Witten. Sie ist seit ihrer Geburt gelähmt. Trotzdem genießt eine 35-Jährige ihr eigenständiges Leben in einer Wittener WG. Ihre Geschichte macht Mut.

Kristina Stolz wohnt in einer WG an der Kesselstraße. Sie hat dort ihr eigenes Zimmer, wäscht ihre Wäsche, bringt den Müll raus oder gießt die Blumen, wenn sie an der Reihe ist. Alles ganz normal eigentlich. Doch die 35-Jährige hat eine schwere körperliche Behinderung und sitzt im Rollstuhl. Lange hat sie in einer stationären Einrichtung mit Rundum-Versorgung gelebt. Inzwischen beginnt sie, ihre wachsende Selbstständigkeit zu genießen.

Die junge Frau ist seit ihrer Geburt spastisch gelähmt und auf Hilfe angewiesen. Bis sie 16 Jahre alt war, hat sie zuhause bei ihrer Familie in Hamm gelebt. Dann zog sie um in ein Heim der Evangelischen Stiftung Volmarstein – heute verwendet man für solch ein Haus den Begriff „besondere Wohnform“. „Ich musste nicht dorthin“, stellt Kristina Stolz klar. Keiner habe sie gezwungen.

Von zuhause zog die 35-Jährige zuerst in ein Heim

Aber mit ihrer Mutter habe sie darüber gesprochen, was passiert, wenn diese sich irgendwann vielleicht nicht mehr um sie kümmern kann. „Dann hätte ich ganz schnell irgendwo unterkommen müssen.“ Doch so habe sie sich in Ruhe überlegen können, wo der Weg hinführen soll. Kristina Stolz hat sich für Volmarstein entschieden. Die Umstellung sei nicht leicht gewesen, erinnert sie sich. Doch bald wurde der Ort für sie zu einem zweiten Zuhause.

Vor dem markanten Haus in der Wittener Kesselstraße, wo Kristina Stolz wohnt: Dirk Rottschäfer (li., Geschäftsbereichsleiter der Ev. Stiftung Volmarstein) und Volker Polednik (Betreutes Wohnen).
Vor dem markanten Haus in der Wittener Kesselstraße, wo Kristina Stolz wohnt: Dirk Rottschäfer (li., Geschäftsbereichsleiter der Ev. Stiftung Volmarstein) und Volker Polednik (Betreutes Wohnen). © FUNKE Foto Services | Barbara Zabka

Immerhin hat sie dort 15 Jahre verbracht, in dieser eigenen Welt. Kristina Stolz arbeitet noch immer in der Werkstatt der Stiftung, wo sie Sicherungen sortiert. Doch mit dem gesellschaftlichen Ruf nach mehr Inklusion hat sich inzwischen die Betreuungsform gewandelt – weg von der stationären Unterbringung hin zum ambulant betreuten Wohnen. Es soll den Menschen mehr soziale Teilhabe ermöglichen. Auch bei der jungen Frau reifte vor vier Jahren der Wunsch, eigenständiger zu leben.

Eigenes Zimmer in einer WG an der Kesselstraße in Witten

Heute sitzt sie zufrieden in ihrem Zimmer mit eigenem Bad und Balkon in dem grasgrünen Haus an der Kesselstraße, wo die Stiftung Volmarstein barrierefreie Wohngemeinschaften anbietet. Vor dem Fenster steht ein Wäscheständer. An den Wänden hängen unzählige Bilder. Sofa, Regale und Bett hat Kristina Stolz mit bunten Kuscheltieren dekoriert. Auf dem Tisch stehen Teepackungen. Die Sorte Schoko trinkt sie am liebsten. Das heiße Wasser dafür holt sie sich in der Küche. Eigentlich erinnert nur das Spezialbett mit Griff und Lifter daran, dass die junge Frau bei manchen Dingen weiterhin auf Hilfe angewiesen ist.

Zwei neue WGs eröffnen bald

Die Ev. Stiftung Volmarstein kümmert sich um die Vermietung der Wohnungen und die Betreuung der WG-Bewohner an der Kesselstraße. In Witten betreibt die Stiftung noch Haus Buschey (Bommern) und die Anlage Preinsholz (Annen). Im September wird sie zwei neue WGs an der Wengernstraße in Bommern eröffnen.

Immer mehr Menschen mit Behinderung leben in ambulant betreuten WGs oder Wohnungen, sagt Geschäftsbereichsleiter Dirk Rottschäfer. Im EN-Kreis und Hagen hält die Stiftung 164 stationäre Plätze vor, während 230 Menschen von ihr ambulant betreut werden. In Witten sind es 60.

Kristina Stolz geht nun schlafen, wann sie will. Sie hört Musik, wann sie will. Sie isst gemeinsam mit den anderen oder auf ihrem Zimmer – wie sie gerade mag. Witten kannte sie vorher nicht. Anfangs war sie deshalb unsicher und nur in Begleitung unterwegs.

Allein mit dem E-Rolli in die Wittener City

Inzwischen traut sie sich mit ihrem E-Rolli allein in die Stadt. Hat nicht mehr so viel Angst vor Hindernissen, die ihr die Fahrt erschweren. Bei einer Freizeit in den Bergen habe sie gelernt, mit extremen Situationen im Rolli umzugehen. In der Stadt können das ungünstig parkende Autos sein oder Sperrmüll, der im Weg steht. Kein Grund mehr für Kristina Stolz, auf einen Besuch in Pauls Imbiss an der Bahnhofstraße zu verzichten. „Der schneidet mir sogar das Schnitzel“, freut sie sich.

Einen Traum hat Kristina Stolz noch. „Wenn ich keine Behinderung hätte, würde ich am liebsten bei Starlight Express mitmachen.“ Zehn Vorstellungen hat sie schon gesehen. Und wie wäre es mit einer eigenen Wohnung? „Vielleicht, wenn ich mal einen Partner habe.“ Jetzt sei sie erst mal zufrieden mit all den Möglichkeiten. Denn sie weiß: „Wenn ich damals zuhause in Hamm geblieben wäre, hätte mein Leben nur aus Arbeit und Zimmer bestanden.“