Witten. An Wittener Brennpunktschulen sollen künftig 26 Kinder pro Klasse ins Schulleben starten. Doch das wird sich oft nicht halten lassen. Die Gründe.
An den Grundschulen in Witten, an denen sich soziale Probleme ballen, sollen im kommenden Schuljahr nur noch maximal 26 Kinder pro Klasse ins Schulleben starten. So hat es die Stadt als Schulträger beschlossen. Die Brennpunktschulen sollen damit entlastet werden. Denn dort lernen zum Beispiel viele Kinder mit schlechten Sprachkenntnissen das Lesen, Schreiben und Rechnen. Doch ein Blick auf die Anmeldezahlen zeigt große Unterschiede, vor allem zwischen den innerstädtischen Schulen.
Die neue Regelung gilt für die Baedeker- und die Erlenschule in Annen, die Hellwegschule in Heven sowie für die Gerichts-, Bredde-, Crengeldanz- und Bruchschule in Mitte. Während an der Gerichtsschule laut Statistik des Schulamts bislang 26 i-Dötzchen pro Klasse gemeldet sind und an der Breddeschule (auf eigenen Wunsch) 27 Kinder pro Klasse lernen werden, sind es an der Bruchschule 22, an der Crengeldanzschule gar nur 19 Mädchen und Jungen. Wie es zu diesem Ungleichgewicht kommen kann, fragt sich auch die Grünen-Fraktion im Rat und hat eine entsprechende Anfrage an den Bürgermeister geschickt.
Anmeldezahlen an Brennpunktschulen in Witten schwanken stark
Doch die reale Situation an den Schulen lässt sich nicht auf diese Zahlen reduzieren. Beispiel Crengeldanzschule. Die vermeintlich sehr niedrige Klassenstärke werde sich definitiv erhöhen, sagt Schulleiterin Julia Pauls. „Pro Klasse kommen vier Wiederholer dazu.“ Gleichzeitig fehlen auch noch Anmeldungen von i-Dötzchen, die im Einzugsgebiet leben. „Wir müssen immer hinterhertelefonieren, kämpfen“, sagt die 48-Jährige. Manche Eltern würden sich erst nach dem dritten Schreiben inklusive Androhung eines Bußgeldes bei der Schule zurückmelden.
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Eigentlich, so Pauls, sei ihre Liste der Kinder, die die Crengeldanzschule besuchen könnten, immer lang. „Aber unser Einzugsgebiet schreckt auch ab, manche Eltern sagen das ganz offen.“ Soll heißen: Wer es sich leisten kann, schickt Tochter oder Sohn etwa auf eine der beiden Waldorfschulen in Witten oder Bochum-Langendreer. Das passiere häufig. Oder aber, der Nachwuchs wird an der Pferdebachschule oder einer anderen Wittener Grundschule angemeldet, die einen besseren Ruf hat. „Es ghettoisiert einfach“, so Pauls. Dabei mache ein hoher Anteil deutscher Muttersprachler noch keine gute Schule aus.
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Mit ähnlichen Probleme hat es Susanne Daum von der Bruchschule zu tun. „Drei Kinder haben wir noch nicht gefunden“, sagt die Rektorin. Hinzu kämen Kinder, die eigentlich nicht schulfähig seien, aber auch keinen Kita-Platz hätten. Bei anderen sei noch unklar, ob sie überhaupt eine Regelschule besuchen könnten. Gleichzeitig wurden schon vier i-Dötzchen nachträglich gemeldet, die ins Einzugsgebiet gezogen sind oder ziehen werden. Auch im laufenden Schuljahr passiert das häufig.
Sozial schwache Familien siedeln sich eher in der Innenstadt an, wo Wohnraum günstig ist
Flüchtlingsfamilien oder Familien mit geringem Einkommen, die sich in der Ruhrstadt niederlassen, würden das eben in der Innenstadt tun – und nicht in Stockum oder Buchholz, so Daum. Das spüren alle innerstädtischen Schulen. Hinzu kommt die hohe Dichte an Wohnraum – und damit auch an Kindern. Gleichzeitig sei die Zahl der Wiederholer an den Problemschulen hoch. „Unsere Klassen werden immer proppenvoll sein“, sagt Daum.
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Auch darum sei eine noch weitere Begrenzung der Klassengrößen in den Brennpunktschulen keine Lösung, sogar „utopisch“, findet Dörthe Diefenbruch, Sprecherin der Grundschulrektorinnen und -rektoren. Schließlich hätten die Eltern freie Schulwahl. „Wir versuchen immer die Eltern zu beraten und zwischen den Schulen zu verteilen“, so die Leiterin der Pferdebachschule. Doch die Entscheidung liege eben bei den Erziehungsberechtigten.
„Die Stadt sieht unsere Probleme und versucht gegenzusteuern, etwa durch die Begrenzung auf 26 Kinder“, sagt Diefenbruch. Doch das entlaste nicht genug. Eine Lösung könne ein organisierter Schülertransport zu anderen Schulen sein – oder mehr Unterstützung durch zusätzliche Lehrerstunden, ein Mehr an Sozialpädagogen. „Aber da steckt der leer gefegte Markt die Grenzen. Wir sind komplett am Ende der Fahnenstange.“
Brennpunktschulen werden zu Familiengrundschulzentren
Seit August ist die Crengeldanzschule ein Familiengrundschulzentrum. Schüler, Eltern und Lehrkräfte kümmern sich gemeinsam darum, das Beste aus dem Lernort zu machen. Oftmals stünden Eltern mit Migrationshintergrund der Schule skeptisch bis ablehnend gegenüber, sagt Rektorin Pauls. Das soll sich ändern. „Denn der Lernerfolg der Kinder hängt von den Eltern ab.“
Auch die Breddeschule ist im Dezember 2022 offiziell als Familienzentrum eingeweiht worden. Die Gerichtsschule soll noch in diesem Jahr folgen. Zwei weitere Grundschulen befinden sich in der Vorbereitungsphase. Angeschoben werden die Projekte mit Fördermittel des Landes in Höhe von 70.000 Euro pro Jahr. Die Stadt hofft auf eine dauerhafte Finanzierung aus Landesmitteln.