Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht hat den EU-Reformvertrag von Lissabon gebilligt - allerdings unter Auflagen. Bundesrat und Bundestag müssen mehr Beteiligungsrechte erhalten. Die Abgeordneten gingen bei der Ratifizierung zu weit und beschnitten ihre eigene Macht zu sehr.
Natürlich waren sie alle strahlende Sieger an diesem sonnigen Tag in Karlsruhe. Außenminister Frank-Walter Steinmeier freute sich, dass ihm das Verfassungsgericht zum Lissabon-Vertrag keine peinlichen Vorgaben machte, mit denen er seinen europäischen Amtskollegen entgegentreten muss. Der europaskeptische CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler meinte, das Gericht sei über seine Erwartungen noch hinausgegangen. Und Gregor Gysi von der Linksfraktion empfahl den anderen Parteien süffisant, über ihr Abstimmungsverhalten im vergangenen Jahr selbstkritisch nachzudenken.
In der Tat enthält die Entscheidung über den EU-Reformvertrag von Lissabon für alle Beteiligten erfreuliche Dinge bereit. Denn es handelt es sich um einen Kompromiss - den Verfassungsbeschwerden wurde teilweise stattgegeben. «Das Grundgesetz sagt Ja zu Lissabon, verlangt aber auf nationaler Ebene eine Stärkung der der parlamentarischen Integrationsverantwortung», sagte Gerichtsvizepräsident Andreas Voßkuhle.
Das Abkommen von Lissabon sieht nie dagewesene Befugnisse für die Europäische Union vor. Die Union soll damit aber auch demokratischer werden und schneller entscheiden können. Denn eigentlich ist die Gemeinschaft nicht für 27 Staaten gedacht: Jeder einzelne kann zurzeit noch mit seinem Veto Entscheidungen verhindern und Zugeständnisse verlangen. Das EU-Parlament hat bislang eher wenig Macht. Der Lissabon-Vertrag soll einen Teil dieser Mängel beseitigen, vor allem mit mehr Kompetenzen für Europa.
Bundestag gab zuviel Macht ab
Kritikern wie der Linksfraktion oder dem CSU-Politiker Gauweiler geht dies viel zu weit. Sie wollten einen Stopp der Ratifizierung durch Bundespräsident Horst Köhler erreichen. Zumindest auf kurze Sicht waren sie damit erfolgreich. Denn die 90 Prozent der Abgeordneten im Bundestag gingen nach dem Urteil des Gerichtes im vergangenen Jahr zu weit und beschnitten ihre eigene Macht zu sehr.
Die Richter des Zweiten Senates analysierten über Monate das deutsche Begleitgesetz, das dem Lissabon-Vertrag den Weg ebnen sollte und nahmen dabei auch den Status der EU unter die Lupe. Nach ihrer Einschätzung ist die Union kein Euro-Superstaat, sondern weiter nur ein Verbund. Deswegen darf der EU keine Blankovollmacht ausgestellt werden. «Die Mitgliedstaaten bleiben die Herren der Verträge», betonte Richter Udo di Fabio.
Besonders große Bedenken haben er und seine Kollegen offenbar, dass die EU zu einem gefräßigen Ungeheuer wird, das sich in immer mehr Gebieten für zuständig erklärt und nationale Parlamente zu stark einschränkt. «Das Grundgesetz ermächtigt die deutschen Staatsorgane nicht, Hoheitsrechte derart zu übertragen, dass aus ihrer Ausübung heraus eigenständig weitere Kompetenzen für die Europäische Union begründet werden können», sagte Voßkuhle. Will heißen: Befugnisse, die über den Lissabon-Vertrag hinausgehen, müssen vom deutschen Parlament genehmigt werden - und zwar Einzelfall für Einzelfall.
Das letzte Wort haben Bundestag und Bundesrat
Das macht die Arbeit nicht unbedingt leichter, wenn es darum geht, die EU künftig zu reformieren, aber demokratischer. Denn das letzte Wort haben Bundestag und Bundesrat und damit letztlich auch die Wähler. Sie können bei den Volksvertretern zumindest theoretisch Druck machen, eine bestimmte Regelung nicht zu billigen. Gibt es für ein bestimmtes Vorhaben keine Mehrheit, müsste Deutschland auf EU-Ebene neu verhandeln. Die Verfassungsrichter haben eine Notbremse eingebaut, wenn das nationale Parlament Macht verlieren soll.
Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn sich die EU irgendwann mehr Kompetenzen bei der Strafverfolgung geben will. Die Richter machten mit ihrem Urteil zugleich deutlich, dass in so einem Falle eher weniger als mehr Kompetenzen an die EU abgeben werden sollten. Als besonders sensibel sehen die Richter auch Themen wie Verteidigung, Haushalt, Sozialstaat, Bildung und Religion.
Die Bundestagsabgeordneten bekamen von Karlsruhe die Aufgabe, ein neues Gesetz zu schreiben, mit dem sie ironischerweise wieder selbst mehr Macht bekommen. Das Verfahren soll noch vor der Bundestagswahl abgeschlossen sein, aber vielleicht muss sich auch der neue Bundestag mit dem Gesetz beschäftigen. Auf jeden Fall schickt ausgerechnet der EU-Musterschüler Deutschland seine Ratifizierungsurkunde als eines der letzten EU-Mitglieder nach Rom.
Verfassungsrichter urteilen auch in eigener Sache
Nicht zuletzt urteilten am Dienstag die Karlsruher Richter auch in eigener Sache. Denn es ging auch um die Frage, ob das höchste deutsche Gericht in Zukunft noch europäische Entscheidungen prüfen darf. Der Senat um Voßkuhle beantwortete dies mit einem klaren Ja. «Die Kontrolle der Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes bleibt weiterhin die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes», sagte der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts.
Die Juristen delegierten damit keine Gewalt an ihre Kollegen vom Europäischen Gerichtshof. Wer in Zukunft seine Grundrechte von der EU beeinträchtigt sieht, darf sich weiter in Karlsruhe beschweren. Insofern gingen am Dienstag selbst die Richter als Sieger aus dem Saal. (ap)