Duisburg. Initiativkreis Ruhr und Stadt Duisburg wollen in Hochfeld neue soziale Konzepte etablieren, um den Problem-Stadtteil zu „drehen“. Ein Gespräch.
Auf einen regelrechten Wettbewerb unter den Städten wollte der Initiativkreis Ruhr bewusst verzichten. Bei der Auswahl des Standorts sein neues „Leitprojekt Urbane Zukunft Ruhr“ kam man rasch auf den von sozialen Problemen gezeichneten Duisburger Stadtteil Hochfeld. Was sie in dem Ort am Rheinufer vorhaben, erklären die beiden Moderatoren des Wirtschaftsbündnisses, Vonovia-Chef Rolf Buch und Unternehmensberater Andreas Maurer (Boston Consulting), gemeinsam mit Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD).
Der Initiativkreis Ruhr will ein „Reallabor der urbanen Zukunft“ eröffnen. Warum fiel die Wahl auf Duisburg-Hochfeld?
Andreas Maurer: Wir haben analysiert, welche Gebiete in Frage kämen und haben die Idee zu unserem Projekt im WAZ-Interview bekannt gemacht. Interessierte Kommunen kamen auf uns zu. Wir haben mehrere Standorte besichtigt. Am Ende haben wir uns als Moderatoren für Duisburg-Hochfeld entschieden.
Rolf Buch: Ich bin mit einem alten Auto durchs Ruhrgebiet gefahren, um zu schauen, wo es welche Aktivitäten gibt. Wir wollen, dass das Ruhrgebiet in die richtige Richtung geht. Die Oberbürgermeister haben zum Glück damit aufgehört, den ewigen Wettbewerb zu pflegen. Das Kirchturmdenken wollten wir nicht befeuern. Ich bin froh, dass die Oberbürgermeister gemeinsam etwas bewegen wollen.
Auch interessant
Was macht für Sie „urbane Zukunft“ aus?
Maurer: Wir haben „urbane Zukunft“ für uns in drei Aktionsfelder aufgeteilt: Bildung und Soziales, Wohnen und öffentlicher Raum sowie Mobilität. Klimaschutz und Digitalisierung sind selbstverständliche Querschnittsthemen. Wir planen in Hochfeld mehr als ein reines Wohnungsbauprojekt. Die Erfahrungen und Entwicklungen dort wollen wir später im gesamten Ruhrgebiet ausrollen. Deshalb wird es eine intensive wissenschaftliche Begleitung geben.
Sören Link: Ich bin natürlich stolz, dass die Wahl auf Hochfeld fiel. Die „neue Urbanität Ruhr“ muss natürlich an den Herausforderungen und Potenzialen des ganzen Ruhrgebiets orientiert sein. Hochfeld ist für dieses Projekt prädestiniert. Wir haben hier alles, was das Ruhrgebiet ausmacht – im Guten wie im Schlechten. Zuwanderer, die seit Jahrzehnten bei uns sind und andere, die gerade frisch angekommen sind, schaffen eine offene Kultur des Miteinanders, aber auch soziale Spannungen. Wir beobachten in diesem Kontext nicht nur Sprachprobleme. Deswegen geht es bei der „urbanen Zukunft“ nicht nur um die Renovierung von Häusern, sondern vor allem um die Menschen und deren Perspektiven sowie Lebensqualität.
Auch interessant
War das seit jeher so problematisch?
Link: Dieser Stadtteil war Heimat für eine gehobene, stolze Arbeiterschicht, bis viele der Werke in der Umgebung geschlossen wurden. Der damit einsetzende Wegzug der Arbeiter-Familien und der Zuzug aus Südosteuropa führten bis heute zu einer problematischen Entwicklung. Ihr kann man nur mit einem breiten Angebot an Maßnahmen begegnen: Bildung, Soziales, Mobilität und Wohnen müssen im Quartier neu konfiguriert werden. Mein Eindruck ist, dass der Initiativkreis Ruhr die Ambition und Leidenschaft hat, gemeinsam mit uns die „neue Urbanität Ruhr“ zu entwickeln, indem wir zeigen, dass man schwierige Stadtteile „drehen“ kann.
Was hat der Initiativkreis konkret vor in Hochfeld?
Buch: Wir wollen ganz bewusst einen modernen Weg gehen. Das Projekt ist eine Plattform zum Mitmachen, auf der sich unsere Mitglieder, aber auch andere einbringen können. 1 plus 1 soll in Hochfeld 3 ergeben, weil wir sich verstärkende Effekte erwarten. Wir haben bereits ein super positives Feedback unserer Mitglieder. Sie sind alle begeistert von der Idee, das Ruhrgebiet attraktiver zu machen. Schließlich leben und arbeiten wir und unsere Mitarbeiter hier.
Auch interessant
Stichwort Gentrifizierung. Müssen sich die Bewohnerinnen und Bewohner Sorgen vor Verdrängung machen?
Buch: Ganz und gar nicht. Wir wollen Hochfeld mit den Menschen entwickeln, die dort leben. Es lohnt sich daran zu arbeiten, dass es sich weiter stabilisiert und attraktiver für alle wird. Hochfeld soll kein Schicki-Micki-Viertel werden. Wir glauben aber, dass Studierende den Stadtteil bereichern können. Wir wollen Hochfeld interessant für neue Bewohnerinnen und Bewohner machen.
Link: Es soll niemand verdrängt werden. Im Gegenteil: Wir wollen Kinder fördern, Familien eine Perspektive bieten und eine urbane, moderne Infrastruktur aufbauen. Das kann viele Maßnahmen bedeuten: Eine Idee wäre zum Beispiel, dass wir Tagesmütter und Tagesväter qualifizieren, damit Eltern arbeiten gehen können. Bei „Schrottimmobilien“ ist die Stadt schon stark engagiert, aber wir wollen mehr machen. Wir wollen uns stärker darum kümmern, was in den Häusern nach der Sanierung passiert, dass Arbeitsplätze und Aufenthaltsqualität dauerhaft entstehen und die Menschen gerne nach Hochfeld kommen und bleiben wollen.
Auch interessant
Die öffentliche Hand hat bereits viel Geld in Problem-Stadtteile des Ruhrgebiets investiert – oft ohne nachhaltige Wirkung. Was macht Sie so optimistisch, dass es mit „Urbane Zukunft Ruhr“ besser laufen wird?
Buch: Bislang gab es den verbreiteten Anspruch, die Stadt soll alles in Ordnung bringen. Das ist aber falsch. Die Wirtschaft muss mitmachen, und ihr Know how einbringen. Wenn wir mitziehen, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit größer. Dazu gehört natürlich auch, dass wir gemeinsam Fehler machen.
Maurer: Das Projekt ist langfristig angelegt. Wir werden ständig dazulernen, es wird aber auch Rückschläge geben. Die Aussicht auf Erfolg ist aber erheblich. Es gibt gute Grundvoraussetzungen, den Stadtteil Hochfeld zu drehen.
Gibt es ein Investitionsbudget für Hochfeld?
Buch: Es ist zu früh, über Budgets zu sprechen. Ein Reallabor lebt davon, Erkenntnisse für weitere Projekte zu nutzen. Unser Ziel ist es, Aktivitäten der Unternehmen nach Hochfeld zu lenken. Junge Führungskräfte etwa können sich dort gesellschaftlich engagieren. Es geht nicht in erster Linie um Geld. Das werden wir am Ende auch bereitstellen.
Link: Die Frage nach Geld stellt sich noch nicht – meine Erfahrung ist, dass wir zuerst unsere Ideen ausarbeiten müssen und dann die dafür benötigten Ressourcen gemeinsam zur Verfügung stellen. Wir entscheiden gemeinsam, mit welchen Projekten wir anfangen wollen. Nicht zuletzt sollen hierbei aber die Menschen und die Politik in Hochfeld auch einbezogen werden. Der Initiativkreis und die Stadt wollen hierzu eine gemeinsame Gesellschaft gründen, die das Projekt vor Ort umsetzen wird. Die Stadt wird ihren Teil dazu tun, die Gesellschaft finanziell auszustatten. Es gibt auch Gelder aus Stiftungen und Förderprogramme von EU, Bund und Land, die wir in Anspruch nehmen wollen.
Auch interessant
Beim Vorgängerprojekt Innovation City wurde der CO2-Ausstoß binnen zehn Jahren in Bottrop nahezu halbiert. Das war das Ziel. Wie wollen Sie den Erfolg von „Urbane Zukunft Ruhr“ messen?
Maurer: In der Tat war das Messen in Bottrop relativ einfach. Die Ziele wurden erreicht. In Hochfeld ist das anders. Hier haben wir im Grunde drei Teilprojekte mit jeweils anderen Messgrößen. Der schönste Erfolg dort wird sein, dass Menschen durch Hochfeld gehen und sagen, hier ist es spannend und hier hat sich was zum Positiven verändert. Auch etwas Emotionales kann ein Erfolg sein.
Gibt es eine zeitliche Begrenzung?
Buch: In einem Reallabor gibt es kein zeitliches Korsett. Wir wissen, dass es lange dauern wird. 2027 ist für uns ein erstes wichtiges Etappenziel. Dann startet die Internationale Gartenschau in Hochfeld. In Bottrop machen wir auch weiter, obwohl Innovation City nur zehn Jahre dauern sollte.
Innovation City Ruhr hat mit dem ehemaligen Oberhausener Oberbürgermeister und Ex-Immobilienmanager Burkhard Drescher einen prominenten Geschäftsführer. Gibt es für Hochfeld schon einen Namen?
Link: Wir brauchen keine prominente Geschäftsführung, sondern eine gute. Wir wissen noch gar nicht, wie die gemeinsame Management-Gesellschaft aussehen wird. Auf jeden Fall wird die Person für die Aufgabe brennen müssen. Initiativkreis und Stadt haben jedenfalls den Ansporn, zügig loszulegen, und dieser Wille wird auch von unseren Tochtergesellschaften wie der Wohnungsbaugesellschaft Gebag und der Wirtschaftsförderung Duisburg Business Innovation getragen, die das Projekt sehr unterstützen.
Wie soll Hochfeld am Ende aussehen?
Link: Wir haben die historisch einmalige Chance, Hochfeld auf ganz neue Beine zu stellen und zu neuer „alter Blüte“ zu bringen. Wir wollen mehr Arbeitsplätze, Bildungschancen und Perspektiven schaffen. Es geht darum Menschen zu integrieren, sie für die Zukunft in Duisburg und im Ruhrgebiet zu begeistern.
>>> Daten und Fakten
60 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner in Hochfeld haben Migrationshintergrund.
Binnen zehn Jahren ist die Bevölkerung von 16.000 auf 18.000 gewachsen.
Hochfeld ist der kinderreichste Stadtteil Duisburgs.