Essen. . Der Personalmangel bei der Bahn hat offenbar auch bundesweit dramatische Folgen. Laut einem vertraulichen Schreiben des Gesamtbetriebsrats der DB Netz soll die prekäre Personalsituation die Sicherheit des Bahnverkehrs gefährden. So seinen Anfang August beinahe zwei S-Bahnen kollidiert.
Der bundesweite Personalmangel auf den Stellwerken der Bahn, der schon seit Tagen den Zugverkehr rund um den Eisenbahnknotenpunkt Mainz weitgehend lahm legt, ist dramatischer als bisher bekannt. Er berührt offenbar auch die Sicherheit des Bahnverkehrs. Das geht aus einem vertraulichen Schreiben des Gesamtbetriebsrats der DB Netz AG an den Vorstand hervor, in dem ein Zusammenhang der prekären Personalsituation mit einem Fast-Zusammenstoß zweier S-Bahnen in Mainz am 1. August hergestellt.
In dem Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt, heißt es: „Auch wenn die Ermittlungen … noch nicht abgeschlossen sind und nach dem heutigen Stand davon auszugehen ist, dass die beteiligten Fahrdienstleiter keine Schuld trifft, bleibt festzustellen, dass wiederum nur zwei Fahrdienstleiter statt drei und ein Zugmelder zum Zeitpunkt des Fasstunfalls auf diesem hochbelasteten Stellwerk Dienst taten“. Die Personalräte warnen: Diese Situation sei „keine Ausnahme, sondern stellt den Regelfall dar, von denen es täglich bundesweit viele andere gibt“.
Jahre zurückliegende Fehlplanung der Bahn
Am Nachmittag des 1. August war eine S-Bahn, die in Richtung Wiesbaden unterwegs war, bei der Einfahrt in den Mainzer Hauptbahnhof auf ein falsches Gleis geraten. Ein auf diesem Gleis entgegenkommender S-Bahn-Zug konnte erst im letzten Moment bremsen. Die Züge kamen mit eineinhalb Meter Abstand zum Stehen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in dem Fall.
Nach Informationen unserer Redaktion ist die bundesweit prekäre Personalsituation bei den Fahrdienstleitern unter anderem auf eine Jahre zurückliegende Fehlplanung der Bahn zurückzuführen.
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Vor mehreren Jahren war vorgesehen, alle deutschen Stellwerke durch nur sieben Betriebszentralen zu ersetzen. Das hätte erheblich Personal eingespart. Nachwuchs wurde über eine längere Zeit deshalb trotz eines hohen Altersdurchschnitts bei den Fahrdienstleitern nicht mehr angeworben. Dann aber wurden die Rationalisierungspläne fallengelassen. Jetzt managt die Betriebszentrale Duisburg den Verkehr in einem Drittel von NRW bis nach Bochum, die in Hannover macht die Arbeit der Bremer Fahrdienstleiter mit. In anderen Regionen müssen Bahnmanager und Betriebsräte nach dem Aus für den großen Wurf wieder die eingeschlafene Ausbildung auf die Rampe bringen, die nach der allgemeinen Schulung noch eine dreimonatige vor Ort nötig macht, um das eigene „Straßennetz“ kennenzulernen.
Laut Gewerkschaft fehlen rund 1000 Fahrdienstleiter
Heute fehlen nach Angaben der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft rund 1000 Fahrdienstleiter. Die Personalräte hätten seit 28 Monaten die Unternehmensführung auf den Mangel aufmerksam gemacht, ohne dass es zur Reaktion gekommen wäre, heißt es in dem Brief. Alleine im Jahr 2012 seien 60 000 Schichten wegen Personalmangels ausgefallen. Jeden Tag könnten im Bereich von DB Netz 165 Schichten auf hochkomplexen Stellwerken nicht besetzt werden.
„Die Situation im Fahrdienstleiterbereich ist aus unserer Sicht heute schlimmer als noch vor einem Jahr – und da war sie schon prekär“, heißt es in dem Schreiben. Es sei „nicht weiter akzeptabel“, dass durch Überstunden, nicht gewährten Urlaub, nicht gewährte Ruhezeiten und Ruhewochenenden die Belegschaft „gesundheitlich stark belastet und überlastet“ werde. Die Bahn müsse die „Handlungssicherheit“ wieder herstellen.
Allerdings werden die Lücken seit Kurzem nach und nach wieder gefüllt. So werden wieder Auszubildende für den Beruf „Eisenbahner im Betriebsdienst“ eingestellt und auch auf den Berufsschulen ist dies wieder Fach. Quereinsteiger sind gesucht, die für 3000 Euro brutto den Job tun, und einschlägige Lehrer wie in Hagen für die Berufsschulen, berichten Betriebsräte. Es stellt sich erster Erfolg ein. Dortmund wird 2014 zehn, Hagen elf neue Stellwerker bekommen.
Norbert Schilff, Personalratschef der DB Netz im Bereich Dortmund und Hagen: „Die jetzige Situation war vorhersehbar und vermeidbar, wenn man rechtzeitig auf uns gehört hätte“.