Witten. Der Ambulante Hospizdienst begleitet seit 25 Jahren Sterbende in Witten. Ehrenamtliche erinnern sich an berührende, aber auch verrückte Momente.
Seit 25 Jahren gibt es den Ambulanten Hospizdienst Witten-Hattingen in der Ruhrstadt. „Herzstück des Vereins sind die Ehrenamtlichen“, sagen Susanne Gramatke und Andrea Glaremin vom Koordinationsteam. „Sie tun alles dafür, Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten.“ Dabei erleben sie traurige, spannende, erhellende und verrückte Momente. Zwei, die schon lange dabei sind, erinnern sich an Augenblicke ihrer Arbeit – und erklären, warum ihnen der Umgang mit Sterben und Tod wichtig ist.
Auslöser bei Edith Künkler (73), sich im Hospizdienst zu engagieren, war eine persönliche Situation. Ihre zehn Jahre jüngere Schwester war lange krank, irgendwann wurde ihre Lage aussichtslos. Im Krankenhaus sagte sie der Älteren: „Ich will sterben. Aber lass mich nicht allein.“ Edith Künkler hat die Worte noch heute im Ohr. „Mich überkam damals eine große Hilflosigkeit. Ich wollte meiner Schwester nichts versprechen, was ich nicht halten kann.“ Sie hat ihr zunächst einfach die Hand gedrückt.
Knapp 30 Ehrenamtliche in Witten im Einsatz
Als es so weit war, saß Edith Künkler tatsächlich an ihrer Seite. Und stellte fest: „Einen großen Teil meiner eigenen Trauerarbeit hatte ich damit schon erledigt.“ In der Zeitung las sie kurz darauf von der Gründung des Hospizvereins – und machte sofort mit. Auch Elke Hickfang (78) ist von Anfang an dabei. Es sind überwiegend Frauen, die die Menschen – teils über Jahre – in Pflegeheimen, Krankenhäusern und zu Hause begleiten. Die jüngste ist etwa Mitte 40. Rund 80 Ehrenamtliche sind es insgesamt, 25 bis 30 sind in Witten im Einsatz.
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„Es war mir ein Bedürfnis, den Sterbeprozess zu erleben, zu begleiten und meine Erfahrungen weiterzugeben“, sagt Elke Hickfang. Wichtig sei ihr, dass Menschen nicht alleine sterben. An ihre erste Begleitung kann sie sich noch gut erinnern: „Die wollten mich nicht haben. Das war frustrierend.“ Das Ehepaar lebte im Altenheim. Der Frau ging es schlecht. Doch ihr Mann hatte Sorge, eine dicke Rechnung zu erhalten. Dabei ist die Begleitung unentgeltlich. Schließlich starb der Mann noch vor der Frau, die Elke Hickfang insgesamt sieben Jahre betreute.
Konfession spielt keine Rolle
Nicht jeder will in dieser besonderen Situation jemanden um sich haben. Doch wenn, dann müsse man sich langsam herantasten und versuchen, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. „Wir wissen ja gar nicht, ob der oder die Betreffende überhaupt auf den Tod angesprochen werden will“, sagt Elke Hickfang.
Die Konfession spiele keine Rolle. Glaube manchmal schon. Auch Vorstellungen vom Jenseits. Und jeder Sterbende empfinde natürlich anders. „Manche haben Angst, manche reagieren gelassen, viele schlafen friedlich ein.“ Oft, so die 78-Jährige, sitzt man auch einfach nur dabei oder liest etwas vor. Krimi oder Bibel, was eben gewünscht wird.
Fußballergebnisse und lauter Gesang
Jubiläumsfeier am Welthospiztag
Der Ambulante Hospizdienst Witten-Hattingen feiert sein 25-jähriges Bestehen in der Ruhrstadt an diesem Samstag, der außerdem Welthospiztag ist, mit einem Theaterstück: Christel Johanna Witte und Reinhard Hofmann vom Rock-Figuren-Theater bringen das Märchen vom „Gevatter Tod“ auf die Bühne der Pop-Akademie. Der Abend ist bereits ausverkauft.
Der Ambulante Hospizdienst Witten-Hattingen wurde 1998 als „Hospiz-Initiative Witten“ im Mutterhaus des Diakoniewerkes Ruhr Witten gegründet. Die damalige Oberin Marianne Anschütz übernahm den Posten der Vorstandsvorsitzenden, den sie bis heute ehrenamtlich innehat. 2003 bildete sich durch Zusammenschluss mit „Omega“ aus Hattingen der Ambulante Hospizdienst Witten-Hattingen.
Der Verein bietet nicht nur Sterbebegleitung, sondern auch ein Trauercafé und beteiligt sich an der Aktion „Hospiz macht Schule“. Er ist zudem Teil des Palliativnetzes Witten. Weitere Infos: 0174 9 72 62 65 oder https://ahd-wh.de/
Sie habe mal eine Jugendliche bereut, erzählt Edith Künkler. „Das ist mir schon nahegegangen.“ Ansonsten schaffen sie es in der Regel, innere Distanz zu halten. Die meisten, die sie begleiten, sind doch alt und krank, liegen schon wochen- oder gar monatelang im Bett. „Ich finde es schön, wenn jemand lebenssatt ist. Schwieriger wird es bei jenen, die sich ans Leben klammern“, sagt die Ehrenamtliche. Manchmal werden sie auch um Sterbehilfe gebeten: „Geben Sie mir was.“
Situationen, in denen Menschen in der Sterbephase allein zu Hause sind, nehmen zu, sagt Andrea Glaremin (62). „Wir müssen dann erstmal ein Netz spannen. Manchmal sind wir sowie der Pflege- und der Palliativdienst die einzigen Ansprechpartner für diese Menschen.“ Das Engagement der Ehrenamtlichen sprenge dann häufig den normalen Rahmen, lobt sie. Aber auch im Krankenhaus könne dies vorkommen. So haben sie einen Patienten ohne Angehörige drei Mal am Tag im Marien-Hospital besucht.
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Auch auf die Hospizhelferinnen selbst hat die Arbeit Einfluss. „Man ändert seine Einstellung zu anderen Menschen, wird sensibler im Umgang mit ihnen, baut vorgefasste Meinungen ab“, sagt Elke Hickfang und erinnert sich daran, wie entsetzt sie über die Frau im roten Flatterhemdchen war, die immer einen Spiegel und Lippenstift zur Hand hatte. „Irgendwann dachte ich: Warum nicht? Wenn sie Freude daran hat.“
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Niemand, betont Susanne Gramatke (63), muss über seine Grenzen gehen. Viele nehmen auch einfach schöne und berührende Erinnerungen mit. Wenn der VfL-Bochum-Fan noch die Fußballergebnisse abwartet, die die Hospizhelferin ihm mitteilt, und dann in der Nacht verstirbt. Wenn Elke Hickfang mit einer Frau „Hoch auf dem gelben Wagen“ schmettert. Wenn jemand fragt: „Bin ich schon tot? – auch das kommt vor.
Susanne Gramatke denkt gern an die demente Frau zurück, die kaum noch sprach. „Sie setzte sich mit einem strahlenden Lächeln im Bett auf, winkte mir zu, sagte ,Auf Wiedersehen’ – und starb.“