Oberhausen. Die Hingucker-Ausstellung zählt zum umfangreichen 2023er Programm der Gedenkhalle, die in ihrem 61. Jahr gleich drei neue Bücher herausgibt.
Bei anderen Institutionen mit eindrucksvoller Historie würde nach einem Jubiläumsjahr vielleicht erst einmal innegehalten, womöglich zur Routine zurückgekehrt. Doch 2023, in ihrem 61. Jahr, sieht bei der Gedenkhalle wenig nach Routine aus. Vielmehr könnte man fast von einem zweiten Jubiläumsprogramm sprechen, so wie Clemens Heinrichs die ambitionierten Vorhaben aufblättert.
Zwei Hingucker-Ausstellungen sind dabei, die Arbeit an ergänzenden Informationstafeln für das NS-Ehrenmal auf der „Emscherinsel“ und sogar drei Buchpublikationen. Die Würdigungen und deren merkliche Resonanz für den ältesten Gedenkort in Westdeutschland geben offensichtlich Auftrieb. Nach dem Lockdown-Jahr 2021 mit unter 4000 Besuchern freute den Leiter der Gedenkhalle, dass 2022 allein die Anne Frank-Ausstellung in nicht einmal vier Wochen über tausend Besucher zählte – sicher auch dank der jugendlichen „Peer Guides“, die mit ihrem eigenen „Sound“ die Führungen für Gleichaltrige übernahmen.
Froh ist Clemens Heinrichs auch, den jährlichen Gedenktag zur Erinnerung an die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945 nun „live“ in der Gesamtschule Osterfeld begehen zu können – und nicht mehr vor Kameras als Studioaufzeichnung fürs Web: „Digital ist es nicht das Gleiche.“
Stimmen aus dem Exil warnten vor Olympia-Teilnahme
Ganz große Aufmerksamkeit dürfte die Gedenkhalle dann mit der Frühjahrs-Ausstellung „Zwischen Erfolg und Verfolgung“ erzielen. Denn die Protagonisten dieser Hingucker-Schau werden sich im grünen Kaisergarten, vor den Portalen des Schlosses, in dynamische Posen werfen. Das „Zentrum deutsche Sportgeschichte“ würdigt mit lebensgroßen „skulpturalen“ Fotografien sechs Sportlerinnen und elf Sportler und den großen Anteil jüdischer Athleten an der Entwicklung des modernen Sports in Deutschland. Als Nationalspieler, Welt- oder Europameister, als Olympiasieger oder Rekordhalter zählten sie zu Idolen ihrer Zeit. Weil sie Juden waren, wurden sie im NS-Staat entrechtet, zur Flucht gedrängt oder ermordet.
Bis heute den prominentesten Namen trägt die Fechterin Helene Mayer: Die Olympiasiegerin von Amsterdam 1928 und Fünftplatzierte von Los Angeles 1932 trat auch 1936 in Berlin für Deutschland auf die Planche und gewann die Silbermedaille im Florettfechten. Thomas Mann und andere prominente Stimmen des Exils hatten Helene Mayer, die zu dieser Zeit bereits in den USA lebte, gebeten, nicht in den propagandistischen Dienst des NS-Regimes zu treten.
„Wieder mit einer Ausstellung in den öffentlichen Raum zu gehen“, sieht Clemens Heinrichs als großes Plus für die Bekanntheit der Gedenkhalle – die sich allerdings mit ihrer Herbst-Ausstellung im knapp bemessenen eigenen Raum klangvolle Stadtprominenz sicherte. Denn der Name der im Vorjahr mit 93 Jahren verstorbenen Fotografin Ruth Gläser ist noch vielen geläufig: „Wir haben noch mit ihr über den Vorlass gesprochen“ – aus dem jetzt ein Nachlass in der Obhut des Stadtarchivs geworden ist. 36.000 Aufnahmen der Fotografin für Generalanzeiger und später WAZ bis zum Jahr 1962 sind bereits digitalisiert.
Branchenbekannt dank der Oberbürgermeisterin
„Wie sah die Erinnerungskultur avant la lettre aus?“, nach dieser Leitfrage sichtete der Leiter der Gedenkhalle die markanten Gläser-Aufnahmen. Ein Fotohistoriker arbeitet als Honorarkraft mit dem enormen Fundus der bis 1990 in WAZ-Diensten stadtbekannten Fotografin. Bundesweit branchenbekannt war Ruth Gläser auch, weil sie über Jahrzehnte die damals einzige Oberbürgermeisterin einer bundesdeutschen Großstadt, Luise Albertz, begleitet hatte.
Eine Ausstellung, die das Potenzial zum Stadtgespräch hatte, erscheint – dreijährig verspätet – nun als Katalogband: Das Motto „Risse im Stein“ hatte das Gedenkhallen-Team durchaus provokant um die Monumentalskulptur der „Trauernden“ wie ein Baustellenband wickeln lassen. Schließlich beleuchtete man 2019 nicht nur die NS-Karriere des Bildhauers Willy Meller – sondern reflektierte auch kritisch Jahrzehnte einer im Ritual versteinerten Gedenkkultur. Der nachträglich aufgelegte Katalog, betont Clemens Heinrichs, sei schon deshalb wertvoll, „damit dieses Wissen in der Stadt bleibt“.
Schikanen und Verleumdungen ausgesetzt
Stadtgeschichtlich recherchierten auch Claudia Stein, die Pädagogin der Gedenkhalle, und Monika Elm als kundige Holtener Stadtführerin zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Holten. Dieses rund 200 Seiten starke Buch wird als vierter Band in der eigenen Schriftenreihe der Gedenkhalle erscheinen.
Schließlich arbeiten auch die beiden Oberhausener Peter Gnaudschun und Thomas Pawlowski bereits seit Jahren mit Unterstützung der Gedenkhalle an einer großen Biografie des Pfarrers Paul Barchewitz: Als Protestant in der „Bekennenden Kirche“ sah sich der Königshardter Pfarrer während der NS-Tyrannei den Angriffen, Schikanen und Verleumdungen durch nazitreue „Deutsche Christen“ ausgesetzt. Das theologische Know-how zu dieser aufwendigen Arbeit liefert der an der Ruhr-Universität arbeitende Dr. Maximilian Schell.
Bald „eindeutig kommentiert“: das Ehrenmal Lindnerstraße
Generationen fußballbegeisterter Kinder kennen das Gebäude als Umkleidekabine: Seit 2016 ist es in die Denkmalliste eingetragen – als „Ehrenmal Lindnerstraße“. Das Denkmalblatt sorgte seinerzeit für einhellige Empörung im Kulturausschuss: „Das liest sich wie eine Architektur-Broschüre aus dem tausendjährigen Reich“, meinte Volker Köster (Linke).
Genau das ist die Vorgeschichte des Baus, entstanden 1938/39: Das Ehrenmal sollte neben den „Helden des Weltkrieges“ auch die „Gefallenen der Bewegung“ ehren – gemeint waren die Toten des gescheiterten Hitler-Putsches von 1923.
„Als Denkmal muss man es eindeutig kommentieren,“ sagte damals Clemens Heinrichs. Das soll nun im Laufe des Jahres geschehen – mit drei großen Texttafeln in ähnlicher Gestaltung wie neben der „Trauernden“ vor der Gedenkhalle.