Dublin. In einer deutlichen Kehrtwende haben sich zwei Drittel der Iren am Freitag für den Vertrag von Lissabon ausgesprochen. 17 Monate nach ihrer ursprünglichen Blockade und begleitet von scharfen Kontroversen ist damit die größte Hürde für eine umfassende EU-Reform gefallen.
Im Wohnzimmer einer abgeschiedenen Bauernkate auf Inishfree landete aus Sorge vor Unwettern schon am Mittwoch, zwei Tage vor dem Referendum, die erste Stimme in der Wahlurne: ein "Nein". Doch das kleine, sturmumtoste Eiland mit seinen insgesamt sieben Wahlberechtigten konnte durch sein Veto fürs Festland keinen Trend setzen. 67,1 Prozent der Iren stimmten mit Ja, nachdem jeder Fünfte seine Haltung zu dem Reformpaket revidiert hat.
Noch im Juni 2008 hatte eine knappe Mehrheit das Vertragswerk blockiert in einer Volksabstimmung, die unter allen 27 EU-Staaten allein Irland zusteht. Doch die massive Kampagne der Befürworter, darunter wichtige Arbeitgeber wie Intel und Ryanair, und ein dramatischer Konjunktureinbruch bewegten die Gegner zu einem Meinungsumschwung in EU-Angelegenheiten.
"Schritt in Richtung Wirtschaftsaufschwung"
"Unsere Zustimmung ist ein wichtiger, erster Schritt in Richtung Wirtschaftsaufschwung", lobte Finanzminister Brian Lenihan am Samstag die Entscheidung der Iren. Erleichtert reagierten auch führende Wirtschaftsgrößen und der irische Premierminister. "Den Menschen war letztes Jahr nicht klar, wie wichtig ihre Stimme ist", sagte Colan Barrington, Vorsitzender der Fluglinie AirLingus. "Man kann nicht Nein sagen und gleichzeitig EU-Hilfen erwarten."
Staatschef Brian Cowen sprach von einem entscheidenden Schritt zu einem "stärkeren, gerechteren und besseren Europa". Ein erneutes Veto hätte ihn vermutlich in eine Regierungskrise gestürzt.
Das enttäuschte Nein-Lager warf Befürwortern indes vor, die Wähler mit Existenzsorgen manipuliert zu haben. "Die Ängste der Iren um ihre Jobs sind geschickt genutzt worden, um sie einzuschüchtern", kommentierte Declan Ganley, Geschäftsmann und Lissabon-Gegner, das Ergebnis.
Im Schlusssprint der hitzigen Kampagne hatten Wirtschaft und Regierung stets argumentiert, dass ausländische Investoren bei einem "Nein" Kapital und Arbeitsplätze aus Irland abziehen würden. Bei Umfragen am Freitag gaben viele so auch an, "keine Wahl" zu haben und nur in der Hoffung auf EU-Hilfen einem Vertrag grünes Licht zu geben, den sie noch immer ablehnten. Doch im Endergebnis war die Entscheidung eindeutig: In Dublin lagen die Ja-Stimmen sogar in jedem einzelnen Wahlbezirk vorne.
Letzte Hoffnung Großbritannien
Auf Großbritannien ruhen jetzt die letzten Hoffnungen der Vertragsgegner. Hier hat Premier Gordon Brown zwar schon seine Zustimmung gegeben, doch Oppositionsführer David Cameron verspricht den Briten ebenfalls ein Referendum, sollte er die bevorstehende Unterhaus-Wahl gewinnen. Ohnehin verfügen die Konservativen über eine große Fraktion von Europaskeptikern, die Cameron drängen, Brüsseler Gesetzgebung zurückzuholen nach Westminster.
Doch auch Spekulationen, dass der ehemalige Labour-Premier Tony Blair schon bald den neu entstehenden Präsidenten-Posten des Europäischen Rates bekleiden könnte, sorgt im Königreich für massive Proteste. Euro-Gegner sehen sich in ihrer Skepsis bestätigt, da Kandidaten für die prominente Position nicht gewählt, sondern durch Regierungschefs in einem nicht-öffentlichen Prozess ernannt werden.
Dass Blair für diese Stelle angeblich bereits in Pole-Position wartet, sorgt in Großbritannien für mehr Kritik als Irlands Meinungsumschwung. Der Labour-Politiker polarisiert die Briten vor allem für seine Entscheidung, mit den USA in den Irak-Krieg einzutreten.