie sind beide in Ihre zweite Amtszeit als Moderatoren des Initiativkreis Ruhr gestartet. Lohnt es sich, Zeit für das Ruhrgebiet zu investieren?
Rolf Buch: Ich bin in Essen aufgewachsen und fühle mich dem Ruhrgebiet schon immer verbunden. Es macht Spaß, für die Region ehrenamtlich zu arbeiten und der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Wir wissen ja alle, dass es hier noch einiges zu tun gibt. Die Transformation nach der Montanzeit ist noch nicht abgeschlossen. Wir befinden uns in einem permanenten Wandel, der nicht nur mit der Montanzeit zusammenhängt Deshalb ist der Initiativkreis so aktuell wie bei seiner Gründung vor über 30 Jahren.
Andreas Maurer: Ich sehe es als Ehre an, dieses Amt ausüben zu können. Es macht uns Freude, mit über 70 Unternehmen und Institutionen sowie deren CEOs, Geschäftsführern und Rektoren zusammenzuarbeiten.
Die Menschen leben in ihrer Stadt, ihrem Stadtteil und ihrem Wohnquartier. Gibt es wirklich eine Ruhrgebietsidentität?
Buch: Eindeutig ja. Hier gibt es eine zupackende und weltoffene Mentalität. Das zeichnet die Region aus, die Leute sind sich darin alle ziemlich ähnlich. Zudem bleiben die Menschen im Ruhrgebiet doch nicht nur in ihrer Stadt. Sie pendeln. Ich bin als Jugendlicher auch von Essen nach Bochum in die Disco gefahren und fahre heute manchmal von Bochum nach Essen ins Restaurant.
Maurer: Im Ruhrgebiet leben Pragmatiker und Optimisten. Das macht es so spannend, mit ihnen zusammenzuarbeiten und die Dinge nach vorn zu entwickeln. Integration und Veränderung hat diese Region schon immer ausgezeichnet. Denken Sie an die vielen Menschen, die in den 50er und 60er Jahren gekommen sind und die im Ruhrgebiet eine neue Heimat gefunden haben. Das mit einer gehörigen Portion Optimismus zu betreiben, finde ich faszinierend. Das fällt mir positiv auf.
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Im Herbst hatte der Initiativkreis Ruhr Besuch von der grünen NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur. Sie setzt darauf, dass ein klimaneutrales Ruhrgebiet mit seiner Stahl- und Chemieindustrie Vorbild für ganz Europa werden kann. Ist das realistisch?
Buch: Ja, ich teile Frau Neubaurs Vision. Sie weiß, dass man die notwendige Transformation im Ruhrgebiet am besten umsetzen kann. Bei ihrem Besuch während unserer Vollversammlung hatten wir einen regen und konstruktiven Austausch. Ich bin davon überzeugt, dass das Ruhrgebiet besser als jede andere Wirtschaftsregion geeignet ist, um beim Thema Wasserstoff vorwegzugehen, weil hier so viele energieintensive Unternehmen ansässig sind. Wir als Initiativkreis wollen bei dieser Transformation unterstützen.
Der Umstieg von Kohle und Gas auf grünen Wasserstoff kostet wahnsinnig viel Geld. Wo sollen die Milliarden herkommen?
Maurer: Natürlich können die Unternehmen die Kosten nur schwer alleine tragen. Deshalb unterstützt die NRW-Landesregierung Thyssenkrupp bei der Umstellung auf grünen Stahl. An dieser Stelle kann deshalb Subventionierung sinnvoll sein. Wenn wir die Transformation nicht hinbekommen, werden wir hier ein Mega-Problem haben.
Buch: Wenn man auf Erneuerbare Energien umstellt, hat man zu Beginn sehr hohe Investitionen, danach aber sehr viel geringere Kosten. Das ist der Wettbewerbsvorteil. Wir werden unabhängiger sein von Öl und Gas. Wir sind im Ruhrgebiet gut beraten, ganz vorn zu sein bei dieser Transformation, weil wir dadurch einen Wettbewerbsvorteil haben werden. Wir können Veränderung im Ruhrgebiet.
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Auch der Stahl soll grün werden. Ist es klug, unbedingt an der Stahlherstellung im Ruhrgebiet festzuhalten?
Maurer: Die großen Staatsfonds haben klare Richtlinien, nur noch in nachhaltige Industrien zu investieren. Das Kapital fließt dann auch da hin. Es gibt einen enormen Druck von Seiten der Kapitalgeber, in grüne Technologien zu investieren.
Der Initiativkreis Ruhr versteht sich nicht nur als Bündnis für die Wirtschaft, sondern will auch soziale und kulturelle Impulse setzen. Ein Leuchtturm, der weit über die Region strahlt, ist das Klavierfestival Ruhr, das mit Katrin Zagrosek eine neue Intendantin bekommen wird. Was wird sich ändern?
Maurer: Das Klavierfestival läuft seit 34 Jahren, 28 Jahre davon unter der Intendanz von Franz Xaver Ohnesorg. Er hat daraus eine starke Marke gemacht. Katrin Zagrosek wird ab 2024 neue Impulse setzen. Wir sind gespannt darauf, welche Akzente sie setzen wird. Es gibt ja nicht nur die großen Konzerte, sondern auch das ganze Jahr über ein Bildungsprogramm zum Beispiel mit Schulen und Kindergärten in Duisburg-Marxloh. Über Musik wird den Kindern Bildung vermittelt. Das Klavierfestival Ruhr ist deshalb nichts Elitäres. Das Bildungsprogramm wird jetzt auch nach Bochum und Duisburg-Hochfeld übertragen.
Buch: Wir haben das Ziel, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Die Lebensqualität wird besser, wenn man die Möglichkeit hat, ein tolles Konzert zu besuchen oder musische Bildung zu erfahren. Auch das macht die Region attraktiver.
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Mit Ihrem aktuellen Leitprojekt „Urbane Zukunft Ruhr“ wollen Sie erst einmal die Lebensqualität im Duisburger Problem-Stadtteil Hochfeld verbessern. Wie soll das gelingen?
Buch: Durch gute Zusammenarbeit zwischen Kommune und Wirtschaft. Wir haben je einen Geschäftsführer von Seiten des Initiativkreises und einen von Seiten der Stadt Duisburg, die nun gemeinsam an dem Projekt arbeiten und ein Team aufbauen. Wir haben analysiert, welche Herausforderungen es in Hochfeld gibt, und mit ersten Projekten begonnen. Wir sehen Hochfeld als einen Stadtteil der Chancen. Wir haben ein klares Verständnis davon, welche Probleme wir dort lösen müssen.
Maurer: Wir wollen die Mobilität, Infrastruktur und Bildung verbessern. Dazu wird es ein Kennzahlen-System geben, um zu messen, ob sich die Reichweite der Bildungsangebote erhöht und die Mobilität verbessert hat. Wir erwarten keine Veränderung von heute auf morgen. Urbane Zukunft Ruhr ist ein Projekt von mindestens einer Dekade Laufzeit.
Gibt es einen konkreten Fahrplan?
Maurer: Unsere beiden Geschäftsführer sind gerade dabei, den Stadtteil kennenzulernen und den Fahrplan zu entwickeln. Wichtig: Das Projekt in Hochfeld hat nicht zum Ziel, allein dort etwas zu bewegen. Wir wollen ein System schaffen, das man auf andere Stadtteile im Ruhrgebiet anwenden kann – wie ein Handbuch, an dem sich die Oberbürgermeister anderer Städte orientieren können. Hochfeld soll zur Blaupause für die ganze Region werden und das ganze Ruhrgebiet soll von den gewonnen Erkenntnissen profitieren.
Buch: 2027 findet die Internationale Gartenausstellung IGA unter anderem in Duisburg statt. Da werden viele Menschen durch Hochfeld fahren, um zur Ausstellung zu kommen. Bis dahin soll sich der Stadtteil schon sichtbar entwickelt haben. Diese Veranstaltung als wichtige Zeitmarke war auch ein Grund, warum Hochfeld für das Projekt ausgewählt wurde.
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Wie wird sich die Privatwirtschaft in Hochfeld finanziell engagieren?
Buch: Wir werden als Initiativkreis fortlaufend mit den Unternehmen reden und ausloten, welche Projekte zu ihnen passen. Es geht ja nicht nur darum, Geld zu geben. Es muss auch inhaltlich zueinander passen. Die LEG, deren Stiftung „Dein Zuhause hilft“ 250.000 Euro zur Verfügung gestellt hat, ist ein guter Start. Da werden sicher weitere Initiativen zu sehen sein. Durch diese Spende konnten wir das Projekt „Hochfelder Nachwuchstalente“ ins Leben rufen, das Kindern und deren Familien zum Beispiel Besuche in Museen ermöglicht.
Maurer: Wenn sie die Sinnhaftigkeit der Projekte vor ihrer Haustür sehen, macht es Sinn für Unternehmen, sich in Hochfeld zu engagieren.
Nahezu alle Unternehmen suchen Arbeitskräfte. Braucht Deutschland mehr Einwanderung?
Buch: Wir brauchen eindeutig mehr Zuwanderung. Das ist ganz klar. Die meisten von uns haben Vorfahren, die irgendwann einmal hierhergezogen sind. Hier im Ruhrgebiet sind wir in Integration geübt. Das ist eine Stärke, auf die wir stolz sein können. Gleichermaßen sollten wir auch die Potenziale nutzen, die wir schon in der Region haben: Bei uns leben auch sehr viele junge Menschen, die nur eine Chance brauchen.
Seit jeher verfolgt der Initiativkreis Ruhr das Ziel, gut ausgebildete Menschen im Ruhrgebiet zu halten und auswärtige anzulocken. Ist das gelungen?
Buch: Als Initiativkreis haben wir viele erfolgreiche Programme, um Menschen, die hier leben, zu qualifizieren und in den Arbeitsprozess zu integrieren. Gleichzeitig unterstützen wir mit der Gründerallianz Start-ups, damit sich mehr Gründerinnen und Gründer hier ansiedeln. Gerade in Zeiten des Arbeitskräftemangels dürfen wir uns nicht auf bisherigen Erfolgen ausruhen, sondern müssen dranbleiben.
Maurer: Manche Hochschulabsolventen sind unentschlossen, was sie beruflich tun sollen. Hier setzt der Junge Initiativkreis Ruhr mit seinem Mentoring-Programm an und bietet vor allem Studierenden Orientierung beim Berufseinstieg. Dabei geht es auch darum zu zeigen, welche vielfältigen Möglichkeiten es im Ruhrgebiet gibt. Wenn sich niemand um diejenigen kümmert, die noch unentschlossen sind oder eine Ausbildung abbrechen, bekommen wir als Gesellschaft ein Problem. Deshalb setzen wir uns mit großer Unterstützung der RAG-Stiftung im Rahmen der Talentmetropole Ruhr oder den Joblingen bewusst für Teilhabe und zweite Chancen ein.
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Hat das Ruhrgebiet jungen Arbeitskräften genug zu bieten?
Buch: Das Ruhrgebiet hat kulturell viel zu bieten. Hier kann im Vergleich mit anderen Regionen noch günstig wohnen. Es ist grün. Hier kann man super leben. Also ganz klar: Ja!
Maurer: Das Renommee ist leider immer noch schlechter als die tatsächliche Situation. Das müssen wir noch viel bekannter machen. Wichtig ist, dass die Unternehmen mit ihren Zentralen hier bleiben. Dort sind die hochwertigen Arbeitsplätze und das ist eine Ausstrahlung, die der Region guttut. Das zieht dann weitere Arbeitsplätze nach sich.