Essen. . Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat die Agenda 2010 geplant. Jetzt freut es ihn, dass andere nachziehen. Doch er warnt davor, als Oberlehrer aufzutreten. Im Interview erklärt er, warum er eine Finanzmarktsteuer für wichtig hält - und was ihn an den Piraten stört.

Die SPD will den europäischen Fiskalpakt nicht antasten. Aber sie will den Sparkurs ergänzen, sagt Frank-Walter Steinmeier. Weil „fantasieloses Sparen“ nicht ausreiche, setzt sich der SPD-Fraktionschef im Bundestag für eine Finanzmarktsteuer ein – auch wenn nicht alle EU-Länder mitmachen.

Wird die Frankreich-Wahl die Politik in Berlin verändern?

Frank-Walter Steinmeier: Ich bin überzeugt: Der nächste Präsident Frankreichs heißt Hollande. Die Versuche von Frau Merkel, dem amtierenden Präsidenten Sarkozy Wahlkampfhilfe zu leisten, haben das Gegenteil bewirkt. Ich habe Hollande drei Mal in der letzten Zeit gesehen. Alle Vorurteile, er verstehe Europa nicht, sind eindeutig falsch. Er weiß genau, dass es für sein Land nach dem Wahlkampf notwendig ist, mit Deutschland gemeinsam Politik zu machen. Das wird er tun.

Aber er will ein anderes Europa, eine andere Wirtschaftspolitik als Angela Merkel…

Steinmeier: Er will die Rückführung der Verschuldung, wie die meisten anderen in Europa auch. Ohne diesen Schritt wird der Weg aus der Krise nicht gelingen. Wenn Frau Merkel so tut, als gäbe es da einen großen Konflikt, baut sie einen Popanz auf, um eine Einigung hinterher als Erfolg zu verkaufen. In Wahrheit ist es Merkel, die sich korrigieren wird. Denn fantasieloses Sparen allein reicht eben nicht aus. Wir brauchen auch neues Wachstum, damit Europa wieder auf die Beine kommt. Dazu hat die SPD Vorschläge gemacht, die mit denen Hollandes nahezu deckungsgleich sind. Und Frau Merkel beginnt ja auch schon sich zu bewegen.

Zum Beispiel?

Steinmeier: Erstens: Die Finanzmärkte besteuern, und das nicht nur aus Gerechtigkeitsgründen, denn wir müssen die Wachstumsimpulse finanzieren, ohne neue Schulden machen zu müssen. Zweitens: Den unter der Krise leidenden südeuropäischen Ländern die Chance geben, wachstumsstärkende Projekte aus den europäischen Strukturfonds zu finanzieren. Dazu müssen wir für fünf oder zehn Jahre auf den heute vorgeschriebenen Eigenbeitrag dieser Länder verzichten. Drittens: Die europäische Investitionsbank muss mehr Eigenkapital erhalten. Dann kann sie damit notleidenden Ländern helfen.

Sie sind einer der Väter der Agenda 2010. Die Agenda brachte Deutschland gut durch die Krise. Müssen andere Staaten nicht endlich ähnliche Hausaufgaben machen?

Steinmeier: Gott sei Dank haben die Maßnahmen, die wir vor neun Jahren für den Arbeitsmarkt und für Wachstum und Haushaltskonsolidierung begonnen haben, Wirkung gezeigt. Wir haben den Marsch vom Schlusslicht beim Wachstum bis an die Spitze gemacht. Und deshalb geht die Arbeitslosigkeit zurück! Nicht in jedem Land kann der gleiche Weg aus der Krise gegangen werden und vor allem dürfen wir unseren Rat nicht wie ein Oberlehrer geben. Aber in Europa kommen Lernprozesse in Gang. Man hört in Italien zu, wie Skandinavien und Deutschland sich auf durchaus unterschiedliche Weise von hoher Arbeitslosigkeit und wachsender Neuverschuldung befreit haben.

In Frankreich will man das gerade erst angehobene Renteneintrittsalter schon wieder senken.

Steinmeier: Frankreichs Probleme sind nicht dieselben wie unsere vor neun Jahren. Die Geburtenrate ist höher, Bildung und Betreuung besser. Das demografische Problem ist nicht so drängend wie hier. Sicher wird auch Hollande pragmatisch an die Probleme herangehen. Aber er wird seinen eigenen Weg gehen.

Wie schätzen Sie die Aussichten der SPD für die NRW-Wahl ein?

Steinmeier: Wir kämpfen für eine rot-grüne Regierung in Düsseldorf. Nach den letzten Umfragen haben wir dafür auch gute Chancen.

Trotz des wieder möglich gewordenen Einzugs der FDP in den Landtag?

Steinmeier: Es ist wohl eher die Skepsis der CDU-Wähler gegenüber ihrem Spitzenkandidaten Röttgen, die der FDP einen leichten Zuwachs in den Umfragen verschafft. Nichts anderes.

Bleibt immer noch der Mega-Trend, das Aufkommen der Piraten, das besonders zu Lasten ihres Wunschpartners Grüne geht.

Steinmeier: Wir müssen das natürlich ernst nehmen, denn ein Anteil von zehn Prozent verändert die Möglichkeiten der Mehrheitsbildung. Ich rate der SPD aber, dem nicht kopflos hinterherzulaufen. Wenn eine Partei Verantwortung für das Ganze tragen will, kann sie sich nicht so eindeutig auf Einzelinteressen verlegen, wie es die Piraten beim Urheberrecht tun. Wir können es uns nicht leisten, Künstler um ihr Urheberrecht und eine gerechte Entlohnung zu bringen. Und bei einer Partei wie der SPD wird es auch nicht als schick empfunden, wenn wir zu wichtigen Fragen der Außenpolitik keine Meinung hätten.