Mainz/Essen. Angesichts des Personalmangels am Hauptbahnhof Mainz sollen Fahrdienstleiter ihren Urlaub abbrechen. Aber was dürfen Arbeitgeber eigentlich fordern? Kann der Chef mich aus dem Urlaub zurückholen? Ein Arbeitsrechtler beantwortet die Fragen, die sich nach dem Beispiel Mainz viele Arbeitnehmer stellen.
Stillstand in Mainz. Weil fast die Hälfte der Fahrdienstleiter aus dem Stellwerk krank oder im Urlaub ist, gibt es am Hauptbahnhof der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt seit Tagen massive Probleme. Mittlerweile fahren selbst tagsüber kaum noch Fernzüge den Bahnhof an, Tausende Pendler müssen Zugausfälle im Regionalverkehr hinnehmen.
Die Lösung? Für Patrick Döring, FDP-Generalsekretär und Aufsichtsratsmitglied der Bahn, lag sie auf der Hand: "Die urlaubenden Mitarbeiter sollten sofort auf Kostenerstattung der Bahn ihren Urlaub abbrechen und Dienst tun", forderte er in der "Bild am Sonntag". Der Ruf der Deutschen Bahn stehe schließlich auf dem Spiel.
Die Bahn wiederum äußerte sich da schon deutlich zurückhaltender: Ein Sprecher betonte noch am Sonntag, dass es keinen Zwang zum Abbruch des Urlaubs geben werde. Man werde die Mitarbeiter aber bitten, freiwillig ihren Urlaub zu unterbrechen. Was aber darf der Arbeitgeber in solchen Fällen überhaupt? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Darf mein Chef mich einfach so aus dem Urlaub zurückholen?
Nein, "einfach so" in gar keinem Fall. Arbeitnehmer haben ein Recht auf Urlaub. Dafür gibt es extra das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), und in dem ist festgeschrieben: "Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub." Dabei gilt: genehmigt ist genehmigt - selbst dann, wenn der Urlaub noch nicht angetreten wurde.
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"Urlaub, der einmal genehmigt ist, kann grundsätzlich nicht zurückgenommen werden", erklärt Jan Schaeffer, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Essen. Das sei auch nicht verhandelbar - gilt also selbst dann, wenn im Arbeitsvertrag beispielsweise vereinbart ist, dass der Mitarbeiter den Urlaub auf Wunsch des Chefs abbricht. Das Bundesarbeitsgericht hat entsprechende Klauseln für unwirksam erklärt.
Macht es einen Unterschied, ob ich verreist bin oder zu Hause?
Ganz klar: nein. Für die arbeitsrechtliche Einschätzung spielt es keine Rolle, ob ein Arbeitnehmer seinen Urlaub im australischen Dschungel oder im Schrebergarten um die Ecke verbringt.
Unter welchen Umständen ist ein Urlaubs-Widerruf möglich?
Nur in absoluten Notfällen. "Das ist nur dann denkbar, wenn der Betrieb ohne den entsprechenden Mitarbeiter völlig zusammenbrechen würde", erklärt Jurist Schaeffer und konstruiert ein Beispiel: Wenn in einer kleinen Firma mit nur drei Angestellten beispielsweise einer im Urlaub ist und zwei plötzlich erkranken, und wenn die Firma dadurch von der unmittelbaren Pleite bedroht wäre - dann könnte der Chef es rechtfertigen, den Urlauber zurückzuholen.
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"Das sind Konstellationen", sagt Jan Schaeffer, "die zwar theoretisch möglich sind, aber in der Praxis eigentlich nicht vorkommen." Nicht umsonst gebe es in diesem Bereich kaum Rechtsprechung.
Und wenn ich zurückgeholt werde?
In diesem seltenen Fall darf ich zumindest keinen materiellen Schaden durch den Urlaubsabbruch haben. "Alle Aufwendungen, die dem Arbeitnehmer entstehen, müssen vom Arbeitgeber übernommen werden", erklärt der Arbeitsrechtler. Das können zum Beispiel Stornierungsgebühren sein oder Reisekosten. Und der Anspruch auf den nicht mehr genommenen Urlaub bleibt bestehen.
Muss ich im Urlaub überhaupt für meinen Chef erreichbar sein?
Nein. Ausnahme sind nur Berufe mit einer Rufbereitschaft, etwa bei der Feuerwehr oder im Rettungsdienst. Ansonsten darf man das Handy im Urlaub getrost ausschalten (oder dem Chef die private Nummer erst gar nicht nennen), die Arbeits-E-Mails ignorieren. "Wenn ich im Urlaub bin und weiß, ich könnte jederzeit von meinem Chef angerufen werden, dann ist das kein Urlaub mehr", sagt Arbeitsrechtler Schaeffer.
Sollte ich nicht allein aus Solidarität und Pflichtgefühl zurückkehren?
Diese Frage geht über den arbeitsrechtlichen Bereich hinaus, hängt sicherlich auch vom Betriebsklima und dem Verhältnis zum Chef ab - und ist deshalb pauschal nicht zu beantworten. Fest steht: Arbeitgeber, die ihre Fürsorgepflicht ernst nehmen, würden ihre Mitarbeiter nicht leichtfertig aus dem Urlaub zurückbitten. Und es ist umgekehrt nicht verboten, dem Chef anzubieten, sich im Notfall zu melden.
Bevor man in einem Rechtsstreit alle Register ziehe, sagt Jan Schaeffer, müsse man sich schon fragen: Will ich da später auch noch arbeiten? Umgekehrt sei vorstellbar, dass ein guter Chef besonderen Einsatz in besonderen Situationen auch besonders honoriert.