Dublin. Entscheidet Irland über die Zukunft Europas? Zumindest die des Lissabon-Vertrags liegt am Freitag in den Händen der Iren. Dann entscheiden sie zum zweiten Mal in einer Volksabstimmung über das Vertragswerk. Eine Zustimmung gilt keineswegs als sicher. Gerade die jungen Iren sind skeptisch.

Politisches Déjà-Vu in Irland: Einmal schon hat die Grüne Insel als einziges Land die EU-Strukturreformen blockiert. Freitag nun bekommen die Iren die gleiche Frage erneut per Volksentscheid vorgelegt: Welchen Kurs soll die 27-Staaten-Gemeinschaft nehmen?

Jeder Dritte will den Vertrag von Lissabon wieder torpedieren – dabei steht Europa hoch im Kurs.

Ein Drittel ist noch unentschlossen

19 Prozent der Iren sind noch unentschlossen, ob sie dem kontroversen Vertrag den Weg ebnen sollten. Für eine klare Mehrheit reicht es bislang nicht: Nur 48 Prozent der Iren befürworten den Umbau der EU-Organisation, 33 Prozent lehnen ihn ab. Es sind die Unentschiedenen Irlands, die Europas größtes Reformprojekt entscheiden werden.

Plakat zum Lissabon-Referendum in Irland.
Plakat zum Lissabon-Referendum in Irland. © AFP

Ein zweites Nein wäre ein „Akt der Selbstverstümmelung”, warnt Finanzminister Brian Lenihan die Iren, „unser Veto würde aussehen wie ein mentaler Austritt aus der EU, es wäre ein Rückschritt in die wirtschaftliche Isolationspolitik.” Die Argumente der Befürworter sind wenig subtil, zeigen aber Wirkung. In den vergangenen 12 Monaten hat die Boom-Nation den schlimmsten Wirtschaftsabsturz Europas durchlebt. Die Arbeitslosenzahlen steigen, das Wirtschaftswachstum bricht zweistellig ein. „Es ist die europäische Zentralbank, die uns vor dem Konkurs bewahrt”, sagt Lenihan. An manchen Widerspenstigen nagt nun nachträglich das schlechte Gewissen; sie lehnen den Vertrag noch immer ab, wollen den großen Bruder EU aber nicht verärgern.

Es spielt dem Ja-Camp in die Hände, dass aus dem keltischen Tiger seit dem letzten Referendum ein Bettvorleger geworden ist: Hat das Nein-Lager vergangenes Jahr auf Panikmache gesetzt, so sind es jetzt die Befürworter, die die Existenzängste vieler Iren mit dem Vorwurf ausnutzen, ihr Veto würde den Aufschwung sabotieren. „Unsere Zukunft hängt davon ab, einen Platz im Herzen Europas zu haben”, wirbt Ryanair-Chef Michael OLeary um Wackelwähler und Wiederholungstäter. Das Land hat seinen wirtschaftlichen Höhenflug allerdings nicht der EU, sondern niedrigen Steuern und laxen Arbeitsrechtsgesetzen zu verdanken.

»Veto würde aussehen wie ein mentaler Austritt«

Kaum jemand kennt die Inhalte des Reformpaketes. Klar ist nur, dass die Mehrheit der Iren gar nichts gegen Europa hat. So lehnt die „Generation Erasmus” den Vertrag mehrheitlich ab – junge Wähler zwischen 18 und 24 Jahren, die Irland nicht ohne EU-Mitgliedschaft kennen und häufig mit dem gleichnamigen Austauschprogramm im Ausland studiert haben. „Ich stimme wieder mit Nein”, sagt ein Student in der Henry Street. „Die EU als Wirtschaftseinheit funktioniert gut, aber es kann und darf keine politische Über-Konstruktion werden.” Andere fühlen sich als Europäer, kritisieren jedoch Demokratiedefizite: „Da werden viele Top-Jobs geschaffen, bei denen Kandidaten ernannt, aber weder gewählt noch abgewählt werden können.”

Die Tatsache, dass der Computerriese Dell sein Werk in Limerick schließen und ins noch günstigere Polen verlagern konnte, dient den Iren zudem als Paradebeispiel Brüsseler Fehlentscheidungen. Während in Irland 3000 Arbeiter ihre Jobs verlieren, bekommt das neue Werk in Lodz 54 Millionen Euro Investitionszuschüsse – soeben von der EU genehmigt.

Tory-Chef Cameron käme ein Scheitern sehr gelegen

Kritiker reagieren bitter, auch weil ihnen trotz vieler Versprechen „schlicht und frech” derselbe Vertrag ein zweites Mal vorgelegt werde. „Das allein ist schon Grund genug, mit Nein zu stimmen”, tönt Kieran Allan, Gewerkschaftler und Initiator der VoteNo.ie-Kampagne. „Scheitert das Referendum, stürzt hoffentlich die Regierung.” Die EU habe Irland im Übrigen nicht vor dem Bankrott gerettet, sondern verschärfe die Krise, argumentiert er. So dürfe der Staat schwache Industrien nicht subventionieren, weil es den EU-Wettbewerb verzerre, doch Banken müssten auf Steuerkosten gerettet werden.

Nun hofft auch Tory-Chef und Euroskeptiker David Cameron auf ein zweites Scheitern: Stimmt Irland mit Nein, will er die Briten als nächstes zum Referendum bitten. Mit dem Schachzug sichert er sich Sympathiepunkte im erzkonservativen Parteiflügel. So sind sich viele Ja-und-Nein-Gegner bei allen Differenzen einig: Wie auch immer das Referendum am Freitag ausgeht – mit Europa hat das Votum wenig, mit dem Lissabonner Vertrag fast nichts zu tun.