Witten / Bochum. Eigentlich ist Jan-Eric Karschuck (25) Pilot. Inzwischen arbeitet er beim Kinderhospizdienst Ruhrgebiet in Witten - auch wegen seiner Schwester.

Jan-Eric Karschuck (25) kann sich noch genau an den Moment erinnern, als seine Mutter den Kinderhospizdienst Ruhrgebiet in Witten angerufen und um Unterstützung gebeten hat. Nicht nur für seine schwerstkranke jüngere Schwester, sondern vor allem für ihn, der als Geschwisterkind oft zurückstecken musste. Unfassbar für den damals Neunjährigen, dass er wenig später bei einem Spiel seines geliebten VfL Bochum im Stadion saß - weil der Verein auch Herzenswünsche gesunder Kinder erfüllt. Diese Erfahrung sollte sein Leben prägen.

Die Geschwisterbegleitung macht nur einen Teil der umfassenden Arbeit des Kinderhospizdienstes aus. Doch für Jan-Eric Karschuck bedeutete sie einen ganz neuen Lebensabschnitt. „Dabei hatte ich eine tolle Kindheit“, betont der Bochumer. Und zunächst war ihm auch gar nicht klar, was der Anruf seiner Mutter bedeutete. „Ich dachte, das wäre eine Gruppe, wo jeder erzählt, wie es ihm so geht“, erinnert er sich. Dass es um Aktionen ging, die Spaß machen und genau auf ihn abgestimmt waren, hat ihn damals völlig überrascht. Doch sie kamen zur richtigen Zeit.

Schulnoten verschlechterten sich

Denn zu Hause stand die Pflege der zwei Jahre jüngeren Schwester, die heute 23 ist, im Mittelpunkt. „Sie kann von Geburt an nicht laufen, nicht sprechen, nicht alleine essen, ihren Speichel nicht schlucken“, sagt der Bruder. Eine genaue Diagnose gibt es nicht. Die Eltern waren rund um die Uhr mit ihr beschäftigt - körperlich und gedanklich. „Meine Mutter musste nachts mehrmals aufstehen, um ihr den Speichel abzusaugen.“

Vernachlässigt hat er sich nie gefühlt. „Das ist das absolut falsche Wort“, sagt Jan-Eric Karschuck. „Aber man entwickelt ein Gefühl dafür, dass man die Eltern mit den eigenen Problemen noch mehr belasten würde.“ Seine Schulnoten verschlechterten sich, sein Selbstwertgefühl sank ins Bodenlose. Als er noch jünger war, hat er gar nicht verstanden, dass er seine Schwester nicht aus dem Krankenhaus mit nach Hause nehmen konnte: „Ich wurde ja auch immer gesund.“

Der Kinderhospizdienst Ruhrgebiet hat seinen Sitz in diesem Haus in Herbede.
Der Kinderhospizdienst Ruhrgebiet hat seinen Sitz in diesem Haus in Herbede. © FUNKE Foto Services | Thomas Nitsche

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Gemeinsamer Urlaub? Schwierig. Und wenn, dann musste die Familie mit zwei Autos fahren, um Platz zu haben für Rollstuhl, Kinderwagen und jede Menge Wäsche. Ausflüge mal allein mit den Eltern? Unmöglich. Und wenn, dann musste extra eine Krankenschwester kommen. „Mit dem Kinderhospizdienst ging das auf einmal, da war auch noch eine Currywurst nach dem Fußballspiel drin.“ Jan-Eric Karschuck fühlte sich völlig befreit vom ständigen Zeitdruck und dem Gefühl, seine Eltern zusätzlich zu belasten. Auch bei der Familienfreizeit auf Norderney, die der Verein alle zwei Jahre anbietet, sind die Karschucks häufig mitgefahren.

Dort auf der Insel hat sich auch Jan-Erics Traum vom Fliegen erstmals erfüllt. Er war gerade 16 Jahre alt, der Flugsimulator seine große Leidenschaft. „Ich dachte, wir machen einen Rundflug.“ Dass er die Maschine dann sogar selbst steuern durfte, „war ein extremes Schlüsselerlebnis für mich“. Noch während er in der Luft war, hat er entschieden: „Ich werde Pilot.“ Dieses Erlebnis und das neue Ziel vor Augen - beides hat ihn stolz und stark gemacht.

Diese Arbeit ist mein Leben
Jan-Eric Karschuck

Den späteren Einstellungstest bei der Lufthansa hat Jan-Eric Karschuck bestanden und die Ausbildung zum Verkehrspiloten absolviert. Er beendete sie während der Coronazeit - und bekam keine Stelle. „Ich habe dann erstmal beim Kinderhospizdienst angefangen.“ Schnell merkte der junge Mann, dass diese Arbeit sein Leben ist: Familien mit lebensverkürzt erkrankten Kindern zu begleiten und im Alltag zu entlasten. „Ich möchte anderen auch ermöglichen, was mir geholfen hat. Das passt mehr zu mir, als Menschen hin und her zu fliegen.“ Inzwischen arbeitet er hauptamtlich für den Verein.

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Lebensfreude und glückliche Momente stehen dabei im Mittelpunkt. „Hier wird nicht viel getrauert. Man sitzt nicht nur am Sterbebett.“ Diese Vorstellung stecke oft nur in den Köpfen Außenstehender. „Die Kinder, die wir begleiten, strahlen so viel Positives aus, davon kann man als Gesunder lernen.“

Auch Jan-Eric Karschuck, der jetzt nebenbei Soziale Arbeit studiert, blickt längst anders auf die Dinge: „Wenn ich mich über irgendwas ärgere und dann zu Hause meine Schwester sehe, wie sie lacht und glücklich ist, dann weiß ich, mein Herz ist hier“ - bei seiner Familie und beim Kinderhospizdienst.

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