Essen. . Wenige Tage vor der Landtagswahl in NRW beantworteten Hannelore Kraft und Norbert Röttgen Punkt für Punkt und teilweise sehr ausführlich alle Fragen, die die Leserbeiräte der WAZ-Redaktionen gestellt hatten. In der vergangenen Woche hatten Vertreter der Leserbeiräte zusammen mit dem WAZ-Chefredakteuer und seinem Stellvertreter den dicken Fragenkatalag überreicht. Jetzt liegen die Antworten vor.

Am Sonntag wählen die Bürger NRWs einen neuen Landtag. Norbert Röttgen geht als Spitzenkandidat der CDU ins Rennen; die SPD tritt erneut mit Hannelore Kraft an, der amtierenden Ministerpräsidentin. Fünf Tage vor der Wahl antworten beide auf drängende Fragen der WAZ-Leserbeiräte – repräsentativ ausgewählt aus sehr viel mehr Fragen, die die Beiräte der Redaktion vorgeschlagen haben.

Thema Schule/Hochschule

Wie stellen Sie sich die Schulen im Land in 20, 30 Jahren vor? (Lennart Krotzek, Abiturient aus Gladbeck)

Hannelore Kraft: Ich wünsche mir, dass wir dann sagen können: „Wir haben es geschafft, kein Kind mehr zurückzulassen.“ Mit dem historischen Schulkonsens haben wir erreicht, dass Kinder länger gemeinsam lernen und wir vorerst nicht mehr über die Schulstruktur diskutieren müssen. Jetzt können wir uns darauf konzentrieren, die Qualität der Bildung zu verbessern, schrittweise auch gemeinsames Lernen von behinderten und nicht-behinderten Kindern zu ermöglichen.

Norbert Röttgen: Leitlinie unserer Schulpolitik ist eine bestmögliche Förderung jedes Kindes entsprechend seiner individuellen Fähigkeiten. Wir haben deshalb in den Schulkonsensgesprächen darauf gedrungen, dass es in NRW keine Einheitsschule geben wird und das differenzierte Schulsystem in der Landesverfassung verankert wird. Beides haben wir erreicht. Der Schulkonsens gilt bis 2023. Mein Ziel ist, dass wir auch darüber hinaus Schulvielfalt erhalten.

Warum haben Sie die Studiengebühren abgeschafft? (Anneliese Bodengesser-Zimmermann, Oberhausen)

Kraft: Uns ist wichtig, dass alle Kinder und Jugendlichen den gleichen Zugang zu Bildung haben. Dafür darf es keine finanziellen Hürden geben. Das Geld für den Wegfall der Studiengebühren haben wir den Hochschulen aus dem Landeshaushalt erstattet.

Wie wollen Sie, Herr Röttgen, den doppelten Abitur-Jahrgang an den Hochschulen auffangen? (Doro Rudde, Gelsenkirchen)

Röttgen: Es ist ein schweres Versäumnis der rot-grünen Landesregierung, dass sie sich auch um dieses Thema nicht gekümmert hat. Ich werde mich als Ministerpräsident sofort mit den Hochschulrektoren an einen Tisch setzen, damit wir noch ein tragfähiges Konzept erarbeiten und umsetzen können.

Fragen zu den Themen Kommunen und Energie 

Wie beurteilen Sie die Zusammenlegung der Städte und Gemeinden zu einer „Großstadt Ruhrgebiet“? (Ingo Aulbach, Oberhausen)

Kraft: Das Ruhrgebiet ist eine Metropolregion, aber keine Stadt mit einer Verwaltung. Das soll sie auch nicht sein, weil jede Stadt und Gemeinde ihre eigene gewachsene Identität hat. Trotzdem gilt: Je mehr Kooperation, desto besser. Ein gutes Beispiel ist das Projekt Kulturhauptstadt.

Röttgen: Das ist eine Frage, die nur die Menschen im Ruhrgebiet selbst entscheiden können.

Thema Energie

Wann wird das Kohlekraftwerk Datteln ans Netz gehen? (Claudia Steckenborn, Essen)

Kraft: Das Oberverwaltungsgericht NRW hat den Kraftwerksbau in Datteln 2009 gestoppt, weil es bei Planung und Genehmigung gravierende Fehler gegeben hat. Der Regionalverband Ruhr und die Stadt Datteln haben inzwischen ein neues Planverfahren aufgesetzt.

Wie wollen Sie die stetig steigenden Energiepreise und die damit aufkommende Stromarmut verhindern? (Dieter Scholz, Dorsten)

Röttgen: Meine Antwort ist die Energiewende. Der Umstieg auf erneuerbare Energien erfordert eine Anschubfinanzierung. Diese wird sich jedoch rasch auszahlen, weil wir unabhängiger werden von Energieimporten und langfristig eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung gewährleisten können.

Kraft: Unsere Verbraucherzentralen leisten in Zusammenarbeit mit den Stadtwerken bereits hervorragende Arbeit, um Energiearmut zu verhindern. Die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende ist von zentraler Bedeutung.

Wie stehen Sie zum Fracking, der neuen Art der Erdgasgewinnung? (Anneliese Bodengesser-Zimmermann, Oberhausen)

Kraft: Die Landesregierung nimmt die Sorge, dass beim Fracking Boden und Grundwasser verunreinigt werden könnten, sehr ernst. Deshalb haben wir eine Risikostudie in Auftrag gegeben. Erst nach Vorlage dieses Gutachtens dürfen Anträge auf Bohrungen entschieden werden. Parallel dazu bemüht sich Nordrhein-Westfalen zurzeit im Bundesrat darum, dass bei der Genehmigung insbesondere von Fracking-Vorhaben Umweltverträglichkeitsprüfungen gesetzliche Pflicht werden.

Röttgen: Sicherheit hat höchste Priorität. Genehmigungen dürfen nur erteilt werden, wenn unverantwortliche Risiken vollständig ausgeschlossen werden können. Solange keine ausreichend fundierten wissenschaftlichen Kenntnisse zu den möglichen Auswirkungen von „Frac­king“ vorliegen, dürfen keine Fakten geschaffen werden. Im Übrigen kommt für mich eine Erdgasförderung überhaupt nur in Frage, wenn sie von der Bevölkerung in der Region akzeptiert wird.

Fragen zu den Themen Gesellschaft und Familie 

Sind Sie bereit, sich für mehr Mittel in der Altenpolitik einzusetzen? (Hilde Jaekel, Dorsten)

Kraft: Wir wollen mit unserer Gesundheits- und Pflegepolitik dazu beitragen, dass ältere Menschen möglichst lange, aktiv, gesund und sozial abgesichert in ihrem gewohnten Umfeld leben können. Dazu gehört eine wohnortnahe Versorgung genauso wie die Gestaltung der Barrierefreiheit in allen Fragen des täglichen Lebens. Mit der Novellierung des Landespflegegesetzes wollen wir deshalb das Pflegeangebot vor Ort sichern und weiterentwickeln.

Röttgen: Die Seniorenpolitik ist ein wichtiges Feld. Es gibt zweifellos in diesem Bereich notwendige Verbesserungen, für die wir auch Geld in die Hand nehmen müssen. Allerdings gilt für mich der Grundsatz, dass wir dafür dann an anderer Stelle sparen müssen. Wir dürfen nicht weiter auf Kosten künftiger Generationen leben. Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass dies gerade den heutigen Großeltern besonders wichtig ist.

Wie stehen Sie zu der sog. „Herdprämie“? (Susanne Tiltmann, Duisburg)

Kraft: Für mich beginnt Bildung schon in der Kita. Darin sind wir uns mit der CDU bisher auch weitestgehend einig gewesen. Deshalb sollten wir uns darum bemühen, dass mehr Kinder in die Kita gehen können und dass es genug Plätze für sie gibt. Das Betreuungsgeld oder die „Herdprämie“, wie Sie sagen, setzt aber den falschen Anreiz, dass Kinder der Kita fernbleiben. Es würde auch keiner auf die Idee kommen, jemandem einen Bonus dafür zu zahlen, dass er nicht ins Museum geht.

Röttgen: Zunächst einmal stört mich der Begriff „Herdprämie“, weil er dem Sachverhalt in keiner Weise gerecht wird. Es geht um Eltern, die sich dafür entscheiden, ihre Kinder zu Hause zu betreuen, statt sie in eine Kindertagesstätte zu schicken. Anders als Frau Kraft setze ich mich vehement dafür ein, dass Eltern die Wahlfreiheit haben, den von ihnen gewünschten Lebensentwurf umzusetzen. Ich bin ausdrücklich gegen eine Kita-Pflicht. Die Eltern müssen über die Form der Kinderbetreuung frei entscheiden können.

Fragen zu den Themen Verkehr/Umwelt und Bundespolitik 

Wie stehen Sie zur Fahrrad-Autobahn? (Claudia Steckenborn, Essen)

Kraft: Der Radverkehr wird immer wichtiger. Daher unterstütze ich grundsätzlich Radwegekonzepte, die helfen, einen Umstieg vom Auto auf das Fahrrad zu erleichtern. Klar ist aber auch, dass alle Beteiligten die finanziellen Rahmenbedingungen sorgsam prüfen müssen.

Wie gehen Sie mit der Dichtheitsprüfung um? Meinen Sie Ihr Statement ernst, Ein- und Zweifamilienhäuser von diesem Gesetz befreien zu wollen? Oder ist das nur Wahlkampf-Getöse? (Siegfried Döring, Duisburg)

Kraft: Wir werden in der kommenden Legislaturperiode eine bürgerfreundliche Lösung erarbeiten. Der Handlungsdruck bei den Ein- und Zweifamilienhäusern ist dabei geringer als beispielsweise in Wasserschutzgebieten.

In Gladbeck gab es einen Bürgerentscheid gegen den Ausbau der B 224 zur A 52. Werden Sie dieses Projekt gegen den Bürgerwillen weiter befürworten? (Anita Porwol, Bottrop)

Röttgen: Mir ist es sehr wichtig, solche Projekte nicht gegen den Willen der Bürger durchzusetzen, sondern gemeinsam zu einer Lösung zu kommen, die die schwierige Verkehrssituation in der Region verbessert.

Kraft: Die Landesregierung hat sich im Vorfeld des Entscheids um eine einvernehmliche Lösung bemüht. Der Bund hatte sich bereit erklärt, den Hauptteil der Kosten für die Tunnellösung zu tragen. Die Bürgerinnen und Bürger haben jedoch dagegen entschieden. Jetzt liegt die Entscheidung beim Rat der Stadt.

Thema Bundespolitik

Herr Röttgen, wollen Sie nicht endlich festlegen, ob Sie im Falle einer Niederlage nach Düsseldorf kommen oder in Berlin blieben? (Hans-Günter Iwannek, Gelsenkirchen)

Röttgen: Ich trete an, Ministerpräsident zu werden, die CDU in die Regierung zu führen. Ich würde es wirklich für falsch halten, im Wahlkampf anzukündigen, Oppositionsführer werden zu wollen.

Fragen zu den Themen Finanzen und Kultur 

Haben Sie ein kulturpolitisches Konzept für die nächsten fünf Jahre? (Prof. Manfred Wolff, 70, Witten)

Kraft: Unser Land verfügt über eine vielfältige Kulturlandschaft, eine lebendige Kunstszene und ein breit gefächertes Angebot kultureller Bildung. So will es auch unsere Verfassung: Land und Gemeinden sind verpflichtet, Kunst und Kultur zu pflegen und zu fördern. Mein Ziel ist es deshalb, auch zukünftig die Kommunen bei ihren kulturpolitischen Aufgaben zu unterstützen. Von zen­traler Bedeutung wird es dabei sein, dass wir die Finanzen der Kommunen in den Griff bekommen, damit sie wieder handlungsfähig werden und Gestaltungsspielräume auch für Kulturangebote erhalten.

Auf welche Weise wird die Landesregierung zur Verstetigung der (Kultur-)Metropole Ruhr beitragen? (Frank Bärenbrinker, Essen)

Röttgen: Durch ein Mentoring bei der stärkeren Vernetzung der Kulturpolitik im Ruhrgebiet und die Initiierung und Förderung von gemeinsamen Projekten der Region. Die geringe Mittelübertragung der rot-grünen Landesregierung an den RVR zur Weiterführung der Ruhr2010 reicht für eine Verstetigung der Kulturmetropole Ruhr bei weitem nicht aus. Es gilt zum Beispiel, die Ruhrtriennale unter stärkerer Einbeziehung lokaler Kulturträger weiterzuentwickeln, Projekte wie SING! und TWINS zu verstetigen bzw. fortzuentwickeln und die Kulturlandschaft Ruhrgebiet als Region der kulturellen Vielfalt zu profilieren.

Thema Finanzen

Wie wollen Sie Kindern erklären, dass im NRW-Haushalt noch mehr Schulden gemacht werden müssen? (Jürgen Dressel, Oberhausen)

Röttgen: Das kann und das will ich auch nicht erklären. Ich trete an, damit die Schuldenpolitik der rot-grünen Landesregierung beendet wird und wir eben nicht noch mehr Schulden machen, sondern durch eine solide Haushaltspolitik bald zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen. Das sind wir unseren Kindern und Enkelkindern schuldig.