Oberhausen. Nach 48 Jahren Dienst für Oberhausen hat Kämmerer Bernhard Elsemann am Mittwoch den letzten Arbeitstag im Rathaus.

Herr Elsemann, Sie haben 13 Jahre als Kämmerer mit Sparpaketen gegen die Oberhausener Finanzmisere angekämpft. Nun gehen Sie nach 48 Jahre langer Arbeit für die Stadt in Rente. Sind Sie froh, dass Sie die Bürde endlich los sind?

Bernhard Elsemann: Einerseits war es eine Bürde, aber es war auch eine sehr spannende Aufgabe. Denn der moderne Kämmerer ist nicht mehr wie früher der rein buchhalterische Typ, sondern er weiß, dass hinter jeder Zahl Menschen und Aufgaben stehen. In Oberhausen kann man zeigen, dass man auch in einer armen Stadt viel bewegen kann. Das ist sehr reizvoll.

Trotz all Ihrer Sparbemühungen ist Oberhausen die höchst verschuldete Stadt Deutschlands. Müssen Sie nun eingestehen, dass all Ihre Arbeit vergeblich war?

Elsemann: Ich fühlte mich oft wie Sisyphos, der den Stein nach oben auf den Berg rollt und die Spitze niemals erreicht …

… wobei Ihr Berg auch noch wuchs.

Elsemann: Richtig. Wenn man die Arbeitsbilanz bewerten will, muss man die Ausgangslage und den Zustand der Stadt berücksichtigen. Oberhausen hat die Hälfte aller Arbeitsplätze verloren, das riss ein ungeheures Einnahmeloch – und viel Speck hatte die Stadt noch nie gehabt, um Rückschläge zu verkraften. Man könnte eine verbesserte Haushaltslage schaffen, hätte dann aber kaputte Schulen, Straßen, Sportplätze und sozial abgedriftete Stadtteile. Dies haben wir hier verhindert. Trotz der hohen Schulden stellt mich deshalb meine Arbeitsbilanz in ihrer Gesamtheit zufrieden.

Ein Grund für das Finanzdesaster Oberhausens ist sicher, dass Bund und Land den Städten hohe Soziallasten aufgebürdet haben, ohne die Kosten ausreichend zu übernehmen. Doch war die Stadt selbst nicht zu verschwenderisch?

Elsemann: Nein, das würde ich nicht sagen. Als damals die Arbeitsplätze wegbrachen, standen viele Menschen auf der Straße. Und da hat Oberhausen für diese Menschen Arbeitsplätze geschaffen – in der Verwaltung, als Hausmeister, als Reinigungskräfte. Dieser Stellenausbau war nicht überall wirklich notwendig. Dies hat aber zur sozialen Stabilisierung hier beigetragen. Und natürlich hat es in jeder Stadt Projekte gegeben, die anfangs nach einer guten Idee klangen und dann aber doch nicht den angestrebten Erfolg brachten.

Was waren hier die größten Oberhausener Fehler?

Elsemann: Auch wenn ich länger nachdenke, fällt mir kein echter Flop ein. Viele Dinge, wie etwa die kostenträchtige Infrastruktur für die Neue Mitte inklusive der teuren Nahverkehrs-Trasse, waren für das Centro notwendig. Auch der schnelle Ganztagsausbau der Schulen für eine bessere Bildung unserer Kinder war sinnvoll. Mir gefällt der Spruch: Besser leere Kassen als leere Köpfe.

Nun schrumpft diese Stadt schon seit langem. War die Stadt zu zögerlich beim Rückbau von Angeboten: Hat Oberhausen nicht viel zu viele Schulen, Kindergärten, Stadtbüchereien, Verwaltungsstellen, Buslinien und städtisches Personal?

Elsemann: Eine schnellere Reaktion auf die demografische Entwicklung ist schwierig. Viele Städte im Ruhrgebiet waren auf Bevölkerungswachstum eingestellt. Einen Ozeandampfer kann man nicht so einfach drehen. Doch wir müssen jetzt auf die Schrumpfung der Einwohnerzahlen energisch reagieren: Das machen wir, wie man jetzt unter anderem an den zwangsläufigen Schulschließungen sieht. Wir müssen auch die Stadt zentraler als bisher organisieren.

Wie beurteilen Sie die Sparmentalität in dieser Stadt? Gibt man nach 25 Jahren Haushaltskonsolidierung immer noch das Geld zu sorglos aus?

Elsemann: Nein, sorglos mit Sicherheit nicht. Wir haben eine Sparkultur in der Stadtverwaltung verankert – aber wir sparen nicht um jeden Preis. Mir gefällt die Idee der Landesregierung der vorsorgenden Bildungs- und Sozialpolitik, die ich früher mit dem Beispiel beschrieben habe: Wenn wir ein Jugendheim schließen und keine Jugendferienspiele mehr anbieten, dann gehen Jugendliche oft auf die Straße, machen Unfug, in etlichen Fällen entstehen am Ende Kosten für Heim- oder gar Gefängnisplätze. Das ist alles viel teurer als das Jugendheim weiter zu betreiben.

Dient denn der Begriff „vorsorgende Sozialpolitik“ nicht eher als Freibrief, beliebig viel Geld auszugeben?

Elsemann: Nein, dazu darf es nicht kommen. Man muss diese Ausgaben sehr diszipliniert begleiten und stetig überprüfen, ob man auf dem richtigen Pfad ist. Aber man muss eine Zeit lang doppelt Geld ausgeben: Die heutigen Sozialleistungen für Bedürftige zahlen und gleichzeitig mehr Geld in Bildung investieren, um diese Transferleistungen in Zukunft zu verhindern. Dann spart man langfristig Geld.

Beim Rathaus-Personalbestand hat man nicht den Eindruck eines großen Spareifers. So werden aktuell nur 3,5 Stellen von über 2000 Stellen abgebaut. Versetzungen überflüssiger Stadtbediensteter in die Bereiche mit hohem Arbeitsbedarf werden nicht durchgesetzt.

Elsemann: Unsere Bediensteten sind multifunktional ausgebildet und müssen in Zukunft stärker damit rechnen, auch in weniger beliebten Ämtern mit viel Arbeit und Publikumsverkehr eingesetzt zu werden. Das ist für den Einzelnen keine Strafe, sondern auch eine Chance, Neues zu lernen. Stadtbedienstete haben das Privileg, dass sie nicht betriebsbedingt gekündigt werden, das zieht dann auch Pflichten nach sich.

Muss der Personalabbau nicht schneller verlaufen?

Elsemann: Das wäre durchaus möglich: Derzeit fallen 50 Prozent der durch Fluktuation frei werdenden Stellen weg – das könnte man auf 60 bis 65 Prozent steigern. Aber dann muss man auch öffentliche Aufgaben streichen oder reduzieren, sonst geht das nicht. Das bedeutet längere Wartezeiten für Bürger, längere Bearbeitungsdauer von Anträgen. Da müssen wir ehrlich sein. Der Personalabbau insgesamt war bisher erfolgreich: Wir haben inklusive OGM und WBO in der Verwaltung über 1000 Stellen abgebaut. Eingesparte Stellen mussten und müssen wir immer wieder aber auch für neue Pflichtaufgaben verwenden.

Das umfangreiche Sparpaket von 2008 ist erst zur Hälfte umgesetzt. Woran liegt das?

Elsemann: Das liegt jedenfalls nicht daran, dass es uns am Ehrgeiz mangelt zu sparen. Viele Sparvorschläge sind vielmehr nicht von einem auf den anderen Tag umsetzbar, einige sind praktisch nicht realisierbar. Und die Finanzkrise hat uns einiges verhagelt.

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Obwohl Oberhausen so arm ist, gibt es immer noch Prestigeobjekte, wie den Bau der fünf Millionen Euro teuren Rehberger-Brücke über den Kanal. Muss das wirklich sein?

Elsemann: Nein, die benötigt man nicht wirklich. Ich bin zwar ein Freund schöner Architektur, doch es ist sehr schwierig, auf Bürgerversammlungen darzustellen, warum man so viel Geld in so eine Brücke investiert. Das Argument, das Geld stamme ja nicht aus dem städtischen Etat, zieht da nicht. Es ist indirekt Geld der Allgemeinheit. Und da sind alle Ausgaben zu überdenken.

Ist der Anspruch der Bürger an die staatlichen Leistungen immer noch zu groß?

Elsemann: Der allgemein an dieser Gesellschaft interessierte Bürger weiß mittlerweile ganz genau, dass vieles heute nicht mehr geht. Doch leider kümmern sich immer mehr Bürger nur um ihre eigenen individuellen Belange: In der eigenen näheren Umgebung soll es immer nur schöner, schneller und weiter gehen. Nach 60 Jahren friedlichem Wohlstandszuwachs in Deutschland sind allerdings allgemein die Ansprüche an Umwelt-, Wohn- und Arbeitsbedingungen in einer Stadt sehr hoch geworden.

Wenn Sie zurückblicken auf Ihr Arbeitsleben, was hat Sie da besonders beeindruckt?

Elsemann: In der schwierigen Phase der Zechen- und Werksschließungen in dieser Stadt hat es unsere damalige Oberbürgermeisterin Luise Albertz geschafft, die Menschen solidarisch hinter sich zu scharen und sie für ihre Politik zu begeistern. Die Leute konnten sich mit ihr identifizieren, sie war ein Teil von ihnen. Allgemeinwohl ging ihr immer vor individuellen Wünschen. Aber solche herausragenden Politiker, die begeistern, wie Carlo Schmid, Konrad Adenauer, Willy Brandt oder Johannes Rau, gibt es leider heute nicht mehr. Die Leitfiguren fehlen.

Haben Sie Sorge, dass Sie im Ruhestand in ein großes Loch fallen?

Elsemann: Nein, meine berufliche Tätigkeit war eingebettet in eine persönliche Lebensphilosophie, die werde ich nicht verlieren. Ich werde mich weiter im sozialen und kulturellen Bereich engagieren. Und werde stärker in der SPD aktiv Politik machen . Ich fotografiere aber auch gerne, male oder züchte Bonsai-Pflanzen heran – denn ich habe Spaß daran, große Dinge klein zu machen, weil man sie dann besser betrachten und beurteilen kann.