Essen. Darf der Chef bestimmen, wann ich Urlaub nehme? Wann muss ich ein Attest einreichen, wenn ich krank bin? Im Arbeitsrecht lauern zahlreiche Fallstricke. Damit Sie auf die nächste Diskussion mit ihrem Chef vorbereitet sind, räumen wir mit zehn verbreiteten Irrtümern zum Arbeitsrecht auf.

Ob Bewerbungsgespräch, Kündigung oder Krankschreibung: Wenn es ums Arbeitsrecht geht, glauben die meisten Menschen, sich einigermaßen auszukennen. Schließlich arbeiten sie ja - und sind damit automatisch so etwas wie Experten.

Doch wer sich tiefer in den Paragrafen-Dschungel wagt, merkt schnell: Vieles von dem, was immer wieder erzählt wird, hat rein gar nichts mit der Wahrheit zu tun. Zusammen mit der Duisburger Fachanwältin für Arbeitsrecht Stefanie Goj decken wir die zehn größten Mythen im Arbeitsrecht auf.

1) Drei Abmahnungen bedeuten: Kündigung.

Absoluter Quatsch, sagt Rechtsanwältin Stefanie Goj. Im Arbeitsrecht gebe es keine verbindliche Angabe darüber, wie viele Abmahnungen für eine Kündigung nötig seien. Vielmehr gelte: Bei schweren Verstößen könne der Chef auch ohne Abmahnung kündigen.

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Wenn der Chef sich bei einer Kündigung auf frühere Abmahnungen beziehen wolle, müssten diese aber "einschlägig" sein, also ein gleichartiges "Vergehen" betreffen. Kündigt der Chef einem Arbeitnehmer, weil dieser zu spät gekommen ist, könne er sich nicht darauf berufen, dass der Arbeitnehmer bereits wegen anderer Versäumnisse abgemahnt worden ist.

2) Wer krank ist, muss nach drei Tagen ein Attest einreichen.

Das wird zwar immer wieder erzählt, ist aber trotzdem nicht immer richtig. Rechtsanwältin Stefanie Goj zitiert aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz: "Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen."

Allerdings gelte der Gesetzestext nur dann, wenn nicht im Arbeitsvertrag oder einer Betriebsvereinbarung anderes festgelegt worden sei. Wer genau wissen will, wann er seinem Chef den "gelben Schein" bringen muss, sollte also seinen Arbeitsvertrag genau durchlesen.

Muss der Chef erfahren, dass ich mich in einen Kollegen verliebt habe? 

3) Wer krankgeschrieben ist, kann nicht gekündigt werden.

Arbeitnehmer, die sich darauf verlassen, liegen falsch, warnt Rechtsanwältin Goj. Der Arbeitgeber könne sogar kündigen, wenn der Angestellte im Krankenhaus liegt. Einen gesetzlichen Schutz davor gebe es nicht.

Chefs könnten sogar kündigen, weil der Arbeitnehmer krank ist. "Das muss der Chef aber sehr genau begründen", erklärt Goj. Nur wenn der Arbeitnehmer schon länger ausfällt und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch noch länger ausfallen wird, sei ein solcher Schritt möglich.

4) Liebe unter Kollegen? Das geht den Chef nichts an.

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Grundsätzlich sei das richtig, sagt Expertin Goj. Allerdings gelte das nur, solange der Chef keine Interessenkonflikte befürchten muss. Besetzt eines der beiden Turteltäubchen im Unternehmen eine Vertrauensposition und besteht die Gefahr, dass vertrauliche Informationen durchsickern, so müsse der Chef sehr wohl informiert werden.

In solchen Fällen sei es für alle Beteiligten besser, eine vernünftige Regelung zu finden, statt die Beziehung dauerhaft zu verheimlichen, rät Goj. Arbeitnehmer sollten das Gespräch mit dem Chef suchen, um eine Lösung, zum Beispiel eine Versetzung, zu finden.

Wann ich im Bewerbungsgespräch ungestraft lügen darf 

5) Im Bewerbungsgespräch darf der Chef nach Vorstrafen fragen.

Nein, grundsätzlich darf der Chef nicht nach Vorstrafen fragen, sagt Rechtsanwältin Goj. Auch nicht nach politischer Einstellung, Gewerkschaftszugehörigkeit, sexueller Orientierung oder Schwangerschaft. Doch gerade in Bezug auf die Vorstrafen gebe es Ausnahmen: "Wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an der Information hat, darf er fragen - dann muss der Bewerber auch wahrheitsgemäß antworten."

Das gelte zum Beispiel für einen angehenden Kraftfahrer, der nach Verkehrsdelikten gefragt werde. Auch wer sich im öffentlichen Dienst bewerbe, müsse sich solche Fragen gefallen lassen. Liegt kein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers vor, darf der Bewerber auf eine solche Frage mit einer Lüge antworten, ohne rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.

6) Angeordnete Überstunden müssen abgeleistet werden.

"Jein", sagt Juristin Goj. Der Chef dürfe Überstunden nur dann anordnen, wenn es sich um einen Notfall handelt, beispielsweise einen Wasserrohrbruch, durch den das Betriebsgelände überflutet wurde. "Dann kann kein Arbeitnehmer nach Hause gehen, nur weil seine reguläre Arbeitszeit abgelaufen ist", sagt Goj, das ergebe sich aus den Nebenpflichten des Arbeitsvertrags.

Eine spontan über das Unternehmen hereingebrochene Auftragsflut könne der Chef hingegen nicht als Notfall deklarieren - und dementsprechend auch keine Überstunden anordnen. "Das ist sein unternehmerisches Risiko", sagt Goj, "das muss er selbst verantworten."

Mit Gipsbein ins Kino - Darf ich das? 

7) Wer krank ist, darf nicht ausgehen.

Falsch, sagt die Expertin. Wer krank sei, dürfe alles tun, solange es nicht "genesungswidrig" ist. Heißt im Klartext: Wer sich ein Bein gebrochen hat, darf nicht in die Disco gehen. Es sprich aber nichts dagegen, dass ein Rekonvaleszent mit gebrochenem Zeigefinger zum Einkaufen oder ins Kino geht.

Wer dabei seinem Chef oder Kollegen begegnet, muss sich zwar vielleicht Sorgen um seinen Ruf im Unternehmen machen, aber immerhin keine Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen haben.

8) Sind die Straßen glatt oder verschneit, darf ich zu Hause bleiben.

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So einfach ist das nicht. Wenn witterungsbedingte Verkehrsverhältnisse den Arbeitnehmer am Arbeiten hindern, ist das höhere Gewalt, wie die Expertin erklärt: "Da ist weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer schuld." In der Konsequenz heißt das: Der Arbeitnehmer muss die versäumte Arbeitszeit nicht nachholen, der Chef muss ihn dafür aber auch nicht bezahlen.

Als Arbeitnehmer habe man aber in jedem Fall die Pflicht, seinen Chef zu informieren, wenn man es wegen verschneiter oder glatter Straßen nicht oder nicht pünktlich zur Arbeit schaffe.

Kann der Chef diktieren, wann ich Urlaub zu nehmen habe? 

9) Betriebsräte sind unkündbar.

Nein, so generell formuliert ist das falsch. "Betriebsräte sind vor ordentlichen Kündigungen geschützt", verbessert Rechtsanwältin Goj. Leistet sich ein Betriebsrat aber ein Vergehen, dass zu einer außerordentlichen, also fristlosen Kündigung berechtigt, könne er durchaus seinen Job verlieren.

"An eine solche Kündigung stellt der Gesetzgeber aber hohe Anforderungen", sagt Goj. So müsse der Betriebsrat als Gremium einer solchen Kündigung zustimmen, wenn ein Mitglied aus ihrer Gruppe entlassen werden soll.

10) Der Chef kann anordnen, wann die Mitarbeiter Urlaub machen.

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Nein, das kann er nicht, sagt Expertin Goj. Dem Gesetz nach müsse der Chef die Wünsche seiner Untergebenen bei der Urlaubsplanung berücksichtigen. Er darf aber davon abweichen, wenn dringende betriebliche Belange den Wünschen widersprechen.

Wollen mehrere Arbeitnehmer zur gleichen Zeit, zum Beispiel in den Schulferien, Urlaub nehmen, so muss der Chef eine soziale Auswahl vornehmen. Dann kommt etwa der Arbeitnehmer zum Zuge, der schulpflichtige Kinder hat. "Der Ausgleich ist entscheidend", sagt Goj, "wem der Chef dieses Jahr den Urlaubswunsch verwehrt, der sollte im nächsten Jahr besonders bedacht werden."