Essen. Wer in die Programme der künftigen Regierungsparteien guckt, findet klare Aussagen zum Kündigungsschutz: In Betrieben mit weniger als 20 Mitarbeitern soll er künftig wegfallen. Doch was bedeutet das für ein Land, in dem Arbeitsplätze nicht entstehen, sondern schwinden?
Schon vor Beginn der Koalitionsverhandlungen mit der FDP übt sich die Union als Hüterin der Arbeitnehmerrechte. Den Gewerkschaften besonders wichtig war Merkels Absage an eine Lockerung des Kündigungsschutzes. Doch hier will die FDP offenbar nicht locker lassen, zumal sie den Wirtschaftsflügel der CDU auf ihrer Seite weiß. Der erinnert seine eigene Partei daran, was im Leipziger Grundsatzprogramm steht: Der Kündigungsschutz soll in Betrieben mit weniger als 20 Mitarbeitern wegfallen. Genau das will auch die FDP. Die Liberalen wollen den Kündigungsschutz zudem erst nach zwei Jahren gelten lassen.
Was wären die Folgen? Aktuell gilt der Kündigungsschutz nach sechs Monaten und ab zehn Mitarbeitern. Würde sich die FDP durchsetzen, fiele er in bundesweit gut 190 000 Betrieben weg, die zehn bis 19 Mitarbeiter beschäftigen. Nach jüngsten Daten der Bundesagentur für Arbeit wären davon rund 2,5 Millionen Beschäftigte betroffen.
Die FDP glaubt, dadurch entstünden Arbeitsplätze. Das fußt auf der These, Arbeitgeber würden eher einstellen, wenn sie Beschäftigte auch schneller wieder loswürden. Allerdings steht dem Arbeitsmarkt eine Phase bevor, die nicht von Einstellungen, sondern von Entlassungen geprägt sein wird. Auch die würde ein gelockerter Kündigungsschutzes erleichtern. „Der Beschäftigungseffekt ist somit gleich Null”, sagt Hilmar Schneider vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). Das habe sich in Ländern mit weniger Kündigungsschutz gezeigt.
Ohne Grund kann ein Arbeitsverhältnis dreimal befristet werden
Aus einem weiteren Grund haben selbst Arbeitgeberverbände den Kündigungsschutz nicht auf der Tagesordnung: Zeitarbeit und befristete Arbeitsverträge bieten bereits weitreichende Möglichkeiten, den Kündigungsschutz zu umgehen. Das räumt auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall ein. Der Kündigungsschutz gehöre „mittelfristig” auf die Agenda, aktuell gebe es aber wichtigere Dinge.
Tatsächlich hat der Kündigungsschutz in Deutschland durch mehrere Reformen stark an Bedeutung verloren, vor allem durch die Ausweitung der befristeten Beschäftigung 2004. Ohne Grund kann ein Arbeitsverhältnis dreimal befristet werden, insgesamt höchstens auf zwei Jahre. Mit Begründung, etwa zeitlich begrenzten Projekten, sind weitere Befristungen möglich. Davon machen die allermeisten Unternehmen Gebrauch. Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft stellen vier von fünf Betrieben mit mehr als 50 Mitarbeitern befristet ein. Kleinere Betriebe tun das etwas seltener.
Viele befristete Verträge
Besonders bei den Jüngeren macht sich das bemerkbar: Von den 15- bis 24-Jährigen sind bereits 27 Prozent befristet beschäftigt, wie der Mikrozensus 2008 ergab. In vielen Branchen ist es mittlerweile üblich, zunächst Ein- oder Zwei-Jahres-Verträge zu vergeben. Etwa im Bildungssektor, im Gesundheitswesen und im Gastgewerbe.
Vom klassischen Kündigungsschutz haben sie faktisch nichts. Die Aussetzung in den ersten zwei Jahren, wie sie die FDP will, ginge insofern an der Realität vorbei. „Substanzlos” nennt sie der als marktliberal geltende Ökonom Schneider.
De facto kein Kündigungsschutz mehr für neu Eingestellte?
Der meiste Sprengstoff liegt daher in der Heraufsetzung der Schwelle auf 20 Mitarbeiter: Immerhin ein Drittel der Betriebe dieser Größe vergibt noch ausschließlich unbefristete Stellen. Außerdem wollen die Freidemokraten durchsetzen, dass Arbeitnehmer bei der Einstellung zwischen Kündigungsschutz und einer Abfindung wählen können.
Dass sie eine echte Wahl hätten, bezweifeln Gewerkschafter. Sie sehen die Bewerber in einer schlechteren Verhandlungsposition als den Arbeitgeber. Es werde sich immer ein Bewerber finden, der die vom Arbeitgeber favorisierten Bedingungen akzeptiere, meint Marc Schlette von der IG Metall NRW. „Das wäre de facto die Abschaffung des Kündigungsschutzes für alle neu Beschäftigten.”