Bottrop. Zahl der Wohnungslosen in NRW auf Rekordniveau. Vor allem Alleinstehende sind betroffen. Bottroper Bündnis packt das Problem an der Wurzel.

Die wachsende Wohnungsnot in den Großstädten treibt nicht nur die Mieten in die Höhe. Sie verschärft auch soziale Probleme, die dazu führen, dass immer mehr Menschen ihre Mieten nicht mehr bezahlen können. Die Stadt Bottrop geht erfolgreich einen besonderen Weg, um Obdachlosigkeit zu verhindern, und sieht sich damit als Vorbild. Auch Vermieter helfen mit.

„Die Zahl der Menschen ohne eigene Wohnung in Nordrhein-Westfalen ist auf einen neuen Höchststand gestiegen“, teilte das NRW-Sozialministerium in diesem Sommer nüchtern mit. Am Stichtag 30. Juni 2023 – aktuellere Zahlen gibt es nicht – waren es insgesamt 108.590 Menschen, die „keine reguläre Wohnung mit eigenem Mietvertrag“ haben. Rückgänge verzeichnete das Ministerium landesweit in nur sechs Städten, darunter Duisburg, Bochum und Herne.

„Kümmerer-Projekte“ auch in anderen Ruhrgebietsstädten

Die Zahl der Wohnungslosen in NRW entspricht in etwa der Einwohnerzahl von Bottrop. Das zeigt die Dimension der beängstigenden Entwicklung. Bottrop ist im Zusammenhang mit dem Thema Wohnungsnot allerdings auch ein Positivbeispiel: Mit Fördermitteln und Unterstützung des Landes hat sich die Ruhrgebietsstadt seit einigen Jahren aufgemacht, das Problem an der Wurzel zu packen. Im kommenden Jahr soll es „Kümmerer-Projekte“ nach Angaben der Landesregierung auch in Duisburg, Gelsenkirchen, Herne, Mülheim und Oberhausen geben.

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Dem „Bottroper Netzwerk gegen Wohnungsnot“ haben sich Sozialverbände, große Konzerne wie Vonovia, LEG und Vivawest, aber auch private Eigentümer über ihren Verband Haus & Grund, Stadtverwaltung und Politik angeschlossen. Und das aus einem guten Grund. „Wohnungsnot ist zu einer der zentralen Fragen der Gegenwart geworden. Betroffen sind vor allem Alleinstehende“, sagt Oliver Balgar, Abteilungsleiter bei der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop.

„Machen uns Sorgen um Menschen, die ihre Wohnungen verlieren“

Innerhalb von nur vier Jahren sei die Zahl der Wohnungslosen in der kleinen Großstadt von 207 auf 350 gestiegen. „Aufgrund des sehr engen Wohnungsmarktes stoßen wir zunehmend an Grenzen, diese Menschen in Wohnraum zu vermitteln“, meint Balgar. „Wir sind in Bottrop eng beieinander, weil wir uns Sorgen um die Menschen machen, die ihre Wohnungen verlieren“, lobt die Sozialdezernentin der Stadt, Karen Alexius-Eifert.

Karen Alexius-Eifert ist Sozialdezernentin der Stadt Bottrop.
Karen Alexius-Eifert ist Sozialdezernentin der Stadt Bottrop. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Dank eines Beratungsangebots mit drei „Kümmerern“, das über das Bündnis und das Landesprogramm „Endlich ein Zuhause“ finanziert wird, weiß man in Bottrop inzwischen, wer die Betroffenen sind. Sie erhalten ein Gesicht. „Die meisten Wohnungslosen fallen im Stadtbild gar nicht auf. Sie kommen abwechselnd bei Freunden und Bekannten unter. Bei uns bekommen sie eine Postanschrift“, sagt Balgar. „Die Anfragen nehmen stetig zu. Zu uns kommen vor allem Alleinstehende und größere Familien ab fünf Personen“, berichtet Beraterin Louisa Baumann. „Wenn Miete und Nebenkosten vom Jobcenter nicht mehr anerkannt werden, türmen sich schnell Schulden auf.“

Mietrückstände sind ein „schambehaftetes Thema“

Mietrückstände sind dann auch der häufigste Grund, warum Menschen ihre Wohnung verlieren. Ein sehr „schambehaftetes Thema“, wie Kirchenvertreter Balgar weiß. „Manche Wohnungslose sind psychisch krank, haben Mietschulden oder andere soziale Schwierigkeiten. Einige Vermieter schließen diese Gruppe kategorisch aus“, kritisiert er, um zugleich zu betonen: „Aber auch diese Menschen haben eine Chance verdient.“

Genau an diesem Punkt setzt das Bottroper Bündnis an. „Je schneller das Jobcenter oder das Sozialamt davon erfahren, dass es Probleme bei der Mietzahlung gibt, desto schneller kann der Mieter seinen Anspruch auf ein Darlehen geltend machen“, nennt Sozialdezernentin Alexius-Eifert einen Ausweg.

Haus & Grund: Räumungsklage kann verhindert werden

Von einem „Frühwarnsystem“ ist die Rede. Hier kommt dann auch der Eigentümerverband Haus & Grund ins Spiel, der sich in Bottrop bundesweit erstmals an einem Bündnis beteiligt. Eine Räumungsklage kann verhindert werden, wenn frühzeitig bekannt ist, dass ein Mieter seine Miete bald nicht mehr bezahlen kann“, erklärt Vorsitzender Walter Eilert.

Walter Eilert ist Vorsitzender von Haus & Grund Ruhr und Bottrop.
Walter Eilert ist Vorsitzender von Haus & Grund Ruhr und Bottrop. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Vermieter hätten ein großes Interesse daran, ihre Mieter nicht zu verlieren und im Fall von finanziellen Engpässen gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Wenn da nicht der Datenschutz wäre. „Der Vermieter konnte fehlende Zahlungen deshalb bislang nicht proaktiv an das Sozialamt melden“, sagt Kirchenmann Balgar. „Das haben wir in Bottrop jetzt geändert, wenn der säumige Mieter sein Einverständnis gibt.“

„Man kann Obdachlosigkeit erfolgreich bekämpfen“

Mit Erfolg: Auch Dank des Einsatzes der Kümmerer konnten 116 Personen in ihren Wohnungen bleiben, die sie ohne Hilfe verloren hätten. 68 Menschen, die auf der Straße standen, konnten wieder in Wohnungen vermittelt werden. Und das in der aktuell sehr angespannten Lage. „Angesichts der Wohnungsknappheit haben die Vermieter die große Auswahl und entscheiden sich nicht unbedingt für Bewerber mit Sozialleistungsbezug“, sagt die Bottroper Sozialdezernentin nüchtern. Alexius-Eifert machen zudem die immer weiter steigenden Mieten Sorgen. „Die große Frage ist, wieviel Wohnraum es zu den Mieten gibt, die wir als Stadt übernehmen können.“ Aktuell darf sie 427 Euro ohne Heizung nicht übersteigen.

Hinzu kommt ein weiteres Phänomen, das neben Flüchtlingen und Studierenden, die eine Wohnung suchen, die Lage noch brisanter macht: Balgar beobachtet, dass es immer mehr Eigenbedarfskündigungen gebe, weil die Kinder von Eigentümern auf dem angespannten Mietmarkt keine Wohnung finden. Alexius-Eifert hofft auch deshalb, dass die Landesregierung das Bottroper Projekt noch lange finanziell unterstützt. „Mit unserem Bündnis senden wir auch ein Signal an andere Städte im Ruhrgebiet, dass es sich lohnt, unseren Weg zu beschreiten“, sagt sie. „Man kann Obdachlosigkeit erfolgreich bekämpfen.“

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