Witten. Ahoi, Frau Kapitänin! Denise Mang ist die einzige Frau, die die Ruhrtalfähre in Witten steuert. Die 29-Jährige verrät, warum es ihr Traumjob ist.
Sanft gleitet die „Hardenstein“ durch das milde Abendlicht. Es geht ein leichter Wind und die Sonne versinkt bald über den Ruhrwiesen. Entspannt sitzt Denise Mang auf dem hohen, gut gepolsterten Hocker und schiebt die schwarzen Hebel vor sich hin und her. Backbord, Steuerbord, vor und zurück. Die 29-jährige, gebürtige Herdeckerin steuert mit einem Patent als Schiffsführerin die Ruhrtalfähre. Wir sprachen mit der einzigen Frau an Bord über Traumjobs, Hartz IV und Eisvögel.
Das fühlt sich hier bei Ihnen fast wie Urlaub an, Denise. Haben Sie Ihren Traumjob gefunden?
Ganz ehrlich: Ich will hier nicht wieder weg. Du siehst so viele Tiere, Nutrias, Eisvögel, Wasserschlangen, auch Kornweiden und Mäusebussarde. Ich bin sogar in meiner Freizeit hier. Am besten finde ich die Eisvögel. Sie brüten nur an Stellen, die sauber sind. Das Gewässer hier ist mit „gut“ bewertet (r: Die „Hardenstein“ verkehrt auf der Ruhr zwischen der Burgruine und dem Anleger in der Nähe des Schleusenwärterhäuschens in Heven).
Bevor Sie 2019 angefangen haben, hatten Sie da auch schon so ein enges Verhältnis zur Natur?
Ich interessiere mich grundsätzlich für alles. Am Allerschönsten sind übrigens die Sonnenuntergänge. Ich habe oft Spätschicht.
Müssen Sie überhaupt noch in Urlaub fahren?
Nee, das ist wie Urlaub. Ich sag immer: Ich bin für meine Ruhe an der Ruhr.
So leicht, wie es aussieht, ist es dann aber doch nicht. Sie müssen als Schiffsführerin ja auch eine Menge beachten und haben viel Verantwortung.
Ja, man muss schon aufpassen. Am Wochenende kommen an einem Tag 1000 Radwanderer oder mehr an Bord. Jetzt im Sommer sind auch viele Kanus auf dem Wasser und die Leute gehen in der Ruhr schwimmen. Dem Kanufahrer da vorne zum Beispiel habe ich gerade gesagt, dass er durchfahren kann. Normalerweise habe ich Vorfahrt. Ich könnte dann auch dreimal ein Signal geben.
Sie können dank einer Kamera auch sehen, was hinten los ist...?
Ja, außerdem gibt es noch den Decksmann, der immer mit an Bord ist. Vier Augen sehen mehr.
Was ist noch bei der kurzen Überfahrt zu beachten?
Ich darf zum Beispiel nicht rückwärts in den Kanal reinfahren und muss einmal um die Schleuse herum. Es kann auch sein, dass ein Kanufahrer hinter einem ist oder ein Schwimmer zu weit rausschwimmt.
Wie bremsen Sie denn das Schiff?
Wenn ich vorwärts fahre und gleichzeitig Rückwärtsschub gebe, bremse ich ab. Wenn ich die Hebel geradestelle, bin ich im Leerlauf. Wenn ich zurückgesetzt habe und die Schnauze wieder flussaufwärts zeigt, lass ich das Schiff einen Moment zum Ufer hin treiben, auch um den Motor zu schonen. Dann können die Leute ganz in Ruhe die Burgruine sehen, oder die Schwalbe, wenn sie vorbeifährt. Sie hat immer Vorfahrt, wir müssen ausweichen.
Durften Sie die Ruhrtalfähre gleich von Anfang an steuern?
20 Tonnen schweres Schiff
Die große Ruhrtalfähre, benannt nach der Burgruine Hardenstein, hat eine Länge von 15,4 Metern, eine Breite von 4,6 Metern und 0,7 Meter Tiefgang. Sie befördert seit 2010 (die kleine davor schon seit 2006) vor allem Nutzerinnen und Nutzer des Ruhrtalradwegs von eínem Ufer ans andere Ufer. Betrieben wird das 20 Tonne schwere Schiff von der Wabe, dem Wittener Verein für Arbeit und Beschäftigungsförderung.
Mit Denise Mang gibt es fünf Schiffsführerinnen und Schiffsführer sowie fünf weitere Ehrenamtliche, die die Fähre steuern.
Ich hatte damals den Chef, Christoph Heemann angesprochen (Anm.d.Red.: den damaligen für den Fährbetrieb zuständigen Wabe-Mitarbeiter, der leider viel zu früh verstorben ist), ob ich einen Führerschein machen kann. Das ging dann unter anderem wegen Corona erst später. Aber vorher durfte ich zusammen mit einem Schiffsführer auch schon mal fahren. Ich war aber von Anfang an „Decksfrau“, also vorne an der Kette, diejenige, die das Deck abspritzt usw...
War die Prüfung zur Schiffsführerin schwer, die Sie vor zwei Monaten „mit Bravour“ abgelegt haben?
Nein, das ist nicht mit dem Autoführerschein zu vergleichen. Man muss einmal hin- und herfahren, der Prüfer guckt, ob man das Anlegen mittig zum Anleger schafft, und sich richtig verhält, wenn es heißt „Mann über Bord“. Bei der Theorie muss man was über Binnengewässer wissen und auch speziell etwas über diesen Teil der Ruhr.
Was denn genau?
Wir befinden uns in einem Naturschutzgebiet. Man muss auf Abstand zum Ufer bleiben und darf nicht willkürlich irgendwo anlegen, weil hier überall Fische und Vögel ihre Nester haben.
Wird das nicht langweilig, zigmal am Tag die gleiche Strecke zu fahren?
Nein, jede kleinste Überfahrt ist immer wieder anders. Das hängt auch davon ab, wie viele Leute an Bord sind, wie der Wind gerade ist, oft haben wir hier auch ganz unterschiedliche Strömungen und Unterströmungen.
Wie reagieren die Fahrgäste auf Sie als Frau am Steuer? Das sieht man ja nicht so oft auf einem Schiff.
Tatsächlich fällt das vielen auf, gerade den älteren Herren, aber auf eine nette Art. Sie rufen dann „Frau Kapitänin“ und finden das alle super.
Sie laufen übers Jobcenter und bekommen Hartz IV. Wie sind Sie in diese Situation gekommen?
Ich bin ganz früh Mutter geworden, mit knapp 18, und war mit drei Kindern zuhause. Erst später, als ich wieder arbeiten konnte, war für mich klar: Das muss was mit Natur sein.
Hatten Sie früher eine andere Ausbildung gemacht?
Nein, leider nicht. Als das erste Kind zwei war, habe ich meinen Hauptschulabschluss nachgeholt.
Wie kamen Sie eigentlich auf die „Hardenstein“?
Ich wusste als begeisterte Radfahrerin von der Wabe und deren Zusammenarbeit mit dem Jobcenter. Und dann war 2019 eine Stelle frei.
Ist das für Sie mehr als eine Eingliederungsmaßnahme?
Ja! Man könnte mir einen Job mit viel mehr Geld anbieten, ich würde definitiv hier bleiben. Was viele übrigens verrückt finden.
Was sagen Ihre Kinder zur Mama als Kapitänin?
Die finden das alles cool. Der Älteste kommt mich in der Ferienzeit auch hier besuchen.
Dürfen Sie als Hartz-IV-Empfängerin das Geld behalten, das Sie auf dem Schiff dazuverdienen?
Ja, ich bin momentan noch auf 1,80, kriege also 1,80 Euro die Stunde vom Jobcenter. Ich muss im Jahr aber eine Pause von drei Monaten einhalten, darf also nicht zu oft hier sein.
Hoffen Sie irgendwann einmal auf eine feste Stelle?
Ja, dass ich dann für die Wabe direkt arbeiten kann. Aber es gibt nicht so viele Verträge. Jetzt, wo ich den Führerschein habe, hoffe ich auf einen 16i-Vertrag, meist gilt der dann erst mal für zwei Jahre. Dann wäre natürlich eine Verlängerung klasse.
Sie scheinen ein Typ zu sein, den nichts so schnell aus der Fassung bringt.
Ja, das ist auch wichtig, wenn man am Steuer sitzt. Man muss ein Gefühl für das Schiff haben und eine gewisse Ruhe entwickeln.
Letzte Frage, Denise. Was wünschen Sie sich für sich selbst und die Zukunft?
Gesund und munter zu bleiben.