Brüssel. Die Staats- und Regierungschefs haben den Kommissionspräsident Barroso gegen Widerstand im EU-Parlament für zweite Amtszeit vorgeschlagen. Überraschend ausgebremst wurde der Gipfel durch Großbritannien bei der Suche nach Wegen für eine neue Volksabstimmung in Irland zum EU-Reformvertrag.

Gegen erheblichen Widerstand aus dem Parlament haben die 27 EU-Staats- und Regierungschefs einvernehmlich die Wiederwahl José Manuel Barrosos für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsident vorgeschlagen. «So schnell wie möglich» solle Barroso nun vom Parlament bestätigt werden, gab der tschechische Ministerpräsident und amtierende EU-Ratsvorsitzende Jan Fischer am frühen Freitagmorgen bekannt.

Barroso sagte, er sei «unglaublich stolz und gerührt» über die einvernehmliche Unterstützung des Gipfels und versprach, bei den Abgeordneten für eine breite Mehrheit zu werben. Als seine Prioritäten nannte er die Reaktion auf die Wirtschafts- und Finanzkrise sowie den Kampf gegen den Klimawandel. Der 53 Jahre alte Barroso ist seit 2004 EU-Kommissionspräsident, seine zweite Amtszeit ginge bis 2014.

"Wir haben jetzt ein starkes Mandat"

Tschechien und Schweden, das ab dem 1. Juli die Ratspräsidentschaft übernimmt, werden nun mit den Fraktionen die Abstimmung über Barroso vorbereiten. Dazu kann es frühestens bei der konstituierenden Sitzung am 14. Juli kommen. «Wir haben jetzt ein starkes Mandat», sagte Fischer.

Die Einstimmigkeit der Regierungschefs ist auch ein wichtiger Erfolg für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die zu den stärksten Unterstützern Barrosos zählte. Sie hatte vorher vor einer «monatelangen Hängepartie» gewarnt, sollte eine Wiederwahl des Kommissionschefs verschoben werden. "Wir wollen sicherstellen, dass diese Nominierung so wenig Zeit wie möglich in Anspruch nimmt», sagte der tschechische Regierungschef und amtierende EU-Ratsvorsitzende Jan Fischer. «Jede Verzögerung wäre keine gute Sache.» Der finnische Regierungschef Matti Vanhanen sagte, alle EU-Staats- und Regierungschefs hofften, «dass wir eine endgültige Entscheidung im Laufe des Julis haben».

"Seine Bilanz ist schlecht"

Allerdings ist Barroso die Parlamentsmehrheit noch nicht sicher: Von den Abgeordneten schlug dem konservativen Portugiesen scharfe Kritik entgegen. «Seine Bilanz ist schlecht», sagte der Fraktionschef der europäischen Sozialdemokraten (SPE), Martin Schulz. Der Grünen-Co-Fraktionsvorsitzende Daniel Cohn-Bendit rief den Gipfel auf, Barroso fallenzulassen, er sei kein «starker» Kommissionsführer. Der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff warnte vor einer «irreversiblen Beschädigung Barrosos», sollte dieser offiziell nominiert werden.

Dazu soll es erst nach Konsultationen mit den Fraktionen kommen. Ob das Parlament aber schon Mitte Juli wie vom Gipfel gefordert abstimmen kann, war noch offen. Es gebe Widerstand aus mehreren Fraktionen, räumte Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering ein. Er hoffe aber, dieser werde in den kommenden Wochen aufgegeben.

Sozialdemokraten wollen nicht im Juli abstimmen

Nachdem sich die Konservativen bei der Europawahl vor zwei Wochen als stärkste Kraft behaupten konnten, schien eine reibungslose Wiederwahl ihres Kandidaten Barroso noch im Juli wahrscheinlich. Allerdings wollen viele Abgeordnete nun erst das zweite Referendum über den EU-Reformvertrag in Irland abwarten. Stimmen die Iren diesmal zu, so könnte die Kommission auf Grundlage des neuen Vertrags eingesetzt werden. SPE-Fraktionschef Schulz erklärte dazu: «Die sozialdemokratische Fraktion ist nicht bereit, im Juli abzustimmen.»

EU-Ratspräsident Fischer warnte indes, Verschiebungen und Verspätungen wären in einer Zeit wirtschaftlicher Turbulenzen und großer Herausforderungen für die EU schädlich.

Debatte über Volksabstimmung in Irland auf Freitag vertagt

Die Debatte über eine neue Volksabstimmung in Irland über die EU-Reform wurde auf Freitag vertagt. Grund waren Vorbehalte Großbritanniens zur Formulierung von dazu geplanten Garantien an die Iren. Die EU will dabei zusichern, dass das Abtreibungsverbot durch den Reformvertrag von Lissabon ebenso unangetastet bleibt wie die Steuerpolitik und die Neutralität in Militärfragen.

Dublin will diese Garantien in Form eines Protokolls rechtlich absichern, das in den 27 Mitgliedsländern ratifiziert werden muss. Der innenpolitisch angeschlagene britische Premierminister Gordon Brown will aber einen Bezug auf das Protokoll in der Abschlusserklärung des Gipfels offenbar vermeiden, weil ihm sonst zuhause eine neue Europa-Debatte drohen könnte. Fischer zeigte sich zuversichtlich, dass am Freitag zum Abschluss des Gipfels ein Kompromiss gefunden werden könne. «Wir sollten in der Lage sein, den Iren belastbare Garantien zu geben, ohne die Ratifizierung des Lissabon-Vertrages neu zu eröffnen», sagte er.

Grundsätzlich einig waren sich die EU-Staats- und Regierungschefs, nach den Turbulenzen der Finanzkrise die Kontrolle über Banken, Versicherungen und Wertpapiermärkte zu verschärfen. Auf Druck Großbritanniens wurden die Befugnisse der geplanten EU-Kontrollbehörden aber abgeschwächt. Sie sollen nun keine Beschlüsse fällen dürfen, die haushaltsrechtliche Folgen für einzelne Staaten haben könnten. Wie erwartet soll derweil die Entscheidung über Milliardenhilfen für Entwicklungsländer zum Kampf gegen den Klimawandel auf den Herbst vertagt werden. (ap/afp)