Bochum. Abgebrochenes Studium, danach Orientierungslosigkeit – wie Nico Raabe über die Initiative Joblinge seinen Wunsch-Ausbildungsplatz in Bochum fand.
Nico Raabe hatte seit jeher den Wunsch, Fachinformatiker zu werden. Doch sein Leben nahm nach dem Abitur einen anderen Verlauf. Er begann ein Studium des Wirtschaftsrechts, das er mit einem Job bei einem Cateringunternehmen in Gelsenkirchen finanzierte. Als er die Stelle zu Beginn der Corona-Pandemie verlor, orientierte sich der Hertener neu. Über die Initiative Joblinge kam Raabe dann doch zu seinem Ausbildungsplatz, den er insgeheim schon immer haben wollte.
„Ich war offen für alles“, beschreibt der heute 26-Jährige seine Gemütslage, nachdem er sich an der Westfälischen Hochschule in Recklinghausen hatte ausschreiben lassen. „Über einen Freund und das Jobcenter bin ich zum Programm Joblinge gekommen“, berichtet Raabe. Was der junge Mann damals noch nicht ahnte: Er sollte am Ende der 1500. Schützling sein, den der Ruhrgebietsableger der bundesweiten Initiative in eine Ausbildung vermittelte.
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Joblinge, finanziert und getragen von der öffentlichen Hand und auf privater Seite vor allem von der RAG-Stiftung, dem Initiativkreis Ruhr, der Talentmetropole Ruhr sowie einigen Revier-Unternehmen, will berufliche Orientierung fördern und war bei Nico Raabe da an der richtigen Adresse.
„Nach dem Abbruch des Studiums habe ich keine Perspektive gesehen“, räumt der Hertener ein. Joblinge nahm Raabe auf, um ihn sechs Monate lang zu fördern. „Meine individuelle Bezugsperson hat meinen beruflichen Blick geschärft“, zieht er eine positive Bilanz. Seinen Ausbildungsplatz als Fachinformatiker fand er dann ganz allein – beim Systemhaus Silicon-ITS in Bochum.
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„Wir wussten zunächst gar nicht, dass er in dem Programm war. Dadurch sind wir erstmals mit Joblinge in Berührung gekommen“, sagt Silvija Welbers, Personalchefin bei der der Essener Citadelle Systems AG, die bundesweit mittelständischen Systemhäusern eine Nachfolgelösung anbietet. Auf diese Weise kam auch die Bochumer Traditionsfirma Silicon-IST unter das Dach der Holding.
„Initiative gegen den Fachkräftemangel“
Raabe erhielt also einen Ausbildungsplatz, ohne wirklich auf das weit verzweigte Netzwerk von Joblinge zurückgreifen zu müssen. „Uns hat zunächst einmal beeindruckt, dass Nico sein Studium selbst finanziert hatte. Wir stellen häufiger Studienabbrecher ein“, sagt Geschäftsführer Ralph Nikolas Bechtle. „Das IT-Studium ist sehr theoretisch. Die Schulabgängerinnen und Schulabgänger wollen IT aber praktisch lernen. Computerspiele sind meist ihr privates Hobby.“
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Die IT-Branche leidet ohnehin unter Fachkräftemangel. Aber nicht nur sie. „Joblinge wurde als soziale Initiative gegen Jugendarbeitslosigkeit gegründet. Inzwischen sind wir eine Initiative gegen den Fachkräftemangel“, unterstreicht Raphael Karrasch, Geschäftsführer von Joblinge Ruhr. Nach seiner Einschätzung greifen die Unternehmen im Ruhrgebiet inzwischen auch tief in die Tasche, um qualifizierte Beschäftigte zu finden. Karrasch erwartet bald vier Millionen Euro an Spenden für die Joblinge. „Denn in vielen Unternehmen wird es mit dem Nachwuchs wirklich knapp“, sagt er.
Niedrige Abbruchquote
Der ungewöhnliche Weg, den seine Initiative geht, scheint erfolgreich zu sein. Seit 2012 wurden 1662 junge Erwachsene in das Programm aufgenommen. 71 Prozent von ihnen wurden erfolgreich in eine Ausbildung vermittelt, sieben Prozent in Unterstützungsleistungen etwa der Agentur für Arbeit. Nur 14 Prozent brachen die Förderung ab. „Mit Joblinge drehen wir den Spieß um. Wir zahlen den jungen Leuten kein Geld. Das kommt für die sechs Monate aus der Grundsicherung“, berichtet Karrasch. „Bei uns müssen die Jugendlichen sich am Anfang in einem gemeinnützigen Projekt beweisen, erst dann werden sie aufgenommen. Dadurch ist die Hürde, das Programm abzubrechen, höher.“
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Damit weist Joblinge eine deutlich geringere Abbruchquote auf. Nach Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung wurde im Jahr 2020 in NRW jeder vierte Ausbildungsvertrag vorzeitig aufgelöst. Besonders groß war danach die Wechselbereitschaft im Handwerk. Dort stiegen 34,2 Prozent der Azubis vor Abschluss der Ausbildung aus. Der Ansatz von Joblinge, junge Menschen durch Ehrenamtler in der Regel sechs Monate lang intensiv zu begleiten und zu fördern, scheint aufzugehen.
Ausbildungsplatz im Bochumer Systemhaus Silicon-ITS
„Manche Teilnehmende im Joblinge-Programm mit Motivationsdefiziten oder gesundheitlichen Einschränkungen brauchen mehr Leitplanken als andere, um auf den beruflichen Weg zu kommen. Das ist sehr individuell“, sagt Geschäftsführer Karrasch und wählt ein Bild: „Oft geht es darum, einen Rohdiamanten zu schleifen.“ Das Ziel: ein „höchstmöglicher Abschluss im dualen Ausbildungssystem“.
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Nico Raabe ist auf einem guten Weg dorthin. Das Programm Joblinge hat ihm die nötige Orientierung bei der Berufswahl vermittelt. Dass er nach Abschluss der IT-Ausbildung noch ein Studium draufsetzt, ist freilich nicht ausgeschlossen. Sein Arbeitgeber, Silicon-ITS, ist dafür jedenfalls aufgeschlossen. „Wir greifen gern auf die Expertise von Werkstudenten zurück“, sagt Geschäftsführer Bechtle. „Bei uns lernen sie dann, wie unsere Kundinnen und Kunden ticken.“