Oberhausen. Container der Arolsen Archives zeigt die Geschichten hinterlassener „Effekten“. Für Anne-Frank-Ausstellung übernehmen 15-Jährige den Lehrer-Part.
„Meine Mutter war eine schicke Frau“, liest der Betrachter neben dem in mehrfacher Originalgröße gedruckten Foto eines Bernstein-Armbands, die Silberfassung mattiert vom Alter: „Sie legte Wert auf eine elegante Erscheinung.“ Wieslawa Brzys überlebte in den Weltkriegsjahren eine Odyssee von der Zwangsarbeit als erst 15-Jährige in Wien bis zur Befreiung in Bergen-Belsen. 70 Jahre nach Kriegsende erhielt ihre Tochter den vom „SS-Staat“ (so der prägnante Begriff Eugen Kogons) geraubten Schmuck zurück.
„#Gesucht“ und „#Gefunden“ sind die beiden in den Schlosshof ragenden Ausstellungswände eines Containers überschrieben, der in markanten Blau-Rot noch bis zum 21. September inmitten des rosafarbenen Schlossidylls parkt. In kompaktester Form und mit dem Slogan „#Stolen Memory“ informieren hier die Arolsen Archives über ihre jahrzehntelange, weltweit wirkende Arbeit. Bekannter als der neue Name dürfte vielen noch der Begriff „Internationaler Suchdienst“ für die Institution im nordhessischen Kurort Bad Arolsen sein.
Claudia Stein, die Pädagogin der Gedenkhalle, nennt es „das größte Archiv mit Dokumenten zum Nationalsozialismus“. Das beständig aktuelle Thema der Arolsen Archives, bundesweit präsentiert in fünf Übersee-Containern, sind die „Effekten“, jene letzten Habseligkeiten, die den Verfolgten in den Konzentrationslagern abgenommen wurden. So zeigt „#Gesucht“ die Armbanduhr und den Füllfederhalter von Theodor Sanz aus Heidelberg: Er hatte im Spanischen Bürgerkrieg für die Republik gekämpft, war im besetzten Frankreich interniert worden und im Frühjahr 1945 in Dachau umgekommen.
Einzigartiges Dokument im roten Karo-Einband
Sein letzter Besitz zählt zu den über 2000 „Effekten“-Umschlägen, für die Arolsen Archives weltweit noch lebende Angehörige suchen. Claudia Stein zitiert einen weiteren Hashtag: „#Every Name counts“ – jeder Name zählt.
Doch der Name eines in Bergen-Belsen an der Typhus-Epidemie gestorbenen Teenagers hat einen Klang wie wenige andere: Seit ihr Vater Otto vor fast 75 Jahren eine erste, gekürzte Version von „Het Achterhuis“ veröffentlichte, ist das Tagebuch der Anne Frank ein einzigartiges Dokument. Claudia Stein verweist auf die oft mühevollen „Stolperstein“-Recherchen, bei der die Gedenkhalle hilft: „Was uns oft fehlt, sind Selbstzeugnisse.“ Selbst Otto Frank habe seine Tochter nicht so gekannt, wie sie sich hinter dem rotkariertem Einband ihres Tagebuchs offenbarte.
„Lasst mich ich selbst sein – Anne Franks Lebensgeschichte“ ist neben „#Stolen Memory“ die zweite Ausstellung zum Jubiläum der vor 60 Jahren eröffneten Gedenkhalle. Und 15-Jährige von Oberhausens Anne-Frank-Realschule übernehmen einen wichtigen Part im Begleitprogramm der bis zum 30. September geöffneten biografischen Schau: Sie sind „Peer Guides“ – oder, wie Claudia Stein übersetzt: „Jugendliche schlüpfen erstmals in die Lehrerrolle.“ Den verantwortungsvollen Job teilen sich jeweils 15 Realschüler und etwas Ältere aus dem elften Jahrgang des Heinrich-Heine-Gymnasiums.
Die einzige Filmaufnahme von Anne Frank
Die Peer Guides laden dazu ein, den eigenen Alltag – samt des per Smartphone organisierten Bildungs- und Freizeitstress’ – mit dem zu vergleichen, was den Geschwistern Anne und Margot Frank noch möglich war. „Was bleibt noch vom Leben übrig?“ – erst recht, wenn zwei Mädchen mit sechs weiteren Mitbewohnern im Versteck des Amsterdamer Hinterhauses eingeschlossen sind. Mit einer Aufriss-Zeichnung des Gebäudes an der Prinsengracht und vielen ausdrucksvollen Fotos ist „Lasst mich ich selbst sein“, konzipiert vom Berliner Anne Frank Zentrum, eine so kompakte, wie anregende Ausstellung. Wie in der Gedenkhalle üblich, drapieren sich die Bild- und Text-Banner um die weißen Blöcke der Dauerausstellung. Selbst die einzige Filmaufnahme von Anne Frank ist hier zu sehen.
Die Peer Guides teilen die jeweils eine Klasse, die hier ihren Alltag mit dem der jüdischen Mädchen vergleicht, stets in zwei Gruppen. Vorkenntnisse oder einführende Unterrichtsstunden, versichert die Pädagogin der Gedenkhalle, seien hier nicht nötig.
Auf dem Display die Treppe ins „Achterhuis“
„Wenn schließen wir aus?“, fragt die Schlagzeile über dem Foto eines altmodischen Karteischranks – darauf Etiketten wie „Linke“, „Schwule“, „Jugendliche“ . . . Die Hälfte einer Mülheimer Realschulklasse beugt sich gerade konzentriert über die eigenen Mini-Bildschirme: Ihre „Karteikästchen“ sind QR-Codes, die sie mit einem biografischen Quiz verlinken. Die hinter einem Regal versteckte Treppe ins „Achterhuis“ öffnet sich heute am Display der Smartphones.