Witten. Der Kinderhospizdienst Ruhrgebiet begleitet Familien mit schwerkranken Kindern. In der Pandemie sind sie stark belastet und „längst am Limit“.
Die Pandemie setzt uns allen zu. Wir sehnen uns danach, ins Café zu gehen, durch Läden zu bummeln. Diese Normalität bleibt Eltern von Kindern, die schwer krank sind, häufig verwehrt. „Sie sind ständig Extrembelastungen ausgesetzt“, sagt Birgit Schyboll, Initiatorin und Vorsitzende des Kinderhospizdienstes Ruhrgebiet mit Sitz in Witten-Herbede. Der Verein besteht jetzt seit 20 Jahren – und hat wegen Corona eines der schwersten Jahre hinter sich.
„Ich sehe, wie stark Familien belastet und längst am Limit sind“, so Schyboll. Denn die Unterstützung im Alltag, die der Kinderhospizdienst sonst leistet, sei in dieser Krisenzeit kaum möglich. Normalerweise gehen die geschulten ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter für ein paar Stunden am Tag in die Familien. Die notwendigen Atempausen, die sie den Eltern damit schenken, fielen jetzt weg.
Schyboll erzählt von dem Kind, das mehrmals Unterstützung in der Nacht braucht, und dessen Mutter sonst so froh gewesen sei über ein, zwei Morgenstunden, die sie durch die Hilfe des Vereins für sich beanspruchen konnte. Oder von jenem Kind, das kein Gefahrenbewusstsein hat. War es sonst bis zum Nachmittag in der Förderschule, ist es jetzt zuhause. Schyboll weiß: „Die Mutter kann das Kind keinen Moment alleine lassen, nimmt es zur Sicherheit mit ins Bad, wenn sie duschen geht.“
Natürlich tut der Kinderhospizdienst trotzdem, was er kann. „Wir versuchen, unglaublich kreativ zu sein“, sagt die Vorsitzende. Einkäufe können sie den Familien weiterhin abnehmen. Die vollen Taschen werden an die Haustüren gehängt. Anfragen an Krankenkassen können sie stellen. Die Seelsorge übers Telefon nimmt einen hohen Stellenwert ein. „Damit signalisieren wir den Familien, dass wir weiterhin für sie da sind. Ich habe noch nie so viel telefoniert.“ In absoluten Notfallsituationen, sagt Birgit Schyboll, „schütze ich mich und fahre trotzdem raus“.
50 bis 60 Veranstaltungen machen sie sonst pro Jahr: Familienfreizeiten, Wellnesstage, aber auch verschiedene Feste, auf denen sie Geld sammeln. Das alles falle weg – und damit auch ein großer Teil der Spenden, über die sich der Verein zu 90 Prozent finanziert.
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Ehrenamtliche gesucht
Das eindrucksvolle Gespräch mit einer jungen Mutter, deren beide Kinder unheilbar erkrankt waren, bewegte Birgit Schyboll dazu, vor über 20 Jahren einen Freundeskreis in Herbede aufzubauen, der junge Familien in ihrem Alltag unterstützt. Im Jahr 2001 gründete sie dann den ersten ambulanten Kinderhospizdienst im Ruhrgebiet. Inzwischen gibt es bundesweit 140 ambulante Einrichtungen.
Der Verein begleitet ab der Diagnosestellung – zum Teil mehrere Jahre lang. 40 Familien aus Witten und Umgebung nehmen diese psycho-soziale Alltagshilfe aktuell in Anspruch. Rund 40 Ehrenamtliche sind im Einsatz. „Aber wir brauchen noch mehr, die vier Stunden Zeit pro Woche verschenken“, sagt Schyboll. Es dürften auch gern ein paar mehr Männer darunter sein. Wer Interesse hat, kann sich melden: 02302-277719.
Um den Kindern wenigstens eine kleine Freude zu machen, ist Birgit Schyboll vor Weihnachten in Begleitung zweier Musikstudenten zu jeder Familie gegangen. Sie haben vor der Tür Weihnachtslieder gesungen und eine Überraschung überreicht. Jetzt, vor Ostern, färbt eine Schulpraktikantin Eier und bastelt kleine Körbchen. Im September plant der Kinderhospizdienst eine Benefiztour „vom Pott zum Deich“ – „wenn wir alle geimpft sind“. Ja, wenn. „Aber im Moment tut es einfach gut, etwas Positives vor Augen zu haben.“
Und dann sind da ja auch noch die Herzenswünsche, die der Kinderhospizdienst mit Hilfe von Sponsoren zu erfüllen versucht. Zweimal schon haben sie es Kindern ermöglicht, Ex-BVB-Trainer Jürgen Klopp zu treffen, oder Fußballspieler des VfL Bochum. Weil ein Besuch von Disneyland in Paris gerade nicht geht, haben sie einfach eine Litfaßsäule mit Bildern plakatiert, die das Kind von dem Vergnügungspark gemalt hat. „Diese Herzenswünsche haben einen hohen Stellenwert bei den Kindern. Sie stehen für die Lebensfülle, die sie in ihrem verkürzten Zeitfenster erleben wollen“, so Schyboll.
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Zu Ostern dürfen die Kinder dem Verein wieder drei Wünsche mitteilen. Sie stehen auf den roten Papierherzen, die nun am Zaun vor dem Gebäude des Hospizdienstes in Herbede hängen. Manchmal sind diese Wünsche gar nicht so groß. Manchmal reicht eine Polizeitasse oder ein Feuerwehrauto. Oder: mit Freunden spielen, schwimmen gehen, ein Zoobesuch. Und auch dieser Wunsch ist mit dabei: dass Corona endlich weggehen soll.