Oberhausen. Kathrin Mädler hat viel vor als Intendantin am Theater Oberhausen: Im alten Ballettsaal wird wieder geprobt und ein Festival-Hit kommt zurück.
Eine prallvolle erste Spielzeit mit einem satten Dutzend Uraufführungen liegt hinter der Intendantin des Theaters Oberhausen. Im Interview zeigt sich Kathrin Mädler hochgestimmt und mit nicht nachlassendem Elan, der auch für die Saison 2023/ ‘24 spannende Neuheiten verspricht.
Angesichts von gleich 15 Premieren in der kommenden Spielzeit, davon elf Erst- oder Uraufführungen, liegt ja die Frage nahe: Haben Shakespeare, Schiller oder Tschechow keine Chance mehr?
Kathrin Mädler: Doch, auf jeden Fall. Wir alle lieben auch die klassischen Stücke, ich bin ein großer Fan der klassischen Sprache. Die Welthaltigkeit dieser Werke interessiert uns weiterhin. Aber durch die Fülle der dringlichen Themen und die Lust, sich ihnen mit einem zeitgenössischen Blick zu nähern, hatte das aktuelle Schauspiel die Oberhand. Die Liebe zu den Klassikern ist da – sie werden wiederkommen.
Neue Texte wie „Kissyface“ oder „Der lange Schlaf“ waren ja fast tagesaktuell – scheinen aber auch ihre Themen nicht ganz durchdrungen zu haben. Ist das der Preis für Zeitgenossenschaft?
(lachend) Da muss ich natürlich widersprechen – aber es ist eine gute These. Es kann möglicherweise der Preis sein. Theater will sich fragend mit unserer Realität auseinandersetzen. Der Anspruch kann keine erschöpfende Erklärung der Gegenwart sein – das wäre anmaßend. Es ist ein sinnliches Angebot, sich auf einem anderen Weg kritischen Themen zu nähern. Dabei bleibt es immer fragmentiert, doch Kunst hat eine andere Lebendigkeit.
Kathrin Mädler: „Ein künstlerischer Ort muss strahlen“
Ihre Wiederentdeckung „Welt überfüllt“ von Anna Gmeyner spiegelt überraschend genau unsere Zeit in einem Text von 1930. Ist das eine rare Perle – oder gäbe es da noch mehr?
Da gibt es schon noch ein Konvolut. Anna Gmeyner ist eine Autorin, die interessant bleibt. Es gibt von ihr aus dem englischen Exil auch ein Bergarbeiterdrama – das hätte zu unserer Region interessante Verbindungen. Sie erinnert auch an Ödön von Horvath: Beide treffen einen inneren Zustand, ein gesellschaftliches Gefühl von Leere und Angstbesetztheit, das dem unseren gleicht.
Nicht nur bei „Welt überfüllt“ scheint Franziska Isensee als Kostüm- und Bühnenbildnerin für Oberhausen einen eigenen Look zu etablieren. Braucht auch Theater eine Corporate Identity?
Es ist ja kein Markendesign, sondern eine prägende Ästhetik, eine starke Bildsprache, das interessiert uns sehr. Theater ist ein Projekt aus vielen Künsten – da hat zum Beispiel auch die Grafik eine starke Komponente. Es ist total spannend, eine Künstlerin zu haben, die unsere Optik prägt. Ihre Bildwelt sollte im ganzen Haus sichtbar werden – in der Bar, im Foyer. Wir wollen kein Theater sein, das aussieht wie eine Versicherungsagentur. Ein künstlerischer Ort muss strahlen und Franziskas Arbeiten strahlen.
Gestrahlt haben Sie ja auch über das neue Tanztheater: Sind die „Urban Arts“ ein Testlauf für drei Jahre oder auf längere Sicht möglich?
Wir suchen eine Perspektive, um es zu verstetigen. Mit sechs Tänzerinnen und Tänzern und der künstlerischen Leitung werden richtig Stellen geschaffen. Unser Versuch, urbane Künste ans Haus zu binden, muss sich jetzt künstlerisch bewähren. Diese Konstellation ist eine große Chance, mit der Stadtgesellschaft in Kontakt zu treten und auch junge Leute anders anzusprechen, deren Lebensgefühl zu spiegeln. Wir wollen jetzt sehen, was da an Energien generiert werden.
Kathrin Mädler: „In Oberhausen ist man sehr offen und neugierig“
Wie kann sich das neue „New Wave Ensemble“ am Theater Oberhausen einrichten?
Die Sechs waren noch nie fest an einem Haus engagiert, haben in ganz verschiedenen Kontexten gearbeitet. Sie brauchen nun einen zuverlässigen Ort, um hier zu trainieren und sich als Kollektiv zu entwickeln. Wir starten mit dem ehemaligen Ballettsaal. Urbaner Tanz lässt sich an viele künstlerische Bemühungen andocken, da ist wahnsinnig viel denkbar.
Ist die neue Tanzsparte Ihr Projekt, um ein jüngeres Publikum zu gewinnen?
Ja, Jüngere haben mit dieser Kunstform viele Berührungspunkte. Aber auch unser Abo-Publikum war vom Tanztheater-Gastspiel „Faster“ total begeistert. In Oberhausen ist man sehr offen und neugierig – das finde ich so cool.
Wie wichtig sind Ihnen die Besucher mit Abonnement?
Wir sehen in ihnen unsere Verbündeten und gehen hoffentlich eine besondere Verbindung ein. Gemeinsam finden wir heraus, wohin das Theater gehen kann. Wir hoffen aber auch auf die Bereitschaft, Neues zu erfahren, sich gemeinsam auf diese Reise zu begeben. Wie bei der Frage: „Was möchten wir Freunden vorsetzen, die wir zu einem guten Abendessen einladen?“
Eine Preisfrage: Sollte selbst in einer armen Stadt das Theater seine Tickets nicht unter Wert verkaufen? Oder die Preise stärker differenzieren?
Der zentrale Aspekt: Jeder muss es nutzen können. Das heißt, dass es passende Angebote geben muss. Stadttheater darf nicht über die Preise zu einer elitären Einrichtung werden. Wir brauchen das Signal der Zugänglichkeit – da ist der Preis nur ein Aspekt. Wir wollen nicht nur teuren Kunstgenuss verkörpern, sondern ein lebendiger Ort in der Stadtgesellschaft sein.
Damit alles einladender wird – vom Foyer bis zu Gastronomie – stehen Ihnen ja weitere Bauarbeiten ins Haus. Passen die in die übernächsten Theaterferien?
Das ist noch in der Planung. Dazu kann ich jetzt noch nichts Gültiges sagen, nur dass die nächste Spielzeit noch nicht betroffen sein wird. Wir stellen uns freudvoll der Herausforderung. Auch ein kurzzeitiger Auszug kann künstlerisch spannend sein – wenn man genügend Vorlauf hat.
Eine positive Überraschung war der Erfolg des „New Stages South East“-Festivals. Gibt es mehr davon?
Den Faden wollen wir gerne weiterknüpfen. Die Auswertung mit unseren Partnern vom Goethe-Institut ist extrem positiv ausgefallen. Die beiden Inszenierungen „Sauer“ und im weitesten Sinne „Die Brücke von Mostar“ sind ja aus dem Festival geboren. Auch die „360 Grad“-Diversitätsstelle am Theater werden wir wieder besetzen, um unter anderem die Communities aus den Ländern Südosteuropas besser zu erreichen. Das ist eine feste Perspektive.
Kathrin Mädler: „Es geht darum, dass wir als Gesellschaft nicht abstürzen“
Die schönsten Spitzen auf das hochsubventionierte Theater kamen ja früher gerne aus dem nicht subventionierten Ebertbad gegenüber: War’s deshalb Ihr Coup, jetzt Gerburg Jahnke am Theater inszenieren zu lassen?
Sie ist eine tolle Frau und eine tolle Künstlerin, das ist der Hauptgrund der Zusammenarbeit. Mich interessiert sowieso eher die Verbindung als die Konkurrenz. Die Interessen der Oberhausenerinnen und Oberhausener sind breit genug gestreut. So können wir uns gut zusammentun, um Synergien zu heben.
Könnten Sie sich denn vorstellen, mal am Ebertbad Regie zu führen?
Eine künstlerische Zusammenarbeit könnte ich mir total gut vorstellen! Wir kämpfen doch um Ähnliches, das haben wir in der Coronazeit gemerkt. Es geht uns allen darum, dass wir als Gesellschaft nicht abstürzen. Man müsste noch mehr aus dieser Nachbarschaft am Ebertplatz machen.
Zum Schluss: Fühlen Sie sich am Ende der ersten Spielzeit in Oberhausen gut angekommen oder schmecken Sie noch rein?
Ich finde, wir sind gut angekommen, klares Ja. Vielleicht sollte man sich aber als Theatermensch nie ganz angekommen fühlen, um immer offen zu bleiben. Wir sind ja dermaßen zugewandt empfangen worden, sowohl vom Publikum wie von den Kolleginnen und Kollegen, die schon lange am Haus sind. Es war wirklich nicht schwer, sich willkommen zu fühlen. Das war überwältigend.
Zwei Mini-Festivals und eine Schlossnacht
Die Theater-Spielzeit endet zwar schon in wenigen Tagen – doch bis zum 21. Juni gibt’s noch reichlich Programm: Am Freitag und Samstag, 16. und 17. Juni, vertieft das Mini-Festival „Biosphäre Oberhausen“ die Thesen aus dem Klima-Drama „Der lange Schlaf“ (das ebenfalls am Samstag letztmals zu sehen ist).
Ebenfalls am Freitag eröffnen im Studio die „Stadtbühnentage“ mit den drei „Open Haus“-Gruppen, die ihre seit November 2022 geprobten Inszenierungen vorstellen. Weitere Aufführungen folgen am Sonntag und Dienstag, 18. und 20. Juni.
Last, not least, spielt und singt das gesamte Ensemble am Mittwoch, 21. Juni, um 19.30 Uhr im Schlosshof der Ludwiggalerie den Liederabend „Gute Hoffnung“ als Beitrag des Theaters zu den „Oberhausener Schlossnächten“.
Karten und Infos unter 0208 8578 184, per Mail an service@theater-oberhausen.de.