Oberhausen. In Schulen und Heimen leisten junge Leute Freiwilligendienste. Nun sind Stellen in Gefahr. Was das bedeutet? Ortstermin in einem Offenen Ganztag.
Ob in Schulen, Pflege- oder Jugendheimen: Überall leisten junge Menschen wertvolle freiwillige Dienste. Doch nun bedrohen Rotstift-Pläne des Bundes mindestens jede vierte Stelle im Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) und im Sozialen Jahr. Dagegen formt sich Protest – auch in Oberhausen. Ein Ortsbesuch im Offenen Ganztag (OGS) an der Alsfeld-Grundschule.
Anna Reuschenbach (18) und Denise Bruckmann (19) räumen in den OGS-Räumen Brettspiele zur Seite, die Kinder sind nach der Morgenbetreuung gerade in den Unterricht gegangen. Gleich stehen noch Einkäufe an, später das Tischdecken fürs Mittagessen. Und weitere Aktionen für die nächsten Tage wollen sie sich auch noch einfallen lassen. Die beiden frisch gebackenen Abiturientinnen haben als Helferinnen in ihrem Sozialen Jahr alle Hände voll zu tun.
Ganztag auf die Arbeit der Freiwilligen angewiesen
„Wie es ohne die zwei gehen soll, ist uns vollkommen schleierhaft“, sind sich Corinne Marx (46) und Sabine Lehrmann (56) einig, die den Offenen Ganztag in der Grundschule leiten. „Wir sind total froh, dass sie all die Aufgaben übernehmen!“ Der Verein Kurbel als Träger des Angebots hat an mehreren Schulen in Oberhausen und Umgebung zehn Freiwilligenstellen geschaffen, stadtweit gibt es durch Organisationen wie die Caritas oder Kinderkosmos Dutzende dieser Plätze.
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Den Ganztag an der Alsfeldschule besuchen 224 Mädchen und Jungen, das sind 84 Prozent der gesamten Schülerschar. Eigentlich würden noch mehr Kinder mitmachen, doch dafür reicht weder die Personaldecke noch das Raumangebot. Dabei hat die OGS schon 21 Stellen. „Aber viele Helferinnen kommen nur für ein paar Stunden, zudem sind in der Zahl auch schon die beiden Küchenkräfte eingerechnet“, gewährt Leiterin Corinne Marx einen Blick hinter die Kulissen. „Schließlich gilt es, jeden Tag sechseinhalb Stunden Betreuung abzudecken. Zeiten für die Vorbereitung des Mittagessens oder der Aktionen im Ganztag sowie Absprachen der Helfer untereinander sind da noch nicht einmal eingerechnet.“
Kein Verständnis für die Rotstift-Pläne des Bundes
Trotz der Belastung sind die beiden jungen Helferinnen Anna Reuschenbach und Denise Bruckmann die Ruhe selbst, auch wenn es mal hektisch und stressig wird oder die Lautstärke überhandnimmt. „An den Lärm mussten wir uns ehrlich gesagt erst gewöhnen“, räumt die 19-Jährige ein. Dem Spaß an der Arbeit tut das aber keinen Abbruch. Der Umgang mit den Kindern gefällt ihnen sehr, ob Ballspiele draußen, Kartenspiele drinnen, Hilfe bei den Hausaufgaben oder einfach zuhören, wenn die Kleinen mit Fragen zu ihnen kommen. Hat sich ein Kind eine kleine Wunde am Finger zugezogen und blutet ein bisschen, sind die Helferinnen mit einem Pflaster zur Stelle.
Dass sie im Monat 430 Euro als Lohn für den Freiwilligendienst bekommen, geht für die jungen Frauen vollkommen in Ordnung. Das Jahr verstehen sie als eine Zeit der beruflichen Orientierung, beide wollen testen, ob das Lehramt für sie wohl später einmal der richtige Job sein kann. „Solche Chancen brauchen junge Menschen doch gerade in diesen Zeiten“, sagt Denise Bruckmann, die wie ihre Kollegin kein Verständnis dafür aufbringen kann, wenn der Bund nun Stellen streichen will.
Protestbrief hat bereits 100.000 Unterschriften bekommen
Mit ihrer Kritik stehen sie längst nicht allein. Bei einer bundesweiten Petition, einem Protestbrief, kamen rund 100.000 Unterschriften zusammen, um das Streichen der Gelder zu verhindern. Die Initiatoren haben am Montag (18. September) im Petitionsausschuss des Bundestages ihrer Forderung Nachdruck verleihen können. Die Staatssekretärin des Bundesfamilienministeriums wollte aber natürlich kein Versprechen abgeben, ob die vorgesehenen Kürzungen zurückgenommen werden.
Zu Unterstützern des Protests gehört auch Birgitta Kelbch, Leiterin der Freiwilligendienste im Bistum Essen, die über den Verein Kurbel die Stellen in der Alsfeldschule organisiert. Insgesamt bietet der Dienst 350 jungen Menschen einen Platz, von Seniorenheimen über die Tagespflege, Kitas und Jugendtreffs bis hin zu Grundschulen. „Sie sind dort die helfende Hand und haben für die Menschen ein offenes Ohr“, sagt Kelbch. Der geplante Sparkurs ist für sie nicht nachvollziehbar; sie befürchtet dadurch Einschnitte ins soziale Netz. Zudem sieht die Leiterin erhebliche Nachteile für die jungen Menschen, die in dem Jahr nach Perspektiven suchen, und dann weniger Möglichkeiten hätten, sich einmal beruflich auszuprobieren. Zudem seien sie in Berufen tätig, in denen es an Fachkräften mangele.
Sprungbrett ins Berufsleben
In die gleiche Kerbe schlägt auch die Oberhausener Diakonie. Drei Freiwillige sind in dem Sozialwerk für psychisch erkrankte und wohnungslose Menschen im Einsatz und leisten wichtige Arbeit, auf die der Verband angewiesen ist. Denn es fehlt auch der Diakonie an Mitarbeitern. Dass das Soziale Jahr für die jungen Menschen selbst ein Sprungbrett auf ihrem Berufsweg sein kann, zeigt sich beispielsweise an Ben Horstkamp. Nach seinen zwölf Monaten im Psychosozialen Zentrum arbeitet er inzwischen als Werkstudent im Bereich „Ambulantes Betreutes Wohnen“. Das weitgehend eigenverantwortliche Arbeiten während des Freiwilligenjahres und die gewonnenen Erfahrungen lassen ihn die Hürden des Studiums besser meistern, betont der junge Mann.
Sowohl der Bundesfreiwilligendienst als auch das Freiwillige Soziale Jahr „sind doch funktionierende Programme, in denen motivierte junge Menschen auf Menschen treffen, die Unterstützung benötigen“, sagt Jürgen Otto von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Bezirk Niederrhein. Für den Verband sind zehn Freiwillige tätig. Statt Gelder zu kürzen, sollte der Bund die Dienste attraktiver machen, „um das soziale Miteinander zu stärken“.
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